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Dadamax, Minimax und Loplop

In den 50er Jahren wurde Max Ernst zum Wegbereiter der Moderne. Der Maler starb am 1. April 1976 in seiner Wahlheimat Frankreich, einen Tag vor seinem 85. Geburtstag. Sein ruheloses Experimentieren mit neuen Techniken, die den schöpferischen Prozess anfachen, ist zur Inspiration für Generationen von Künstlern geworden.

Von Carmela Thiele | 01.04.2006
    Dadamax, Minimax oder Loplop - Max-Ernst lebt fort in der Stilisierung, die er sich selbst gab. Seit Mitte der 50er Jahre ist sein Name eingereiht in die Heldengalerie der Moderne. Mit dem 2002 in Brühl bei Köln eröffneten Max Ernst Museum widmet sich sogar eine wissenschaftliche Institution allein seinem Werk. Am Anfang der Künstlerlegende stand ein ästhetischer Amoklauf, Dada:

    "Dada war der Ausbruch einer Revolte, von Lebensfreude und Wut, war das Resultat dieser großen Schweinerei, dieses blödsinnigen Krieges. Wir jungen Leute kamen wie betäubt aus dem Krieg zurück und unsere Empörung musste sich irgendwie Luft machen."

    Max Ernst stellt 1920 im Kölner Brauhaus Winter eine Holzskulptur aus, mit der Aufforderung an das Publikum, von dem bereitgestellten Beil Gebrauch zu machen. Die provozierten Kunstliebhaber demolieren tatsächlich die Ausstellung der Kölner Dadaisten-Sezession - eine Frühform des Happenings.

    Eine solche Radikalität ist von dem 1891 in Brühl geborenen Max Ernst, der in Bonn Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte studiert hatte, nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Über den Kreis um August Macke war er 1911 in den Bannkreis der Malerei geraten. Die Sinnlosigkeit der totalen Zerstörung im Ersten Weltkrieg verwandelt den Maler in einen Provokateur.

    "Roll nicht von Deiner Spule
    Sonst bricht Dein Backsteinzopf
    Sonst picken Dir die Winde
    Die Flammen aus dem Kropf
    Sonst fließt aus Deinen Röhren
    Der schwarze Sternenfisch
    Und reißt mit seinen Krallen
    Die Erstgeburt vom Tisch."

    Mit diesem surrealen Gedicht – hier zitiert von Max Ernst - kündigt Hans Arp seine Ankunft in Köln an. Roll nicht von Deiner Spule …

    Wie die Bildfragmente in einer Collage sind in dem Gedicht die Worte durcheinander geraten und erzeugen eine rational nicht zu durchdringende Kraft. Zusammen mit dem Journalisten Johannes Theodor Baargeld geben Ernst und Arp die Zeitschrift "die schammade" – Untertitel "Aufbruch der Dilettanten" - heraus. Angeregt von dem Katalog einer Lehrmittelfirma, hatte Max Ernst 1919 begonnen, Collagen für die Dada-Ausstellungen herzustellen, die er später zu Bildnovellen ausweitete.

    "Collage war ein gewisses Verbrechen. Man tat der Natur Gewalt an."

    Die Zerstörung der natürlichen Erscheinungen auf dem Papier ist für Max Ernst das Tor zur Imagination. Im Gegensatz zu den Kubisten, die bereits in den 10er Jahren Zeitungsausschnitte in ihren prismatischen Bildern verwendet hatten, erzeugt Max Ernst Collagen, denen der Schnitt nicht auf den ersten Blick anzusehen ist. So windet sich eine Riesenschlange um die Gestalt eines korrekt gekleideten Herrn. Seiner Bühne beraubt, wirkt er wie ein moderner Laokoon.

    Solche Kunstfiguren, nicht selten Maschinenmenschen, setzt der Künstler in Malerei um, die ihm die Kombination völlig irrealer Elemente erlaubt. Max Ernst ist mehr Surrealist denn Dadaist. Es zieht ihn nach Paris, wo er zunächst bei seinem Freund Eluard wohnt. Allein in einem Café an der Küste der Bretagne, so die Legende, entdeckt er das zweite bahnbrechende Prinzip seiner Kunst, die Frottage.

    "Um die Meditation zu unterstützen, nehme ich von den Brettern eine Reihe von Zeichnungen ab. Wahllos lasse ich Papierstücke auf den Flur fallen und reibe dann mit dem schwarzen Bleistift darüber."

    Strukturen durchrubbeln kann jeder. Max Ernst aber meditierte über die sich ergebenden Formen auf hohem Niveau. Oftmals entstanden aus seinen Frottagen Vogelwesen oder Bäume, Wälder - seine "Histoire naturelle", seine "Naturgeschichte" gewann Form. Der Wald, der beschützt und ängstigt, der modernden Verfall birgt ebenso wie Wachstum - dieses Mysterium des ewigen Kreislaufs der Natur begleitet den Künstler bis ins Exil nach Arizona, wo er in den 40er Jahren lebt.

    "Da fand ich die alte Landschaft wieder, die mir vorgeschwebt hatte, die in meinen Bildern zu finden ist."

    Doch zieht es den Künstler zu Beginn der 50er Jahre zurück in seine Wahlheimat Frankreich, wo er am 1. April 1976, mit Ehrungen überhäuft, einen Tag vor seinem 85. Geburtstag stirbt. Sein ruheloses Experimentieren mit neuen Techniken, die den schöpferischen Prozess anfachen, sie sind zum Steinbruch geworden für Generationen von Künstlern. Die "kaum wahrnehmbaren Verrückungen" des Magiers aber bleiben einzigartig.

    Service:
    Werner Spies (Hg.), Max Ernst, Leben und Werk.
    Köln, 2005
    Lothar Fischer, Max Ernst.
    Rowohlt-Monigraphie, 10. Aufl. 2005