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"Da wird ein ganz schwerer Fehler gemacht"

Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer hat die Gesundheitsreform der Großen Koalition scharf kritisiert. Auf längere Sicht werde eine systematische Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung organisiert, so dass schließlich die nur von den Versicherten zu zahlenden Kopfprämien sehr schnell steigen würden. Als Ergebnis werde man eine Privatisierung der Gesundheitsrisiken haben, betonte Bütikofer.

Moderation: Elke Durak | 02.01.2007
    Elke Durak: Reformen oder keine mehr, Ende der Zumutungen oder doch noch mehr aushalten müssen? Die große Koalition in Gestalt der beiden Parteivorsitzenden Angela Merkel und Kurt Beck haben es den Bürgern, also uns ja kurz vor dem Jahreswechsel nicht eben leicht gemacht, den gemeinsamen Nenner dieser Regierung zu finden, und vielen Bürgern fällt dies zunehmend schwer. Wären jetzt Bundestagswahlen, kämen CDU und SPD auf 35 beziehungsweise 31 Prozent. Was werden denn die Oppositionsparteien aus dieser Situation machen? Das interessiert mich jetzt. Konstruktiv wollen sie ja sein, das haben sie versprochen. Die Bündnis-Grünen stehen mit 11 Prozent vor der FDP, die hat 10, aber gefühlte 15 oder 20, so hört es sich jedenfalls gelegentlich an, die Linken acht. Am Telefon ist Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Bütikofer, die politische Gretchenfrage sozusagen für Sie: Schluss mit den Reformen oder mehr davon?

    Reinhard Bütikofer: Schönen guten Morgen erstmal. Ich glaube, das ist das übliche Schattenboxen, an das sich die Öffentlichkeit im letzten Jahren schon gewöhnen musste. Ich kann darin eigentlich keine wirkliche Debatte erkennen. Kurt Beck gibt dem Vertreter der Reformmüdigkeit, sagt gleichzeitig aber, alles, was wir uns vorgenommen haben, muss durchgesetzt werden. Frau Merkel markiert die Reformentschlossene, formuliert aber nichts konkret über das hinaus, was im Koalitionsvertrag eigentlich schon festgelegt ist. Das heißt, man weiß gar nicht, was ist da an diesem Schattenboxen eigentlich an wirklicher Differenz dran. Spannend wäre ja, darüber zu reden, welche Richtung die Reformen einschlagen müssen, zum Beispiel, wenn man das nach wie vor nicht abgearbeitete Thema der Gesundheitsreform nimmt, ist das nun eine Reform, weil es allen wehtut und weil es alle für verrückt halten, oder wird auch irgendwas besser dabei. Ich fürchte, dass die Koalition mit dieser Konfusdebatte eigentlich ankündigt, dass es weiter im Kreis rumgeht und dass die Trippelschritte in keine klare Richtung führen werden.

    Durak: Die Oppositionsparteien könnten ja den Kreis durchbrechen, Herr Bütikofer. Also wenn Sie könnten, wie Sie wollen, die Grünen, würden Sie die Reformen fortsetzen oder beenden?

    Bütikofer: Ich sage, welche Reformen ich für sinnvoll halte. Ich halte Mindestlohnregelungen für sinnvoll, das ist eine Reform, die ich für unverzichtbar halte. Ich halte es für sinnvoll, dass wir uns in diesem Jahr vornehmen, dass nicht wieder so und so viele Tausend Jugendliche am Ende des Lehrjahres ohne Lehrstelle da stehen, die eine gesucht haben. Ich halte es für notwendig, dass wir auf dem Arbeitsmarkt, um dabei noch zu bleiben, für Arbeitslose, die lange arbeitslos gewesen sind und die aus subjektiven und objektiven Gründen am ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, in einem so genannten zweiten oder dritten Arbeitsmarkt Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Ich halte es für notwendig, bei den niedrig Verdienenden die Beitragsbelastungen zu senken und durch Steuerfinanzierung zu ermöglich, dass solche Jobs mehr geschaffen werden. Diese Dinge wären notwendig. Ich glaube auch nicht, dass jemand, der für gerechte Reformen eintritt, das unbedingt bekämpfen wird.

    Durak: Das heißt also mehr Zumutungen für die Bürger?

    Bütikofer: Meinen Sie, eine Mindestlohnregelung ist eine Zumutung? Ich halte es für eine Zumutung, dass man heute Hunderte von Tarifverträgen hat, in denen Leute unter fünf Euro in der Stunde verdienen.

    Durak: Die Gesundheitsreform haben Sie angesprochen. Sollte man es besser sein lassen?

    Bütikofer: Ja. Man sollte das besser sein lassen. Ich glaube, da wird ein ganz schwerer Fehler gemacht. Ich verstehe auch die Sozialdemokraten eigentlich nicht mehr, dass sie sich jetzt immer noch weiter in dieses Durcheinander mit reinzerren lassen. Es wird hier auf längere Sicht eine auf längere Sicht systematische Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung organisiert. Man muss nur Frau Merkel genau zuhören. Sie weiß, was sie meint, wenn sie von Zumutung redet. Es werden Zumutungen für die gesetzlich versicherten Privilegien, für die Privatversicherten werden. Da wird am Schluss rauskommen, dass die persönlich zu zahlenden, nun von den Versicherten zu zahlenden Kopfprämien, die in dieses System mit eingebaut werden, die werden sehr schnell steigen, und es läuft hinaus auf eine Privatisierung der Gesundheitsrisiken.

    Durak: Im nächsten halben Jahr wird man die Bundeskanzlerin wahrscheinlich eher auf diplomatischem Parkett im Ausland antreffen als am Tisch mit der Gesundheitsreform. Gemeint ist die EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Vorsitz. Was muss aus Ihrer Sicht die Bundesregierung erreichen?

    Bütikofer: Es gibt zwei Haupttätigkeitsfelder, auf denen die Bundesregierung an konkreten Zielen gemessen werden wird: Das eine ist die Frage der Verfassung, gelingt es ihr tatsächlich, einen Zeitplan und einen Ablaufplan mit den Partnern in der EU abzustimmen, aus dem dann klar wird, wie der weitere Entscheidungsweg geht. Wir sind da bereit, alles zu unterstützen, was darauf hinausläuft, dass wir am Ende im Jahr 2009 tatsächlich eine neue Verfassung haben, egal ob da jetzt Verfassung oder Grundgesetz oder was immer darüber steht, aber in der Substanz eine neue Regelung unserer Zusammenarbeit in der EU, die mehr Transparenz schafft, die mehr demokratische Kontrolle schafft, die auch mehr Fähigkeit zum Zusammenwirken, insbesondere in der Außenpolitik, schafft. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, und das zweite ist die Energiepolitik, da hat das Jahr ja schlecht angefangen, weil die Regierung zwar auf der einen Seite bekennt, sie wolle Energie- und Klimapolitik ernst nehmen in diesem Halbjahr, aber ihre Hausaufgaben nicht macht, und da ist unser Maßstab ganz eindeutig: Schafft es diese Bundesregierung, wie es der Umweltminister mal verkündet hat, eine Vereinbarung zustande zu bringen, wonach Deutschland bis zum Jahr 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduziert und die EU im Schnitt um 30.

    Durak: Schafft sie es?

    Bütikofer: Bis jetzt hat die Kanzlerin sich zu dieser Vorgabe von Sigmar Gabriel nicht bekannt. Wir sind da sehr gespannt. Ich glaube, wenn sie das ernst nimmt, was sie in ihren Ansprachen immer von sich gibt, dann müsste sie sich ein solches Ziel setzen. Es fällt mir allerdings auf, dass die Kanzlerin sich bis jetzt noch immer geweigert hat, sich auf irgendetwas Konkretes verpflichten zu lassen in dieser Frage.

    Durak: Besten Dank für das Gespräch.