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"Da gibt es noch Gerangel"

Martin Zagatta: Kann Deutschland aus der Atomenergie aussteigen und wann frühestens? Diese Entscheidung will die Bundesregierung maßgeblich auch von der Empfehlung einer sogenannten Ethikkommission abhängig machen. Diese soll bis zum Monatsende vorliegen. Nach Presseinformationen ist der Entwurf des Gremiums aber schon fertig und die Kommission hält danach den Ausstieg bis 2021 für möglich.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Martin Zagatta | 11.05.2011
    Mitgehört hat Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und frühere Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Frau Höhn.

    Bärbel Höhn: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Frau Höhn, Sie waren ja skeptisch, was die Arbeit dieser Ethikkommission angeht. Haben Sie sich da getäuscht, oder wie bewerten Sie jetzt diese Empfehlungen, wenn die stimmen, und davon kann man ja wohl im Moment ausgehen?

    Höhn: Interessant finde ich natürlich, dass die Ethikkommission jetzt nach diesem Vorbericht oder Vorentwurf, ist das ja, sagt, bis 2021 ist der Atomausstieg machbar, vielleicht sogar früher, also deutlich früher. Das ist natürlich schon eine ganz, ganz gute Aussage.

    Aber die Frage ist ja auch, warum ist dieser Bericht der Ethikkommission eigentlich vor der Zeit herausgegeben worden, und da habe ich eher den Eindruck, das sind auch noch Machtspielchen, weil gleichzeitig sind ja auch so Passagen drin in diesem Bericht, dass die Atomkraftwerke weiter als Reserve dienen sollen. Abgeschaltete Atomkraftwerke sollen eben immer wieder hochgefahren werden können, so als Kaltreserve, und das ist dann ja das Gegenteil von endgültig abschalten auch dieser ältesten Atomkraftwerke, was ja auf der anderen Seite steht. Also ich habe den Eindruck, da gibt es noch Gerangel, und deshalb ist das auch noch gar nicht entschieden, was am Ende in diesem Bericht der Ethikkommission drinstehen wird. Und dann ist noch überhaupt nicht entscheiden, was das Kabinett daraus macht.

    Zagatta: Aber war es denn ein Fehler, dass sich die Grünen einer Mitarbeit in dieser Kommission verweigert haben? Dann hätten sie ja dort mitreden und mitentscheiden können und wüssten heute vielleicht sogar noch mehr.

    Höhn: Ja. Ich glaube, es war richtig, dort nicht reinzugehen ...

    Zagatta: Warum?

    Höhn: ... , denn man sieht ja auch an vielen sozusagen Beispielen, wie jetzt das Papier vor der Zeit gespielt worden ist, wie jetzt gerangelt wird, dass die Entscheidung noch gar nicht gefallen ist, und aus meiner Sicht war ganz wichtig, ...

    Zagatta: Aber das ist doch normal. Da hätten Sie jetzt doch gut mitmischen können und Ihre Position da mit einbringen können.

    Höhn: Ja! Aber ich sage mal, wenn die Umweltverbände überhaupt nicht einbezogen werden – das ist ja bei der Ethikkommission der Fall gewesen; die Umweltverbände sind nicht dabei -, dann ist das einfach auch eine Desavouierung der Umweltverbände und dann ist das eine gesellschaftliche Zusammensetzung von Angela Merkel, die sozusagen ihren eigenen Intentionen entspricht und wo sie wichtige Teile der Gesellschaft, die sich genau zu Atom da positioniert haben, nicht da einbezogen hat. Und deshalb glaube ich auch, zum Beispiel dieses Spielen dieses Berichtes, das scheint mir eher von denjenigen zu sein, die das noch verwässern wollen und zum Beispiel eben solche Punkte wie "am Ende können abgeschaltete Atomkraftwerke ja immer wieder hochgefahren werden", das ist am Ende eine Klausel, die macht ja alles zunichte. Man schaltet Atomkraftwerke ab und sie können dann doch wieder hochgefahren werden. Also von daher sind selbst in diesem Vorbericht jetzt eben auch die deutlichen Spuren der Atombefürworter zu sehen.

    Zagatta: Nun klar! Aber wenn jetzt herauskommt, dass diese Kommission sich doch für eine Abschaltung grundsätzlich ausspricht, so schnell wie möglich und spätestens bis 2021, dann ist das doch schon ein Erfolg, wenn das grundsätzlich so passiert. Und Herr Töpfer, der dieser Kommission vorsitzt, hat ja schon eindeutig erklärt, er kann sich nicht vorstellen, dass diese acht Meiler wieder ans Netz gehen. Müssen Sie da die Regierung doch nicht grundsätzlich loben? Über das andere können Sie ja dann verhandeln und können das wahrscheinlich mit verhindern.

    Höhn: Na ja, ich meine, Herr Töpfer sagt auf der einen Seite, er kann sich nicht vorstellen, dass sie wieder ans Netz gehen. Gleichzeitig ist aber jetzt sogar schon in dem Vorbericht, steht schon drin, dass die als Kaltreserve zur Verfügung stehen. Das heißt, dass sie dann doch wieder ans Netz gehen können. Also das heißt, Herr Töpfer hat sich mit seinen Vorstellungen da dann offensichtlich nicht durchsetzen können.

    Zagatta: Weiß ich nicht, Frau Höhn! Da steht ja offenbar auch drin, wenn die Presseberichte stimmen, dass die Kommission jetzt die Frage aufwirft, Ausstieg wenn möglich, und man wirft gleichzeitig die Frage auf, dass man eben nicht will, dass diese Energielücke, die da möglicherweise jetzt entstehen könnte, durch Atomstrom aus dem Ausland ersetzt wird, dass man das auf keinen Fall will. Sehen Sie das als realistisch, oder kann man das von vornherein ausschließen? Das passiert ja wohl im Moment auch.

    Höhn: Der erste Punkt ist, dass es immer einen Import und einen Export gegeben hat, und den gibt es momentan auch, und dass das Bundesumweltministerium gesagt hat, auch in diesem Jahr wird es wahrscheinlich sogar mehr Export geben als Import, also wird in Deutschland mehr Strom produziert, als hier gebraucht wird. Das heißt, auch die CDU hat in der Großen Koalition eindeutig gesagt, bei dem Atomausstieg nach Rot-Grün gibt es keine Abhängigkeit vom Ausland. Wenn Sie alleine sehen, wie viele nicht Atomkraftwerke, sondern Kohle- oder Gaskraftwerke in diesem Jahr in Betrieb gehen werden und im nächsten Jahr, dann ist das eine Riesenkapazität. Das heißt, die Frage, haben wir genug Kapazitäten, die stellt sich überhaupt gar nicht und das ist eine Angstmache, die momentan von den Atomkonzernen betrieben wird, und mit der versuchen sie – das ist ganz legitim -, sozusagen die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen, damit die Atomkraftwerke länger laufen können.

    Zagatta: Haben Sie den Eindruck - die Bundesregierung, die Kanzlerin will das ja -, dass es noch zu einem Atomkonsens mit Ihnen, mit den anderen Parteien kommt vor der Sommerpause? Ist das möglich?

    Höhn: Der Fahrplan sieht ja jetzt vor, dass im Bundestag diskutiert werden soll, erste Lesung 9. 6., zweite Lesung, dritte Lesung, also Verabschiedung 30. 6. und dann in den Bundesrat Deutliche Spuren der Atombefürworter will Bärbel Höhn von Bündnis 90 / Die Grünen im Entwurf der Ethikkommission zur Atompolitik erkennen. Eine Klausel wie die Möglichkeit, abgeschaltete Atommeiler bei Energieengpässen wieder hochzufahren, könne am Ende alles zunichte machen.

    Anfang Juli. Also von daher wird es eine Beratung im Bundestag geben. Ob wir dem zustimmen, das hängt natürlich wesentlich vom Inhalt ab und ich glaube, dass die Kanzlerin vielleicht was will. Sie will wahrscheinlich dieses Thema durchaus abräumen, damit sie nicht bei den nächsten Wahlen wieder mit diesem Thema konfrontiert wird. Aber ob sie das schafft?

    Momentan ist es ja so, dass in der CDU zwei Gruppen gegeneinander kämpfen. Die eine Gruppe, die sagt, machtpolitisch müssen wir das Thema abräumen, damit die Grünen nicht so stark werden. Die sind ja jetzt auch nicht plötzlich Freunde der Erneuerbaren und gegen die Atomkraft geworden, sondern das ist eine machtpolitische Überlegung. Und die zweite Gruppe ist die, die sagt, wir bleiben glaubwürdig, wenn wir an unseren alten Positionen festhalten, und wir sind da auf Seite der Atomkonzerne, die Atomkraftwerke müssen länger laufen. So, und die Kanzlerin muss am Ende diese beiden Gruppen zusammen bekommen, und da, glaube ich, wird sie dann im Zweifelsfall – so haben wir sie bisher erlebt – dann doch wieder mehr Parteivorsitzende sein als Kanzlerin.

    Zagatta: Also Sie sind skeptisch?

    Höhn: Na ja, ich will erst mal sehen, was auf den Tisch kommt, weil momentan wird viel geredet. Ich kann mich erinnern, im letzten August, September, da war in den Zeitungen auch zu lesen, es wird gar nicht so große Laufzeitverlängerungen geben und die alten Atomkraftwerke werden wahrscheinlich, sogar einige abgeschaltet, vorzeitig und so weiter. Am Ende hatten wir eine Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren, teilweise sogar 14 Jahren, und wenn man dann die Kapazitäten nimmt, sogar weit über 20 Jahre, wenn man das zusammenrechnet. Also von daher war das Ergebnis dann ganz anders, als es auch in den Zeitungen von bestimmten Interessierten über die Zeitung kolportiert worden ist. Deshalb sind wir einfach auf der Seite, dass wir sagen, wir wollen sehen, bevor wir da eine Meinung zu abgeben.

    Zagatta: Frau Höhn, noch ganz kurz. Wenn da jetzt ein Atomkompromiss möglicherweise nahe rückt, stellt sich ja das Problem der Endlagerung noch dringender. Niedersachsens Umweltminister Sander wirbt jetzt dafür, eine oberirdische Zwischenlagerung für 100 oder 150 Jahre in Betracht zu ziehen, um den wissenschaftlichen Fortschritt abzuwarten. Kommt das für Sie infrage, halten Sie das für realistisch?

    Höhn: Wir diskutieren ganz intensiv diese Fragen. Wir hatten jetzt gerade diese Woche ein mehrstündiges Hearing gerade zu dieser Frage, wo auch diskutiert wurde, soll der Müll oberirdisch gelagert werden - da gibt es massive Probleme, wenn man das macht -, soll er rückholbar gelagert werden, wie soll das gestaltet werden. Das ist unheimlich kompliziert und das macht auch deutlich, warum es noch nirgendwo auf der Welt überhaupt ein Endlager gibt, weil dann am Ende die Dimension, der Müll soll eine Million Jahre sicher aufbewahrt werden, da wird einfach deutlich, das funktioniert hier eigentlich gar nicht. Deshalb ist die Frage sehr, sehr kompliziert. Aber ich muss wirklich sagen, dass die Baden-Württemberger in ihren Koalitionsvereinbarungen wirklich sehr viel Mut bewiesen haben, denn sie haben gesagt, wir sind bereit, überall zu suchen, auch bei uns. Da haben sie nur Beifall von den Niedersachsen bekommen. Das heißt, das ist schon noch etwas, wo sie keinen Beifall in Baden-Württemberg bekommen, aber was man tun muss. Wir müssen eine ergebnisoffene Suche machen, wo ist das bestmögliche Lager.

    Zagatta: Also: auch wenn noch viele Fragen offen sind, das war ein Gespräch mit Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und frühere Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen. Frau Höhn, ganz herzlichen Dank!

    Höhn: Bitte!