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"Da müssen wir härter rangehen"

Rudolf Henke kündigt harte Streiks an den kommunalen Krankenhäusern an. Der Vorsitzende der Ärztevertretung Marburger Bund sagte, man habe aus den vergangenen Jahren gelernt. Die Arbeitgeber müssten den Ausstand diesmal wirtschaftlich zu spüren bekommen.

Rudolf Henke im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 10.04.2010
    Jürgen Zurheide: Die Ärzte wollen streiken, zumindest an den kommunalen Krankenhäusern müssen wir uns darauf einstellen. Die Tarifverhandlungen sind gescheitert und die Gewerkschaft, die Vertretung der Ärzte, der Marburger Bund hat gesagt, mit uns nicht mehr, jetzt müssen wir es den Arbeitgebern auf eine andere Art und Weise zeigen. Und damit heißt es, es wird eben auch zu Streiks an Krankenhäusern kommen. Das ist immer delikat, über dieses Thema wollen wir reden, und zwar mit dem Vorsitzenden des Marburger Bundes, Rudolf Henke, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Henke!

    Rudolf Henke: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Henke, wie viel Drohbriefe und böse Briefe haben Sie denn bekommen, nachdem die Ärzte nun gesagt haben, an kommunalen Krankenhäusern soll demnächst gestreikt werden?

    Henke: Ja, keine. Also bis jetzt nicht. Aber vielleicht kommen die ja noch. So frisch ist ja die Entscheidung noch, dass die Post noch läuft.

    Zurheide: Der ein oder andere, zumindest aufseiten der Arbeitgeber, versucht, Sie ein Stück weit in die Rolle der Buhmänner und Buhfrauen reinzubringen, so unter der Überschrift, die Ärzte wollen mehr, als wir den Krankenschwestern und –pflegern geben. Das sei ungerecht. Warum halten Sie das nicht für ungerecht, was Sie verlangen?

    Henke: Also die Krankenhäuser sind ein anderes Feld als die Rathäuser. Ich kann ja nichts dafür, wenn die Arbeitgeber den Krankenschwestern und Krankenpflegern das Gleiche geben wollen wie den Amtsmännern und Amtsfrauen in den Rathäusern. Ich bin an den Verhandlungen für den öffentlichen Dienst nicht beteiligt. Der Marburger Bund hat schon im Moment der Schlichtung gesagt, dass diese Schlichtung für die Ärzte in den Krankenhäusern keine Wirkkraft entfaltet. Das bleibt auch so und ich will jetzt nicht darüber räsonieren, ob die Krankenschwestern und Krankenpfleger eigentlich fair behandelt werden. Die Ärzte jedenfalls nicht, wenn man mit berücksichtigt, dass die Arbeitgeber Riesenschwierigkeiten haben, die Stellen im ärztlichen Dienst besetzt zu bekommen. Und ich glaube, darauf muss man in einer Gesellschaft reagieren, die ja auch ein Stück weit Leistungsgedanken predigt und sagt, also wir folgen auch am Arbeitsmarkt Marktverhältnissen.

    Zurheide: Genau das wirft Ihnen der ein oder andere inzwischen vor, dass Sie die Marktlage gnadenlos ausnutzen. Sie selbst sagen und andere auch, mindestens 5000 Ärzte fehlen im Moment an den Krankenhäusern ...

    Henke: Ja, das sind Zahlen der Arbeitgeber.

    Zurheide: Richtig, und einer der Klinikdirektoren, mit denen ich gestern sprach, der sagte mir, na ja, es fehlen eben so viel Ärzte und die nutzen die Marktlage aus. Tun Sie das?

    Henke: Also von Ausnutzen kann eigentlich deswegen keine Rede sein, weil die Arbeitgeber ja selber vorgeben, wie man in einer solchen Lage dann reagiert. Sie füllen nämlich die Lücken, die sie spüren, und die nicht durch Mehrarbeit und Produktivitätssteigerung der vorhandenen Ärzte geschlossen werden, dadurch, dass sie Honorarärzte anwerben. Das heißt, sie gehen hin und nutzen die Bereitschaft von 4000, 5000 Ärzten in Deutschland aus, als Wanderärzte unterwegs zu sein, und stellen die dann mit kurzfristigsten Verträgen ein, bezahlen denen dann aber das Drei- und Vierfache in der Stunde, was sie einem angestellten Arzt bezahlen würden. Na ja, was soll ich da machen, da vergleicht natürlich jeder angestellte Arzt und sagt, ja wenn das bei denen möglich ist, warum können wir dann nicht wenigstens fünf Prozent mehr kriegen?

    Zurheide: Wenn man mal insgesamt auf die Arbeitsbelastung auch der Ärzte schaut und das mit dem Ausland vergleicht – fahren Sie da wirklich so schlecht?

    Henke: Also wir haben sicherlich eine positive Entwicklung in den letzten Jahren erlebt und wir sind ja jetzt in einer Vertragssituation, wo bei 58 Stunden dann auch in der Woche Schluss ist. Wir haben sicher die Entlastung, dass, wer einen Tag gearbeitet hat und dann die Nacht durchgearbeitet hat, anschließend zum Schlafen nach Hause geschickt wird.

    Zurheide: Aber dafür mussten Sie ja streiken!

    Henke: Dafür mussten wir streiken. Für die Durchsetzung müssen wir manchmal die Ämter für Arbeitssicherheit in die Krankenhäuser holen, das ist wahr, aber da hat sich natürlich schon Erhebliches verbessert. Jetzt gehen die Arbeitgeber hin und sagen, na ja, also wenn ihr dann an einem Tag dann schlafen müsst, dann müssen wir euch die Stunden abziehen. Und das führt zu dem widersinnigen Gedanken, dass einer, der am Tag arbeitet, anschließend die Nacht arbeitet und sich dann am nächsten Tag ausschläft, dass der unter Umständen weniger Geld übrig behält als einer, der zwei Tage gearbeitet hat und die Nacht getan hat, was er wollte. Das liegt natürlich daran, dass die Bereitschaftsdienstzeiten unterbewertet sind, weil man sie nicht eins zu eins als Stunden rechnet, sondern weil man sagt, na ja, zwischendurch kann der vielleicht auch mal eine Stunde schlafen, also wird diese Nacht nur mit 60 oder 80 oder 90 Prozent angerechnet. Also man verliert dann an dem folgenden Schlaftag mehr, als man in den Nachtstunden dann an Stunden angerechnet kriegt. Dann erleben unsere Leute das als Abzug und als Minusstunden und fragen sich, ja soll ich dann nicht in die Industrie gehen, soll ich dann nicht zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen gehen, soll ich dann nicht irgendwo hingehen, wo ich halt Tag und Tag arbeite und habe mit den Nächten nichts zu tun? Das macht das Krankenhaus für die Ärzte als Arbeitsplatz unattraktiv. Deswegen haben wir immer gesagt, zusätzlich zu einer linearen Vergütungserhöhung brauchen wir in dieser Runde auf jeden Fall auch eine starke Verbesserung der Nachtstundenvergütung.

    Zurheide: Und wenn das alles nicht kommt, sagen Sie, dann wird der Arbeitskräftemangel, der Ärztemangel an den Krankenhäusern noch dramatisch steigen?

    Henke: Es ist von 2008 auf 2009 vom Deutschen Krankenhausinstitut in deren Krankenhausbarometer durch Umfragen unter den Geschäftsführungen der Krankenhäuser ermittelt worden: Wir haben einen Anstieg der offenen Stellen im ärztlichen Dienst um etwa 1000 in einem Jahr. Und wenn diese Entwicklung sich so fortsetzen würde, dann haben wir in fünf Jahren 10.000 freie Stellen. Ich kann doch da nicht zugucken, da können auch die Arbeitgeber nicht zugucken. Im Übrigen, wenn Sie ja auch diese Stellen nicht besetzt kriegen, dann ist es ja auch nicht wahr, dass Sie nun überhaupt keine Finanzmittel haben, denn Sie bezahlen ja dann auch die abwesenden Ärzte nicht. Also vielleicht überlegt sich der eine oder andere auch mal betriebswirtschaftlich, dass er ja auch die Möglichkeit hat, dieses Geld zum Besetzen der Stellen einzusetzen und zu verwenden, anstatt jetzt zu sagen, ja wir müssen Mauern, wir haben keine Möglichkeit, irgendwie zu reagieren.

    Zurheide: Wann kommt es zu ersten Streikmaßnahmen?

    Henke: Wir steuern das jetzt so, dass wir am nächsten Freitag den Bundesvorstand beieinanderhaben, wir werden dann den Zeitplan für die Urabstimmung beschließen. Ich denke, dass wir Ende April dann damit durch sind, das heißt, Anfang Mai werden wir ein Ergebnis der Urabstimmung bekannt geben können und dann wird es, wenn die Mitglieder uns folgen – ich gehe davon aus, dass das so ist – Mitte Mai dann mit Streiks losgehen.

    Zurheide: Wird es gewaltige Streiks direkt auf breiter Front geben?

    Henke: Also das diskutieren wir und würden es jetzt noch nicht gerne öffentlich erörtern. Es wird aber sicher so sein, dass wir gelernt haben aus den Streiks 2006: Wir müssen schon das einzelne Krankenhaus, das bestreikt wird, auch wirtschaftlich irgendwo berühren. Es kann nicht so sein, dass wir sagen, na ja, wir machen jetzt mal montags und dienstags Streik und Mittwoch, Donnerstag, Freitag arbeiten wir das dann alles wieder auf und sorgen dafür, dass es keiner merkt. Also das war ja 2006, als wir das das erste Mal gemacht haben, in den ersten Wochen zum Teil so und dann hat das dazu geführt, dass auch der eine oder andere Geschäftsführer gesagt hat, ach, eigentlich ich merke das gar nicht.

    Zurheide: Also, da werden Sie jetzt härter rangehen?

    Henke: Da müssen wir härter rangehen, weil das ist ja auch eine Frage: Berührt das die Geschäftsführung wirtschaftlich, ja oder nein? Die Patienten können sich fest verlassen, es wird überall Notdienstvereinbarungen geben. Wir haben ja jetzt gerade wieder eine Zeit erlebt, wo andere freihatten, da haben wir Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag, Ostermontag eine Situation gehabt, haben die Krankenhäuser mit Notbesetzung arbeiten müssen, mit Notdienstbesetzung. Unter dieses Niveau gehen wir natürlich nicht drunter.

    Zurheide: Ist noch ein Einlenken möglich?

    Henke: Von den Arbeitgebern ist natürlich ein Einlenken möglich, denke ich, aber wir haben ja nun etliche Stunden investiert, wir haben ja fünf Verhandlungen schon gehabt und wir haben auch klar gesagt, das ist jetzt irgendwo die letzte Kurve und ihr müsst euch jetzt entscheiden, das macht ja keinen Sinn, das ewig fortzusetzen. Aber klar, es gibt Telefonhörer, E-Mails, alle unsere Nummern sind bekannt. Wenn einer anruft, soll er es machen.

    Zurheide: Dann werden wir darauf warten, danke schön! Das war Rudolf Henke, der Vorsitzende des Marburger Bundes im Gespräch im Deutschlandfunk um 8:28 Uhr.