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"Da gibt's nur Singen"

Als Spezialistin für Mozart und Bach machte sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit einen Namen: Die Schweizer Sopranistin Maria Stader. Zahlreiche Schallplattenaufnahmen belegen bis heute ihre Gesangskunst.

Von Sabine Fringes | 05.11.2011
    Wer sie als Lucia di Lammermoor erleben wollte, musste eine Platte auflegen – oder ins Konzert gehen. Denn auf der Opernbühne war Maria Stader nur selten zu sehen. Grund dafür war ihre Größe: Die Sängerin maß nur 1,44 Meter – und um auf Augenhöhe mit den Kollegen zu kommen, pflegte sie sich bei ihren Konzerten auf eine kleine Kiste zu stellen.

    Ursache für ihre Kleinwüchsigkeit war eine jahrelange Mangelernährung in der Kindheit. Sehr arm waren die Verhältnisse, in die Maria Stader am 5. November 1911 in Budapest hinein geboren wurde. Zwölf Jahre später, kurz nach dem Tod ihres Vaters, bringt das Rote Kreuz sie als Ferienkind in die Schweiz, wo sich das Ehepaar Stader ihrer liebevoll annimmt und sich um das Mädchen wie um eine eigene Tochter kümmert. Mit 14 bekommt sie ihren ersten Gesangsunterricht und bald schon lässt sie von ihrem Berufsziel, Säuglingsschwester zu werden, ab. Eine umfassende Ausbildung bei verschiedenen Gesangslehrern folgt, sie übt viel, beim Kammersänger Hans Keller bisweilen an die sechs Stunden pro Tag. Den letzten Schliff verleiht ihr jedoch der Unterricht bei einer Geigerin: Stefi Geyer.

    "Ich habe mit der Stefi Geyer es so weit gebracht, sie hat gespielt und ich hab' gesungen, da hat man den Gesang und den Geigenton nicht mehr auseinander halten können. Und das ist bei mir heute noch so, was immer der Ferenc Fricsay gesagt hat: Wie diese Stimme mit einem Orchester sich färbt! Ob das jetzt eine Flöte ist oder eine Oboe ist, speziell mit Blasinstrumenten, zum Beispiel die Arie 'Aus Liebe will mein Heiland sterben', Matthäus-Passion. Ich tu mich klanglich, in der Farbe derart den Soloinstrumenten angleichen, dass man das nicht mehr auseinanderkennt."

    "Die Stimme der Maria Stader hat vollendeten Instrumentalklang."

    So der Dirigent Carl Schuricht. 1939 gewinnt Maria Stader beim Internationalen Musikwettbewerb Genf den ersten Preis. Das ist ihr Durchbruch, auch wenn sich ihre Karriere erst nach dem Krieg entwickeln kann. Ihre Kunst des "instrumentalen Singens", die strahlende Leuchtkraft und Intonationsreinheit ihres Soprans sowie Leichtigkeit und Natürlichkeit des Vortrags machen sie zu einer gefragten Bach- und Mozart-Interpretin. "Das Staderchen" – wie Kollegen sie bisweilen nennen – musiziert bald mit den Größen ihrer Zeit, singt unter Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Karl Richter, Ferenc Fricsay, Otto Klemperer und Bruno Walter. Mozarts Motette "Exsultate jubilate" entwickelt sich zum Publikumsrenner für Maria Stader.

    "In einer Tournee gibt's nichts anderes als essen, schlafen und singen und da gibt's keine Ablenkung, weder gesellschaftlich, sogar die Familie muss da in dieser Zeit verzichten. Da gibt's nur Singen."

    Mit ihrem schmalen, aber exquisiten Programm, das von Mozart und Bach über Beethoven, Donizetti, Schubert bis Verdi reichte, reiste Maria Stader um die halbe Welt. Mit 58, noch im Vollbesitz ihrer stimmlichen Fähigkeiten, beendete sie ihre Sängerlaufbahn. Bis wenige Jahre vor ihrem Tod am 27. April 1999 in Zürich unterrichtete sie und gab ihren Schülern ihre Maxime weiter, wonach der Gesang "die natürliche Sprache des Sängers sei".