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Cybermobbing
Trauigkeit, Wut und Isolation

Cybermobbing ist für viele Schüler Alltag - und kann gravierende Folgen haben: Es könne von Schlafstörungen über Essstörungen bis zum Suizid führen, sagte Lea Römer von "juuuport", einer Mobbing-Beratungsplattform für Schüler. Denn beim Cybermobbing sei der Eingriff ins Privatleben ungleich größer als beim analogen Mobbing.

Lea Römer im Gespräch mit Markus Dichmann | 07.02.2017
    Fau mit Smartphone
    Cybermobbing passiert rund um die Uhr über die digitalen Kanäle. (picture alliance / dpa / Foto: Jan-Philipp Strobel)
    Markus Dichmann: Münchener Hochschulen und ihr IT-Konzept anlässlich des Safer Internet Days waren eben unser Thema hier in "Campus & Karriere". Wovon wir in München allerdings nichts gehört haben, sind Probleme wie Cybermobbing oder mangelnde Etikette, also der Umgangston im Netz. Ganz anders sieht das an vielen Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien im Land aus. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen zum Beispiel spricht davon, dass jeder zweite Schüler schon mal Opfer von Cybermobbing wurde. Diese Zahlen habe ich mit Lea Römer von "juuuport" besprochen, das ist eine Beratungsplattform für Schülerinnen und Schüler. Und zunächst wollte ich wissen, was diejenigen, die anrufen, eigentlich so zu berichten haben.
    Lea Römer: Was Cybermobbing ist, wird vor allem in der Unterscheidung zum normalen, analogen Mobbing deutlich. Da spricht man ja von Mobbing, wenn jemand über einen längeren Zeitraum immer wieder von einer anderen Person schikaniert wird. Beim analogen Mobbing habe ich noch zu Hause die Möglichkeit, mich zurückzuziehen, es ist sozusagen ein sicherer Ort, ein Schutzraum, und das Publikum ist auch begrenzt. Es ist vielleicht die Klasse, es ist eine begrenzte Anzahl von Schülern, die das mitbekommen. Beim Cybermobbing dagegen ist der Eingriff ins Privatleben ungleich größer. Das Mobbing passiert rund um die Uhr über die digitalen Kanäle, beispielsweise WhatsApp und andere Messenger, aber auch die sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram und Co. Da können sich die Inhalte einfach rasend schnell verbreiten und auch schwierig kontrolliert werden. Wenn ein Foto erst mal im Netz ist, dann kriege ich das da ganz schwer wieder raus. Und das Publikum ist natürlich auch sehr groß. Die Nutzer kann man irgendwann gar nicht mehr bestimmen, die da alle vielleicht das peinliche Foto oder eine negative Aussage gesehen haben.
    Identitätsdiebstahl
    Dichmann: Jetzt haben Sie zum Beispiel schon Fotos angesprochen. In der analogen Welt, sprich in der Realität, da besteht Mobbing ja eben oft aus Beschimpfungen, aus schlimmen Namen, die einander gegeben werden. Jetzt kommen aber natürlich in der digitalen Welt solche Sachen wie Fotos und so noch dazu.
    Römer: Genau. Das ist noch mal eine andere Dimension des Cybermobbings im Gegensatz zum normalen Mobbing. Es fängt eigentlich schon damit an, wenn jemand bewusst ausgegrenzt wird, also wenn eine ganze Klasse beispielsweise in einer WhatsApp-Gruppe ist und eine Person bewusst nicht da hinzugefügt wird. So kann das schon losgehen. Es gehören aber auch Verunglimpfungen dazu, also das Verbreiten von Gerüchten, das Verbreiten von manchmal auch manipulierten Fotos, die das Opfer in ein ungünstiges Licht stellen, oder auch bis hin zu Identitätsdiebstahl, dass also ein Profil geklont wird, die Bilder bei Facebook beispielsweise. Das Profilbild ist ja öffentlich, das könnte ich mir klauen und ein Fake-Profil erstellen und dann so tun, als wäre ich diese Person, und natürlich damit die andere Person, die geschädigte, das Opfer dann in ein schlechtes Licht stellen.
    Psychische und physische Smptome
    Dichmann: Welche Symptome, wenn man so will, führt das denn mit sich?
    Römer: Das kann anfangen bei Traurigkeit, Wut, Isolation und Einsamkeit, bis hin zu wirklich großer Angst und auch dem Rückzug aus dem Sozialleben, möchte ich fast sagen, also wirklich die Vermeidung von Kontakten spielt da eine Rolle. Schüler schwänzen vielleicht die Schule. Es gibt auch körperliche Symptome, also Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, aber auch Müdigkeit und Schlaflosigkeit sind Symptome, und das kann halt sich steigern bis hin zu Essstörungen, Depressionen und im allerschlimmsten Fall sogar zum Selbstmord.
    Schüler beraten Schüler
    Dichmann: Jetzt werden bei juuuport die Schülerinnen und Schüler, die anrufen, die jungen Leute ja von der etwa gleichen Altersgruppe beraten, zwischen 16 und 21 sind die Berater, glaube ich. Warum?
    Römer: Das ist ein ganz besonderer Ansatz, ein Peer-to-Peer-Ansatz, das heißt, Jugendliche beraten hier Jugendliche, das heißt, sie kennen ihre Probleme, sie kennen die sozialen Netzwerke, mit denen sie tagtäglich unterwegs sind, die sie nutzen, und fühlen sich da oft verstandener als vielleicht von Erwachsenen oder Lehrern, die einfach in einem ganz anderen Alter sind und teilweise, das muss man auch so sagen, sich mit diesen Kanälen überhaupt nicht auskennen.
    Dichmann: Wir gehen da ja in einen sehr heiklen Bereich. Sie haben schon von Essstörungen, Schlafstörungen bis hin zu Selbstmordgedanken gesprochen. Müssten da nicht eigentlich ausgebildete Psychotherapeuten an die Sache?
    Römer: Ja, das sind ja wirklich die extremen Fälle, die ich genannt habe. Wie gesagt, das fängt schon an mit Ausgrenzung, Traurigkeit. Da sind auch geringere Probleme, will ich es mal nennen, mit denen jugendliche Berater durchaus umgehen können. Die werden bei uns von Experten geschult, also von einem Psychologen. Und der Psychologe im Team ist auch immer ansprechbar. Es wird keine Anfrage an unsere Jugendliche weitergegeben, die vielleicht zu extrem ist. Wenn da wirklich Selbstmordgedanken in einer Anfrage eine Rolle spielen, dann würde in dem Fall zuvor schon unser Psychologe übernehmen und gegebenenfalls dann auch an andere Beratungsstellen weiterverweisen. Wir sind vor allem eine erste Hilfe im Netz von Jugendlichen für Jugendliche.
    Prävention
    Dichmann: So weit, Frau Römer. Jetzt doktern wir aber natürlich die ganze Zeit herum, wenn das Kind eigentlich schon ins Wasser gefallen ist. Wie lässt sich denn präventiv etwas gegen Cybermobbing unternehmen?
    Römer: Wir betonen immer, das ist ganz wichtig, aufzuklären. Schülern, Jugendlichen muss bewusst gemacht werden, dass alles, was sie im Netz verbreiten, was sie über sich verraten, letztendlich verletzlich macht. Das ist ja wie im echten Leben auch, ich würde ja nicht einer völlig fremden Person auf der Straße alles von mir erzählen. Und das ist immer eine ganz gute Kontrollfrage auch für Jugendliche. Und Eltern sollten sich für ihre Kinder interessieren und für die Kanäle, auf denen sie unterwegs sind. Dann können sie auch mit ihnen darüber sprechen, und Jugendliche öffnen sich vermutlich auch schneller. Und in den Schulen sollte Medienkompetenzvermittlung am besten fest verankert sein im Lehrplan, damit es einfach von Anfang an schon Mitbestandteil der Bildung ist.
    Dichmann: Sagt Lea Römer von der Beratungsplattform juuuport hier in "Campus & Karriere" im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Frau Römer!
    Römer: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.