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Dänischer Urnengang inmitten der Krise

Der dänische Premier Rasmussen hätte sich kaum einen schlechteren Zeitpunkt für Neuwahlen aussuchen können: Im Haushalt klafft ein Milliardenloch, Neuverschuldung und Arbeitslosigkeit sind gestiegen: Keine gute Ausganglage für die regierende Koalition aus Rechtsliberalen und Konservativen.

Von Marc-Christoph Wagner | 29.08.2011
    Als Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen am Freitag vorgezogene Neuwahlen für den 15. September bekannt gab, schien jedes Detail seines Auftrittes wohl überlegt. Staatsmännisch war nicht nur der Ort der Bekanntgabe – nämlich Schloss Marienborg, der Sitz des Ministerpräsidenten außerhalb Kopenhagens. Staatsmännisch war auch die kurze Ansprache, in der sich Rasmussen als ruhender Pol in krisengeschüttelten Zeiten präsentierte:

    "Wenn die Welt von einer Vertrauenskrise erschüttert wird, können wir Dänen nicht die Reformen zurückrollen, die das Vertrauen der Märkte in unsere Haushaltspolitik sichern. Wenn die Welt von einer Schuldenkrise erschüttert wird, ist kein Platz für unverantwortliches Wunschdenken vorhanden. Wenn die Welt unter fehlendem Wachstum leidet, brauchen wir keine Steuererhöhungen, die Durschnittsfamilien treffen und unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen."

    Seine Botschaft war ebenso eindringlich wie eindeutig: Dänemark stehe an einer Wegscheide. Entweder, so Rasmussen, entscheiden sich die Dänen für den Weg, den die Regierung bereits eingeschlagen hat: Ein Weg, der auf Haushaltsdisziplin setzt und darauf, die staatlichen Finanzen auch langfristig ausgeglichen zu halten. Oder aber man folge der Opposition, die den Staat unkontrolliert verschulden und die Steuern erhöhen wolle; denen also, die nicht gewillt seien einzusehen, dass sich der dänische Wohlfahrtsstaat in Zeiten der Globalisierung nicht mehr jedes Privileg leisten könne. Eine Darstellung, die die sozialdemokratische Oppositionsführerin Helle Thorning-Schmidt entschieden von sich weist. Wahr aber sei, dass Dänemark Wachstum brauche, und um dieses zu stimulieren, müsse der Staat die Konjunktur mit öffentlichen Investitionen beleben:

    "Wir haben 175.000 Jobs verloren, die Jugendarbeitslosigkeit hat sich verdreifacht. Den Unternehmen fehlen Aufträge und im nächsten Jahr haben wir ein Haushaltsloch von 85 Milliarden Kronen. Nach zehn Jahren mit einer bürgerlichen Regierung steht Dänemark still."

    Die Umfragen deuten seit geraumer Zeit auf einen Regierungswechsel hin. Dennoch zeichnet sich ein spannender Wahlkampf ab, in dem wirtschaftliche Fragen und die Zukunft des Sozialstaates dominieren werden. Themen, bei denen sich durchaus Risse im Oppositionslager abzeichnen. So hat die Vorsitzende der Linksliberalen, Margrethe Vestager, ihren Wählern zwar versprochen, für die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Helle Thorning-Schmidt als Ministerpräsidentin stimmen zu wollen. Gerade in Sachen Reformpolitik aber steht die Partei dem bürgerlichen Lager sehr viel näher – etwa bei der Erhöhung des Rentenalters und der Abschaffung des Vorruhestandes:

    "Es ist unsere Politik, knallharte Prioritäten zu setzen – gerade in der jetzigen Situation. Wenn ein 60-Jähriger heute vorzeitig auf Rente geht, dann kostet das uns als Gesellschaft ebenso viel Geld, wie drei Kinder ein Jahr lang zu unterrichten."

    It's the economy, stupid – dieses Motto des früheren US-Präsidenten Bill Clinton, dass Wahlen aufgrund der wirtschaftlichen Situation eines Landes entschieden werden, scheint nun auch in Dänemark angekommen zu sein. Andererseits wird aber gerade die rechtspopulistische Dänische Volkspartei dafür sorgen, dass die zentralen strittigen Themen der vergangenen Jahre im Wahlkampf nicht ganz unter den Teppich gekehrt werden. Das hat deren Vorsitzende Pia Kjærsgaard am Wochenende bereits verdeutlicht:

    "Es stehen nicht nur wirtschaftliche Fragen zur Wahl. Wir müssen festhalten an einer strikten Ausländer- und Zuwanderungspolitik – und da sehe ich wirklich schwarz, sollte die Opposition an die Macht kommen. Das Gleiche gilt für Fragen der inneren Sicherheit. Wir brauchen vielmehr Polizei auf unseren Straßen, damit die Bürger sich sicher fühlen können."

    Inmitten der Krise also geht Ministerpräsident Rasmussen in die Offensive. Vor gut zweieinhalb Jahren übernahm er das Amt vom heutigen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Nun muss er sich erstmals dem Wählervotum stellen. Und obwohl in Dänemark nach zehn Jahren mit einer bürgerlichen und von den Rechtspopulisten tolerierten Regierung eine Wechselstimmung zu herrschen scheint, hält der Publizist Michael Kristiansen das Rennen nach wie vor für offen:
    "Lars Løkke Rasmussen ist ein gewiefter Politiker, der das Feld stets von hinten aufrollt. Und genau das könnte auch bei dieser Wahl der Fall sein. Jetzt muss er kämpfen und die Wähler davon überzeugen, dass er sein Amt als Regierungschef nicht nur verehrt bekommen, sondern auch verdient hat."