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"Da sterben Menschen auf beiden Seiten und das kann man nicht schön reden"

"Ein schöner Tag zum Sterben" - so hat Heike Groos ihren Erfahrungsbericht aus Afghanistan tituliert. Die Bundeswehrärztin hatte bis dato einiges erlebt - doch eigene Kameraden sterben zu sehen, verfolgt sie bis heute. Die Politik fragt sie: " Wo soll das hin, was will man eigentlich erreichen da?"

30.12.2009
    Jasper Barenberg: Der 7. Juni 2003: in Berlin tritt der damalige Verteidigungsminister Peter Struck vor Mikrophone und Kameras.

    O-Ton Peter Struck: Wir beklagen den Tod von 4 Soldaten, die Verletzungen von 29 Soldaten, darunter 7 schwer verletzten Soldaten. Unsere Gedanken gelten den Angehörigen der Verstorbenen, vor allen Dingen auch natürlich den Angehörigen der Verletzten. Wir hoffen mit ihnen, dass sie am Leben bleiben.

    Barenberg: Wenige Stunden zuvor: Am Vormittag steigt Oberstabsärztin Heike Groos in Kabul aus ihrem Rettungspanzer und blickt auf ein Schlachtfeld. Mit einem Taxi hat ein Selbstmordattentäter einen Bus mit deutschen Soldaten auf dem Weg zum Flughafen gerammt, an Bord eine 500-Kilo-Bombe. Als einen humanitären Einsatz in Uniform kann sie ihren Dienst in Afghanistan danach immer weniger sehen, immer mehr zweifelt sie am Sinn ihrer Aufgabe, so sehr, dass die Mutter von fünf Kindern schließlich nach Neuseeland auswandert, als ihre Zeit bei der Bundeswehr 2007 ausläuft. Zwei Jahre lang war Heike Groos insgesamt in Afghanistan. Ein Buch hat sie über die Zeit dort geschrieben. Über ihre Erfahrungen und die Erinnerungen habe ich mit der Medizinerin vor der Sendung gesprochen und über die Last der Erinnerung vor allem.

    Heike Groos: Ganz ehrlich dachte ich ja, ich wäre ziemlich darüber weg. Ich dachte ja fast so ein bisschen arrogant, ich habe das supergut alles hingekriegt und ich habe das super im Griff. Stimmt aber leider gar nicht, und gerade diese vielen E-Mails, die ich jetzt bekomme, auch als Reaktion auf mein Buch, die lassen das wieder ganz präsent werden und ich finde es gerade wieder ganz schrecklich und bin sehr oft auch wieder sehr traurig darüber.

    Barenberg: Sie haben geschrieben, dass sie sich zunächst bei Ihrem ersten Einsatz wie in einem Pfadfinderlager gefühlt haben. Wann hat sich denn das von Grund auf geändert?

    Groos: Ich würde sagen, der Anfang war wirklich dieser Busanschlag, den ich da so relativ ausführlich beschreibe, im Juni 2003. Das war der erste große Anschlag auf ISAF-Soldaten, auf deutsche Soldaten, und seitdem zieht sich das ja fort in einer Kette bis heute: immer mehr, immer öfter Anschläge auf nicht nur deutsche, sondern auf alle ISAF-Soldaten. Ich glaube, das war aber der Anfang. Das war der erste große Anschlag auf uns.

    Barenberg: Sie haben vorher als Rettungsärztin gearbeitet, Sie waren einiges gewohnt. Was war das Einschneidende an diesem Erlebnis dieses Terroranschlages?

    Groos: Zwei Dinge eigentlich. Das eine war, dass das eben kein Unglück war, sondern das war Gewalt, das war ein Angriff, das war der Versuch, uns umzubringen. Und zum Zweiten, dass es eben meine Kameraden waren. Alle Patienten, die ich davor behandelt hatte, waren Fremde für mich und da geht man doch anders an die Sache heran. Aber das hier waren meine eigenen Kameraden, Freunde, Menschen, mit denen ich mich sehr verbunden gefühlt habe, und das war umso schrecklicher.

    Barenberg: Haben diese Anschläge Ihre Sicht auf den Einsatz dann auch stark verändert?

    Groos: Natürlich und immer mehr bis heute, und da bin ich nicht nur alleine, das fragen sich, glaube ich, alle Soldaten. Ich glaube, es gibt keinen Einzigen, der sich nicht fragt, was tun wir eigentlich da in Afghanistan, was machen wir da. Wenn man schon das Risiko eingeht, dass man schwer verwundet wird, oder sogar sterben muss, dann will man doch zumindest wissen, warum, und man will noch mehr: Man will, dass das einen Sinn macht.

    Barenberg: Und das alles ist nicht gegeben bei den Soldaten, die Sie kennen, mit denen Sie gesprochen haben, mit denen Sie bis heute sprechen, in Kontakt sind?

    Groos: Nein, natürlich nicht. Ich finde nicht. Finden Sie, dass das dort richtig Sinn macht? Natürlich ist das ein ganz armes Land, natürlich sind da viele Menschen sehr arm, da sterben viele noch an Hunger, viele sterben an Krankheiten, die es bei uns in Deutschland gar nicht gibt. Aber ist das, was da geschieht, sinnvoll? Bringt das eine Änderung? Hilft das? – Ich sehe das leider immer weniger.

    Barenberg: Die Politiker sagen, es gibt Veränderung zum Besseren, trotz allem.

    Groos: Tja, ich sehe es nicht wirklich. Da ist immer noch Krieg, da sterben immer noch Menschen, die sind immer noch krank, die haben immer noch Hunger. Unsere Soldaten sterben. Man sieht vor allen Dingen das Ziel nicht: Wo soll das hin, was will man eigentlich erreichen da?

    Barenberg: Wie würden Sie denn beschreiben, wie diese Anschläge, diese zunehmende Zahl an Anschlägen, die zunehmende Bedrohung im Land auch die Bundeswehrsoldaten verändert hat in ihrem Einsatz? Verhalten Sie sich anders, seit es eine Zunahme dieser Anschläge gibt?

    Groos: Was wir meine Kameraden schreiben auch aus den Einsätzen, daraus entnehme ich, dass sie sehr, sehr stark verunsichert sind und dass sie auch, na ja, ich wollte gerade sagen, Angst haben, aber das wäre nicht ganz richtig, weil in dieser Situation muss man Angst unterdrücken. Die lähmt und macht einen handlungsunfähig. Aber wenn man Zeit hätte, um darüber nachzudenken, dann würden sie Angst haben. So, würde ich sagen, sind sie zum Allermindesten aufs Äußerste angespannt, rechnen jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde mit Anschlägen und damit, dass ihnen auch persönlich was geschieht.

    Barenberg: Wie hat das denn schon damals, als Sie in Afghanistan waren, das Verhalten gegenüber der Bevölkerung dort verändert?

    Groos: Verschieden und auch in Phasen. Zu Anfang waren wir völlig misstrauisch jedem Afghanen gegenüber und konnten überhaupt keine Unterschiede mehr machen, wer ist hier eigentlich gut und wer ist böse, und haben da überhaupt keine Unterschiede mehr gemacht. Dann wurden wir angespannter und einige wurden auch aggressiver in ihrer Vorgehensweise.

    Barenberg: Wie drückt sich das aus?

    Groos: Nicht gerade ganz "Angriff ist die beste Verteidigung", aber auf jeden Fall wurde da mehr aufgerüstet. Es wurde großer Wert darauf gelegt, in gepanzerten Fahrzeugen nur noch zu fahren, immer mit Helm und immer mit Schutzweste und immer mit Waffen und auch Waffen dann entsichert, wenn man rausgefahren ist, alles zum Eigenschutz. Aber von der anderen Seite betrachtet sieht das sicher auch sehr martialisch und sehr bedrohlich aus.

    Barenberg: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Bevölkerung, dass die Menschen in Afghanistan im Einsatzgebiet die Deutschen noch als Befreier wahrnehmen, oder sind das inzwischen Besatzer geworden?

    Groos: Als wir dort in 2002 begannen, waren wir ganz sicher sehr willkommen, nicht gerade als die Befreier, aber als doch die Menschen, die diese neue Freiheit symbolisieren. Und ich glaube, dass jetzt bei den Afghanen das eintritt, was bei uns nach dem ersten Anschlag eingetreten ist, dass sie nämlich alle Soldaten in ihrem Land gleich bewerten und gleich betrachten und alle in einen Topf schmeißen und dass eben genau dieses gerade anfängt, zu kippen.

    Barenberg: Haben Sie Ablehnung gespürt, haben Sie Hass gespürt den deutschen Soldaten gegenüber, sich selbst gegenüber?

    Groos: In meiner Zeit gar nicht und in meiner Rolle als Frau und Ärztin sowieso schon mal gar nicht. Ich wurde überall immer sehr freundlich und sehr warm empfangen. Man hat mir immer zu verstehen gegeben, dass man mich als Ärztin sehr schätzt, als westliche Ärztin sehr schätzt, und dass man auch sehr schätzt, dass wir Frauen in Europa arbeiten dürfen, sogar Soldat sein dürfen, dass wir gleichberechtigt sind und dass man das auch anstrebt in diesem neuen befreiten Afghanistan.

    Barenberg: Es hat ja lange gedauert, Frau Groos, bis die Bundesregierung überhaupt bereit war, getötete Soldaten als Gefallene zu bezeichnen, sie Gefallene zu nennen. Ansonsten ist immer vom Stabilisierungseinsatz die Rede und auch der neue Verteidigungsminister spricht nicht von Krieg, sondern allenfalls von kriegsähnlichen Zuständen. Wie wirkt eigentlich diese Debatte um Worte und Wörter auf Sie?

    Groos: Ich finde, dass die Debatte gerade in der letzten Zeit wirklich immer lächerlicher wird für jemand wie mich. Ich finde es geradezu unerträglich, wie man über die Köpfe der Soldaten hinweg solche lächerlichen Diskussionen führt. Da ist Krieg und da sterben Menschen auf beiden Seiten und das kann man nicht schön reden. Da stehen natürlich unsere hohen Bundeswehrgeneräle in der Pflicht, unsere Politiker, realistisch aufzuklären, und die Politiker in der Pflicht, die Bevölkerung darüber aufzuklären.

    Barenberg: Die ehemalige Bundeswehrärztin Heike Groos. "Ein schöner Tag zum Sterben" hat sie ihren Erfahrungsbericht aus Afghanistan genannt. Er ist im Krüger-Verlag erschienen.

    Homepage von Heike Groos

    Chronologie des Einsatzes auf bundeswehr.de

    Offizielle ISAF-Site der NATO