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"Da haben wir ganz andere Vorstellungen"

Die Wahlversprechen der CDU/CSU sind nicht finanzierbar, sagt FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Besonders von möglichen Steuer- und Rentenbeitragserhöhungen distanziere sich seine Partei. Trotzdem will er an einer Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition festhalten.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Christine Heuer | 24.06.2013
    Christine Heuer: So richtig gut lief es in der schwarz-gelben Koalition fast von Anfang an nicht - seltsam genug, denn FDP, CDU und CSU hatten ja ineinander ihre politischen Wunschpartner gefunden. Im September wird neu gewählt, in den Parteien wird über alte und neue Bündnisse nachgedacht und allmählich gewinnt man den Eindruck, Union und FDP prüften ernsthaft Alternativen zu Schwarz-Gelb. Dazu passt, dass das Wahlprogramm, das die Union gerade in Berlin vorstellt, von Kritik nicht nur aus der Opposition, sondern auch von den Liberalen begleitet wird.

    Am Telefon ist jetzt Rainer Brüderle, FDP-Fraktionschef. Er gilt auch als Gesicht im Wahlkampf der Liberalen. Guten Morgen, Herr Brüderle.

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Mütterrente, Mietpreisbremse, Kindergeld - Sie, Herr Brüderle, haben gesagt, dieses Wahlprogramm der Union käme Ihnen vor wie ein Gemischtwarenladen ohne Brot und Butter. Was würden Sie denn als Erstes aus dem Verkaufsregal der Union entfernen?

    Brüderle: Zunächst einmal muss ich zu dem vorhin ausgestrahlten Beitrag eine Bemerkung machen. Unbeschadet, dass manche Darbietung in der Inszenierung der Politik nicht optimal war, steht kein Land besser da als Deutschland, und das ist Ergebnis des Fleißes der Menschen, aber auch der christlich-liberalen Koalition. Insofern kann man auf die Bilanz dieser vier Jahre sehr wohl sehr stolz sein. Das Zweite ist: Auch in der Koalition sind Parteien eigenständig. Wir sind keine fusionierten Parteien, wir sind keine CDU für Nichtkirchgänger oder in einer früheren Koalition keine SPD für Nichtgewerkschaftsmitglieder, sondern eine eigenständige Partei, wie die Unions-Parteien auch. Deshalb ist es völlig normal, dass Parteien ihre eigenen Programme machen. Das ist quasi ihre Purvorstellung, wenn sie keinen Partner hätten. Aber das Zweite ist, dass man sich natürlich damit auseinandersetzen muss, wenn eigenständige Programme da sind, eigenständige Parteien, auch die Unterschiede deutlich zu machen.

    Heuer: Genau das, Herr Brüderle, möchten wir jetzt tun.

    Brüderle: Das wollte ich auch.

    Heuer: Was stört Sie denn am meisten am Unions-Wahlprogramm? Sie haben das ja im Vorfeld schon kritisiert.

    Brüderle: Ja! Mich stört daran, dass dort viele neue Ausgaben mit einbezogen sind, von denen ich nicht sehe, wie sie finanzierbar sind. Mich stört daran die Aussage, dass man sagt, man will keine Steuern erhöhen. Dabei ist völlig klar: Es gibt nur eine Konstellation, bei der die Steuern nicht erhöht werden: Das ist die Koalition mit der FDP. Nehmen Sie mal ein Gedankenmodell, wir hätten gemeinsam keine Mehrheit; dann kann die CDU ja nur mit der SPD in einer Großen Koalition koalieren, oder mit den Grünen koalieren. Was anderes gibt es dann nicht. Und die beiden Parteien, Rote wie Grüne, haben sich geradezu verbissen in Steuererhöhungen und da kann ich mir keinerlei Koalitionsvertrag vorstellen ohne Steuererhöhungen. Deshalb muss ganz klar sein, nur mit der FDP gibt es keine Steuererhöhungen.
    Aber sehen wir weiter in die Programme hinein. Es sind ja durchaus auch liebenswerte und wünschenswerte Ziele, die angesprochen werden, etwa bei der Rentenerhöhung kräftig zuzulegen. Man will das quasi aus der Rentenkasse, die derzeit aufgrund der guten Konjunktur kräftig gefüllt ist, vornehmen. Aber das wird nicht immer so sein und dann muss man es entweder aus dem Haushalt finanzieren, oder die Rentenbeiträge erhöhen. Das wollen wir nicht! Wir wollen, dass der Haushalt ausgeglichen wird und dass wir anfangen, auch Schulden abzubauen, und nicht, dass wir neue Risiken aufbauen und Beitragserhöhungen damit auf den Weg bringen. Da haben wir ganz andere Vorstellungen.

    Heuer: Können wir kurz über die Finanzierung sprechen, Herr Brüderle? Das ist ja interessant. Natürlich sind die Versprechen teuer, wenn sie umgesetzt werden. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Union eine unsolide Haushaltspolitik oder eine bürgerunfreundliche Steuerpolitik macht aus Ihrer Sicht?

    Brüderle: Nein! Ich sage noch mal: Ohne FDP gibt es keine Konstellation, wo es keine Steuererhöhungen gibt. Wer keine Steuererhöhungen haben will, muss eigentlich FDP wählen. Das Zweite ist: Man kann sehr wohl bei der Rente was machen, aber meines Erachtens muss man dann bei anderen Haushaltsaufgaben zurückfahren. Das Geld ist so nicht da. Unser Chefhaushälter Otto Fricke hat gerade erneut wieder vorgerechnet, dass es diese Überschüsse, von denen da gesprochen wird, ja gar nicht gibt. Der Haushaltsplan, der am Mittwoch verabschiedet wird, basiert auf den aktuellen Mai-Steuerschätzungen. Danach gibt es keine zusätzlichen Steuerspielräume von den Einnahmen her, um all dies machen zu können. Deshalb sind wir im Gegenteil in unserem eigenen Programm der FDP im Gegensatz zur Union der Meinung, dass Priorität die Haushaltskonsolidierung haben muss und dass man keine Politik einschlagen soll, ohne zu sagen, wie sie dann auch konkret finanziert werden kann.

    Heuer: Nun steht aber das CDU-Wahlprogramm unter dem Finanzierungsvorbehalt. Wolfgang Schäuble, der Finanzminister, hat versprochen, es bleibe bei der schwarzen Null 2015, Steuern sollen auch nicht erhöht werden. Wieso machen Sie sich dann überhaupt Sorgen?

    Brüderle: Er hat aber nicht gesagt, dass die Rentenbeiträge nicht erhöht werden. Das Programm ist sehr unscharf, was etwa auch die Einkommenssteuer betrifft, man soll die Schraube nicht überdrehen. Das ist kein klares Distanzieren, dass man in keinem Fall etwas erhöhen will. Wenn man das näher betrachtet, sieht das schon sehr unterschiedlich aus. Deshalb sind wir für Klartext und wir sind eben für eine andere Politik. Wir meinen nicht, dass man erneut nach dem alten Schlager vorgehen kann, wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt, sondern für mich ist in dem Programm der Union zu viel Ursula von der Leyen und zu wenig Ludwig Erhard.

    Heuer: Und unterm Strich belügt oder beschummelt die Union die Bürger ein bisschen vor dieser Wahl mit dem Programm?

    Brüderle: Das kann man nicht so sagen. Sie stellt Erwartungen auf in ihren Vorstellungen, von denen ich sagen muss, ich sehe nicht, wie sie finanziert werden sollen aus der Konstellation heraus. Deshalb ist es ja gut, dass es am Schluss Koalitionsverhandlungen gibt und nicht die Wahlprogramme - sie nennen es ja sogar schon Regierungsprogramm - am Schluss entscheidend sind, sondern das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Und wer diese solide Konzeption will, nämlich keine Steuererhöhungen, nur soziale Wohltaten nur dann, wenn sie auch verkraftbar sind oder durch Umschichtung möglich sind, der ist eben gut beraten, diese Koalition fortsetzen zu lassen, aber mit stärkerem Gewicht für die FDP.

    Heuer: Allerdings kommt im Regierungs- oder Wahlprogramm der Union auf keiner der 125 Seiten der Name FDP vor, schon gar nicht gibt es eine Koalitionsaussage zu Ihren Gunsten. Machen Sie sich da manchmal Sorgen?

    Brüderle: Ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Wir erwarten keine Liebesschwüre, für die Freien Demokraten, auch keine Liebesbriefe in Form von Wahlprogrammen, sondern das ist ihr Programm, es ist unser Programm, was wir beschlossen haben, und dafür werben wir, dafür wollen wir eine gemeinsame Mehrheit haben. Ich habe aber gar keinen Zweifel daran, dass die Führung der Union genauso wie wir die Fortsetzung der Koalition will. Vier guten Jahren sollen weitere vier gute Jahre hinzugefügt werden. Es gab auf Fraktionsebene zwischen Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und mir eine ausgezeichnete freundschaftliche Zusammenarbeit und die Bundeskanzlerin hat unsere volle Unterstützung. Die wäre nach meiner festen Überzeugung nicht so erfolgreich, wie sie ist, ohne FDP als Koalitionspartner.

    Heuer: Vor einer Neuauflage der Großen Koalition fürchten Sie sich also überhaupt nicht?

    Brüderle: In der Politik ist Furcht immer ein schlechter Ratgeber. In der Politik sind andere Konstellationen möglich. Ich halte sie für fatal für Deutschland. Deutschland ist der Hort der Stabilität in Europa. Wir sind das einzige Land, was quasi gut funktioniert, was Leistung hat, was den anderen hilft, hochzukommen, und da kann es keine Politik geben, die erfolgreicher ist, indem man mit der SPD, die Hollande bewundert und was in Frankreich alles falsch gemacht wird, auch noch für richtig hält. Das führt Deutschland nicht nach vorne. Aber das entscheiden am Schluss die Wähler und nicht die Wahlprogramme. Wir werben dafür, setzt vier guten Jahren weitere vier gute Jahre oben drauf und stärkt die Koalition insgesamt. Meine Empfehlung ist, FDP zu wählen.

    Heuer: Und die FDP hätte im Fall eines Falles ja auch noch ein paar andere Optionen, Herr Brüderle. Können Sie sich eine Koalition mit SPD und Grünen vielleicht für sich selbst vorstellen?

    Brüderle: Ich bin nicht der Meinung, dass man irgendwelche falschen Spekulationen betreiben sollte. Die Schnittmengen zwischen CDU/CSU und der FDP sind am höchsten. Wir sind der festen Überzeugung, dass es auch eine gute Periode war, die wir gerade abschließen. Wir wollen sie fortsetzen und wir wollen keine Spekulationen, die von der Sache her nicht fundamentiert sind, betreiben.

    Heuer: Nach einem klaren Dementi klingt das jetzt nicht. Schließen Sie eine Ampelkoalition definitiv aus?

    Brüderle: Wir wollen keine Ampel, wir wollen die CDU/CSU-FDP-Koalition fortsetzen, genauso wie die Union, und dafür werben wir, und ich bin voller Optimismus, dass das gelingen wird und dass wir Deutschland weitere vier gute Jahre bescheren werden.

    Heuer: … und können sich eine Zukunft an der Seite von SPD und Grünen auf keinen Fall vorstellen?

    Brüderle: Wissen Sie, es hat ja keinen Sinn, Politik zu betreiben, was wäre, wenn der Hund nicht am Pfeifchen gerochen hätte, hätte er den Hasen bekommen. Ich diskutiere über die Situation jetzt vor der Bundestagswahl und wir wollen jetzt die Fortsetzung dieser Koalition. Und was wollen Sie denn mit Rot und Grün derzeit machen? Beide wollen kräftig Steuern erhöhen, die Grünen 42 Milliarden mehr Steuern, die SPD 37 Milliarden mehr Steuern. Wie soll das mit einer Politik der FDP, der Haushaltskonsolidierung, keiner Steuererhöhung und wenn die Lage besser ist, auch wieder Entlastung etwa bei der Mittelschicht vorzunehmen, zusammenpassen? Ich sehe die Basis nicht.

    Heuer: FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Brüderle, haben Sie vielen Dank.

    Brüderle: Ich danke Ihnen.

    Heuer: Tschüss!

    Brüderle: Tschüss.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.