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"Da ist noch Bewegung drin"

Für die Parteien wird es bei der Bundestagswahl auf jede Stimme ankommen, sagt Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungs- und Wahlforschungsinstituts Infratest Dimap. Das Rennen sei viel knapper als bei der Wahl 2009. Viele Deutsche seien zwar mit der Kanzlerin zufrieden, Steinbrück habe jedoch aufgeholt.

Richard Hilmer im Gespräch mit Silvia Engels | 13.09.2013
    Silvia Engels: Übermorgen wird der bayerische Landtag neu gewählt, eine Woche später der Bundestag. In den Umfragen für die Bundestagswahl gibt es noch Verschiebungen. In der gestern veröffentlichten letzten Sonntagsfrage des Wahlforschungsinstituts Infratest Dimap vor der Wahl liegt die CDU um einen Punkt verschlechtert bei 40 Prozent, die SPD gewinnt auf 28 Prozent, die Grünen stagnieren bei zehn Prozent, die FDP ist danach mit fünf Prozent im Parlament, ebenso wie die Linken mit acht. - Am Telefon ist Richard Hilmer, er ist Geschäftsführer des Meinungs- und Wahlforschungsinstituts Infratest Dimap. Guten Morgen, Herr Hilmer.

    Richard Hilmer: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wie viel Unsicherheit steckt denn noch in diesen Zahlen?

    Hilmer: Na ja, die Wählerinnen und Wähler sind jetzt schon weitgehend festgelegt. Aber was heißt schon festgelegt in diesen Tagen? Die Zahlen zeigen, da ist noch Bewegung drin. Es gibt immer noch Abwägungsprozesse. Es gibt immer noch diese ambivalente Grundstimmung, und auch das hat noch einmal der Deutschlandtrend bekräftigt. Man will zwar, eine Mehrheit will Merkel als Kanzlerin behalten, aber man ist unzufrieden mit Schwarz-Gelb. Das ist eine Koalition, die eigentlich während der gesamten Legislaturperiode nicht allzu viel Zustimmung gewonnen hat, und dazwischen müssen jetzt die Wähler entscheiden und das wird dem einen oder anderen sicherlich nicht leicht fallen.

    Engels: Ihre gerade noch mal zitierte Umfrage sieht ja die großen politischen Lager in einer Art Pattsituation. Weder Schwarz-Gelb, noch Rot-Rot-Grün, wenn wir mal die großen Lager gegenüberstellen, auch wenn es da nicht immer Koalitionsabsprachen gibt, sehen sich ja im Moment in einer Kopf-an-Kopf-Situation. Ist das eigentlich ein typischer Verlauf vor Bundestagswahlen?

    Hilmer: Na ja, beim letzten Mal war es schon deutlich anders. Da gab es den klaren erkennbaren Wunsch eines grundlegenden Wechsels, nachdem es 2005 ja für Schwarz-Gelb nicht gereicht hat, weil auch damals das Misstrauen etwas zu groß war. Das Ergebnis war dann die Große Koalition, durchaus auch damals eine Art Wunschkoalition der Deutschen. Dann wollte man aber den völligen Wechsel, das war sehr deutlich und wurde auch in den Ergebnissen sehr deutlich. Aber diesmal ist es ein offenes Rennen, denn die SPD steht zwar etwas besser da als 2009, aber sie ist deutlich hinter der Union, und die Grünen sind nicht so stark, wie sie lange Zeit ausgesehen hatten. Insofern ist es für Rot-Grün etwas kompliziert. Aber Schwarz-Gelb hat so dann auch nicht überzeugt, wohl die Kanzlerin, aber nicht die gesamte Regierungskonstellation, und deswegen haben wir diese offene Situation, wo es tatsächlich dann auf jede Stimme ankommen wird.

    Engels: In dieser Woche haben wir ja einige Absagen an Koalitionen gehört. SPD und Grüne grenzen sich einmal mehr von der Linkspartei ab, die FDP gestern von der Ampel und die Union von der Euro-kritischen AfD, der Alternative für Deutschland. Kann so eine Abgrenzung erfahrungsgemäß helfen, Wähler zu gewinnen, oder geht es um die Bindung der eigenen Stammwähler?

    Hilmer: Das geht schon im Wesentlichen um die Bindung der eigenen Stammwähler, aber man hat sich natürlich festgelegt. Von diesen Aussagen kommen die Parteien dann auch nicht allzu weit weg. Was die letzte Festlegung anbetrifft, so ist fraglich, ob sie relevant ist, denn die AfD hatten wir zuletzt bei 2,5. Die CDU muss sich da wahrscheinlich nicht verbiegen. Aber bei den anderen Parteien, insbesondere bei Rot-Rot-Grün, das ist schon eine Festlegung, die zählt. Dann bleiben allerdings ja auch noch einige Alternativen, selbst wenn es für Rot-Grün oder für Schwarz-Gelb nicht reichen würde.

    Engels: Sehen Sie mit diesen 2,5, die Sie für die AfD ausweisen, trotz der Unsicherheit, die man bei Protestparteien immer haben muss - und die AfD kann man ja dazu zählen -, die AfD nicht im Bundestag?

    Hilmer: Sie wird Schwierigkeiten haben. Wir haben ja in den vergangenen Umfragen die Piratenpartei durchaus schon vorab gesehen, als sie den Einzug in die Parlamente schafften, und die AfD lebt ja auch von einer Klientel, die wir sehr gut erreichen. Das sind ältere, das sind besser gebildete Personen. Sie kann nur hoffen, dass das Thema Europa noch mal nach oben kommt. Man kann nicht ausschließen, dass diese Thematik dann noch mal für eine Überraschung sorgen wird. Aber da ist natürlich jetzt schon ein weiter Weg dorthin.

    Engels: Viele unentschlossene Wähler gibt es noch. Seit gestern Abend gibt es auch ein neues Überraschungsmoment: Die Geste des ausgestreckten Mittelfingers von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in einem Magazin sorgt für Schlagzeilen. Die SPD verteidigt ihn, das Regierungslager nennt das obszön. Wie immer man das Verhalten Steinbrücks bewertet, an Sie die Grundsatzfrage: Kann nach einem monatelangen Wahlkampf und vielen inhaltlichen Aussagen am Ende eine Kleinigkeit wie eine Geste entscheiden?

    Hilmer: Das wird man sehen. Auf jeden Fall hat Steinbrück es zuletzt geschafft, wieder den großen Vorsprung von Merkel einigermaßen zu verknappen. Das ist wichtig für die Mobilisierung der eigenen Wähler. Die hat er hinter sich gebracht. Ob eine Geste dann diesen Rückhalt noch mal unterminieren kann, das wird man sehen. Es kann sogar bei jüngeren Wählern dann noch mal als zusätzliche Profilierung dann gesehen werden, aber all das ist jetzt Spekulation. Am 22.9. werden wir sehen, ob das noch in der einen oder anderen Richtung irgendetwas verändert hat.

    Engels: Ihr Institut Infratest Dimap hält sich ja an die jahrzehntelange Praxis der Umfrageinstitute, in der Woche vor der Bundestagswahl keine Umfrage mit Sonntagsfrage mehr zu veröffentlichen. Andere Wahlinstitute sehen das anders. Das Argument der Wählerbeeinflussung, spielt das die gewichtige Rolle, weshalb Sie es nicht tun?

    Hilmer: Sagen wir mal so: Wir finden, die letzte Woche vor der Wahl gehört dem Wähler. Da soll er sich in Ruhe eine Meinung bilden können. Sie gehört natürlich auch den politischen Akteuren, denn sie sollen mit ihren Botschaften im Vordergrund stehen, nicht die Wahlforschung. Es kann durchaus sein, dass auch die Umfragen in der letzten Woche vor der Wahl zum Teil sogar für Irritationen sorgen, denn wir haben eine Landtagswahl noch vor der Bundestagswahl, da wird mit Sicherheit noch einiges an Bewegung zu erwarten sein. Und auch Umfragen, die dann am Mittwoch oder Donnerstag nächste Woche abgeschlossen sein werden, die müssen noch nicht das letzte Wort gewesen sein. Ich bin ziemlich sicher, dass manche Wähler ihren Abwägungsprozess bis in die Wahlurne mitnehmen und dann erst im Wahllokal entscheiden.

    Engels: Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungs- und Wahlforschungsinstituts Infratest Dimap. Wir sprachen mit ihm über Umfragen und Aussagefähigkeiten und die letzten Trends vor den Wahlen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hilmer: Bitte schön.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.