Donnerstag, 25. April 2024

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Däubler-Gmelin

DLF: Frau Ministerin, wir sprechen hier in Ihrer Heimatstadt Tübingen miteinander. In Berlin hat die politische Sommerpause begonnen. Nach dem Steuercoup im Bundesrat hätte der Start in die Ferienzeit für Sie und die Koalition eigentlich kaum besser sein können, oder sind noch Wünsche offengeblieben?

Stephan Detjen | 22.07.2000
    Däubler-Gmelin: Nein nein, Sie haben völlig recht, zumal die Menschen ja auch verstanden haben, dass diese rot-grüne Bundesregierung wirklich was tut. Ich war gerade vor wenigen Tagen in einem sehr großen und sehr guten Betrieb hier in Tübingen. Dort wurde vom Betriebsleiter, aber auch von der Betriebsratsvorsitzenden gesagt: "Jawohl, es geht auch wirtschaftlich voran, und auch der Arbeitsplatzabbau ist gestoppt worden." Also, das sind schon sehr gute Voraussetzungen, und deswegen freue ich mich darüber.

    DLF: Wenn man die Lage jetzt mit der vom Sommer vergangenen Jahres vergleicht, da hat die SPD die Hauptrolle im Sommertheater gespielt. Dann kann jetzt tatsächlich allenfalls noch trübes Wetter die Stimmung vermiesen. Die Krise der CDU im letzten Jahr hat Ihnen das Regieren natürlich leicht gemacht, aber was hat die Koalition auch selbst dazugelernt in diesem letzten Jahr?

    Däubler-Gmelin: Ich habe den Eindruck, dass die Koalition sehr viel professioneller arbeitet. Man muss das Regieren ja auch lernen. Da besteht ja, glaube ich, gar kein Zweifel. Auf der anderen Seite sind die inneren Widersprüche nicht so groß. Wenn wir uns an das letzte Jahr erinnern, da hatten wir ja auch - ausgelöst durch den sehr erstaunlichen Abgang von Oskar Lafontaine und sein weiteres Verhalten ja auch Schwierigkeiten bei den Länderwahlen. Das hat natürlich die Stimmung allgemein betrübt. Vor allen Dingen haben sich die Auswirkungen dessen, was wir im Bereich der Wirtschaft getan haben und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ja noch nicht umgesetzt haben, bemerkbar gemacht. Das ist heute anders, und so wollen wir jetzt Schritt für Schritt weitermachen, obwohl man natürlich wissen muss, Herr Detjen, wenn wir Lösungen vorschlagen, dann stoßen wir natürlich bei Leuten, die hier Interessen verteidigen, auch auf Widerstände. Das ist so.

    DLF: Frau Däubler-Gmelin, Sie haben sich die Ferien ja auch selber mit großen Reformprojekten redlich verdient. Ich glaube, keine andere Ministerin, kein anderer Minister hat gerade in den letzten Tagen vor der Sommerpause so viele und so umfangreiche Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. In der letzten Bundestagssitzung gingen die von den Fraktionen eingebrachten, aber in Ihrem Haus erarbeiteten Gesetzentwürfe zur Reform des Zivilprozessrechts und zur Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare durch die erste Lesung. In dieser Woche hat das Bundeskabinett Ihren Gesetzentwurf zu einer Grundsanierung des Mietrechts beschlossen. Ist das die Sommeroffensive der Bundesjustizministerin?

    Däubler-Gmelin: Nein nein, es kommen jetzt im Herbst noch wichtige andere Punkte, z.B. zur Veränderung des Sanktionensystems. Es kommt auch noch eine Initiative zum Urhebervertragsrecht. Und was Sie hätten auch noch nennen können, ist die Veränderung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten, wo wir ja auch gesagt haben, wir tun das. Das resultiert aus einem ganz einfachen Phänomen. Ich habe gesagt, im ersten Drittel einer Legislaturperiode müssen die geplanten Gesetzgebungsvorhaben vorbereitet und mit den Verbänden besprochen werden. Und im zweiten Drittel müssen sie auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Das zweite Drittel hat angefangen; deswegen kommt jetzt Punkt für Punkt das, was wir in den vergangenen 1 1/2 Jahren in aller Öffentlichkeit, wie Sie wissen, vorbereitet haben, auch ins Gesetzgebungsverfahren.

    DLF: Es ist kein Geheimnis, dass einige der Gesetzgebungsvorhaben, die Sie angesprochen hatten, nach den ursprünglichen Planungen schon weiter auf dem Weg sein sollten. Es ist auch kein Geheimnis, dass es, wenn ich etwa an die eingetragene Lebenspartnerschaft und auch an die Justizreform denke, da ein durchaus zähes Ringen mit Ihrem Koalitionspartner, dem Bündnis 90/Die Grünen gegeben hat. Als Sie in der letzten Woche gesehen haben, wie leicht und geschmeidig sich die FDP auf den Steuerkompromiss mit Ihrem Kollegen Eichel eingelassen hat, haben Sie sich da selber mal gefragt, ob es mit den Liberalen leichter wäre, zu regieren?

    Däubler-Gmelin: Das eigentlich nicht, aber lassen Sie mich zu der Steuerreform und dem Steuercoup etwas sagen. Ich finde es gut, wie die Liberalen das gemacht haben. Allerdings hatten sie es auch leicht, weil die Frage der Mittelstandskomponente ja auch bei uns in der SPD, wie Sie wissen, sehr sehr viel Sympathie hat und sehr viel Unterstützung. Deswegen haben wir da auch aus vollem Herzen zugestimmt. Nein, bei den Vorhaben, die wir im Bereich der Rechtspolitik planen, da gibt es ja eine ganz klare Linie, nämlich das Recht muss auf der Seite der Schwächeren, der Opfer stehen. Es darf nicht Privilegierungen von Leuten, die sowieso stärker sind, unterstützen. Da ist es so - und da haben wir viel vorbereitet -, dass wir nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit den Liberalen - jedenfalls zum Teil mit den Liberalen - gemeinsame Sache machen könnten. Das muss sich aber zeigen. In der Tat ist es so - Sie haben völlig recht - bei den eingetragenen Partnerschaften wäre ich ja für ein Stufenmodell gewesen, und da wären wir in der Tat schon sehr viel weiter, aber allerdings in der ersten Stufe. Das war nun tatsächlich mit den Koalitionspartnern nicht zu bewerkstelligen, weil sie den großen Entwurf haben wollten, und dann eben sehr viel stärker für die Lösung plädiert haben, wenn das dann mit dem Bundesrat nicht zu machen ist, dann eben in eine Stufenlösung überzugehen. Das steht uns jetzt möglicherweise für diesen Herbst bevor. Allerdings werben wir für dieses Gesetz, wie Sie ja wissen, aber in den anderen Punkten sind wir, glaube ich, ziemlich gut im Zeitplan.

    DLF: Kann es sein, dass sich gerade am Beispiel der eingetragenen Lebenspartnerschaft dieses von den Grünen angestrebte Verfahren, einen sehr weitreichenden Gesetzentwurf einzubringen, für die Grünen als politischer Bumerang erweisen könnte, wenn es nämlich so kommt, dass der Gesetzentwurf im Bundesrat zerlegt werden muss? Dann kann doch die FDP genau in die gleiche Schlüsselrolle kommen, in der sie jetzt im Fall der Steuerreform war. Ein Gesetzentwurf der FDP für eine Lebenspartnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren liegt ja vor, und der ist verfassungsrechtlich zumindest erheblich weniger riskant als der Ihrige.

    Däubler-Gmelin: Ja, riskant ist er - glaube ich - nicht, weil, Herr Detjen, es geht bei diesem Entwurf, auch bei diesem umfassenden Entwurf der eingetragenen Lebenspartnerschaft, ja um folgendes: Es geht um das Ende der Diskriminierung, Anerkennung von Partnerschaften mit anderer sexueller Identität, also mit Leuten, die ja nicht heiraten können. Aber um eine ganz klare Feststellung zu machen, es wird hier keine Gleichstellung mit der Ehe vorgenommen. Das wäre die Frage der verfassungsrechtlichen Problematik. Also, er ist es nicht. Der Punkt ist natürlich die Einschätzung, wie sich die Union im Bundesrat in Bezug auf Vorschriften verhält, die ganz klar zustimmungsbedürftig sind. Da ist es nun so, da wird geworben, dass die Union zustimmt. Wenn man da skeptisch ist, was man sein kann, müßte man sich überlegen, wie es dann weitergehen soll. Jetzt wird, das wird wohl der Rechtsausschuss so beschließen, Anfang Oktober eine Anhörung sein, und dann wird hinterher mit allen Parteien geredet und auch mit allen Ländern, was sie bereit sind, mitzumachen. Und je nach dem wird dann ein zustimmungsbedürftiger Entwurf vorgelegt oder eben stufenweise vorgegangen. Das ist so abgesprochen, und ich glaube, das verbindet auch ein klares Verfahren mit der dringend erforderlichen und auch wünschenswerten öffentlichen Diskussion.

    DLF: Frau Däubler-Gmelin, Sie haben gesagt, der Gesetzentwurf nimmt keine Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe vor, aber es ist doch nicht übersehbar, dass in fast allen Bereichen eine - wenn nicht Gleichstellung - doch eine sehr weitgehende Annäherung an den rechtlichen Status von Eheleuten geplant ist. Haben Sie Verständnis für die Kritik derjenigen, die fürchten, dass das vom Grundgesetz besonders geschützte Leitbild "Ehe und Familie" Schaden nehmen, weiter erodieren oder verwässert werden könnte?

    Däubler-Gmelin: Nein, diese Sorge habe ich nicht. Ich meine, das wäre für mich auch völlig untragbar, weil ich - wie Sie wissen - jetzt 31 Jahre verheiratet bin und schon weiß, was Ehe und Familie bedeutet. Aber ich denke, man muss da eben auch sehr klar verfassungsrechtlich unterscheiden. Es gibt immer Menschen, denen das nicht passt. Die sollen dann aber auch sagen, dass es ihnen nicht passt. Dass sie also z.B. gleichgeschlechtliche Identität oder Homosexualität eben nicht als andere Form von Sexualität begreifen, sondern als minderwertige. Das gibt es. Darüber muss man dann reden. Nur wenn man sagt, es ist eine andere Form von Sexualität, aber keine minderwertige, und es muss auch für Menschen, die deswegen nicht heiraten können, weil sei eben nicht heterosexuell veranlagt sind, eine Möglichkeit geben, mit Rechten und Pflichten füreinander einzustehen, dann braucht man ein eigenes familienrechtliches Institut. Und der Unterschied zur Ehe ist der, dass verfassungsrechtlich völlig feststeht, dass Ehe bedeutet, dass ein Mann und eine Frau eine dauernde Lebensgemeinschaft eingehen (wird heute nicht mehr so häufig eingehalten), aber auch in der Absicht, gemeinsame Kinder zu haben und die auch zu erziehen. Nun stimmt diese gemeinsame Lebensgemeinschaft als erster Teil bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften auch, aber der zweite Teil nicht. Das heißt, überall da, wo es um gemeinsame Kinder geht, muss der Unterschied vorhanden sein, und der ist sehr klar vorhanden.

    DLF: Nun wird in der ganzen Diskussion immer Familie und Ehe in einem Atemzug genannt. Und ich frage mich, ob das überhaupt noch so gerechtfertigt ist. Wenn man etwa auch das im letzten Dezember beschlossene familienpolitische Programm der CDU anschaut, dann ist da ja durchaus eine Differenzierung vorgenommen worden, indem gesagt wurde, Familie ist nicht nur überall da, wo eine Ehe besteht. Das ist abgekoppelt worden voneinander und umgekehrt gilt ja auch, dass die Ehe im Recht unabhängig von der Familienplanung der Ehegatten gefördert wird. Das Steuersplitting fällt nicht weg, wenn die Partner sexuell enthaltsam leben oder keine Kinder haben wollen. Müssen wir da nicht diesen Zusammenhang des Leitbildes "Familie und Ehe" ohnehin neu ordnen?

    Däubler-Gmelin: Ich denke, dass das in Bezug auf die Familie ja schon längst der Fall ist. Sie haben jetzt von der ganz normalen Lebensanschauung gesprochen oder von parteipolitischen Programmen. Ich bringe jetzt noch die verfassungsrechtliche Dimension mit rein. Selbstverständlich ist auch eine Mutter und ihr Kind Familie und steht damit unter dem Schutz des Art. 6 Grundgesetzt, und zwar völlig ungeachtet der sexuellen Orientierung der Mutter. Das heißt, wenn ich es jetzt mal für den Bereich der Partnerschaften nehme: Patrik Lindner hat aus seiner sexuellen Identität nie einen Hehl gemacht und hat - was ich sehr bewundere - ein Kind adoptiert, das es sehr gut bei ihm hat. Und dieser Mann und sein Kind sind selbstverständlich Familie und stehen unter dem besonderen Schutz des Art. 6. Also auch das spricht dafür, die Grenze zur Gleichstellung genau da vorzunehmen, wo wir das in dem Gesetz über die eingetragenen Partnerschaften tun, nämlich da, wo es um gemeinsame Kinder geht, die man will und die auch erzogen werden sollen. Das ist in einer gleichgerichteten Partnerschaft nicht möglich.

    DLF: Aber welche Rückwirkungen hat das auf das Bild, das man von der Ehe hat? Ist es nicht faktisch einfach so, dass sich der Staat längst nicht mehr dafür interessiert, was die Ehepartner im Bett miteinander vollziehen bzw. für die sexuelle Orientierung? Anders gefragt: Was geschieht in Zukunft, wenn zum Standesbeamten etwa eine alte Frau mit ihrer jungen Tochter kommt und sagt: "Wir leben auch in einer auf Dauer angelegten Lebenspartnerschaft mit hohen rechtlichen Pflichten zusammen, bis dass der Tod uns scheidet. Jetzt wollen wir aber auch den steuerrechtlichen Splittingvorteil für eingetragenen Partnerschaften haben."?

    Däubler-Gmelin: Nein, die Definition der Ehe ist ja genauso klar wie die Definition auf der anderen Seite der eingetragenen Partnerschaft. Und beide setzen sie die Geschlechtsgemeinschaft voraus. Nun kann man das wollen oder nicht. Aber dass es selbstverständlich möglich ist, zu sagen, dem Staat ist die Förderung von personalen Bindungen, von Menschen, die auch unter Einbeziehung ihrer sexuellen Identität für einander einstehen wollen, mit Rechten und Pflichten auch etwas wert. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Selbstverständlich ist es sehr schön, wenn eine Tochter ihre Mutter pflegt. Genauso gut wie die Tatsache, dass sich eine Mutter um ihre Tochter kümmert. Dafür gibt es Unterhaltsregelungen und auch Unterhaltsverpflichtungen rauf wie runter, natürlich auch mit den entsprechenden steuerrechtlichen Korrelaten.

    DLF: Frau Däubler-Gmelin, um die Lebenspartnerschaft wird es in den nächsten Monaten noch heftige Diskussionen geben. Um andere Reformprojekte, insbesondere die Justizreform, hat es schon heftige Diskussionen gegeben. Wenn ich das richtig beobachtet habe, hat Sie die scharfe Kritik - etwa von Seiten der Berufsverbände - durchaus auch persönlich getroffen. Hat es Sie überrascht, dass man im sonst eigentlich ruhigen Gewässer der Rechts- und Justizpolitik auf so viel Gegenwind stoßen kann?

    Däubler-Gmelin: Ja, aber wissen Sie, Kritik stört mich eigentlich nie. Wenn da der eine oder der andere außerordentlich persönlich wird, dann verblüfft mich das gelegentlich, aber das bin ich gewöhnt. Ich glaube, da spielt auch viel eine Rolle, dass Männer meinen, sich durchsetzen zu müssen. Das darf man nicht so ernst nehmen. Die Justizreform als solche hat, glaube ich, von der sachlichen Kritik sehr viel profitiert. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die ganze Geschichte angestoßen wurde durch meinen Vorgänger, die FDP. Dann auch durch die Kommission "Schlanker Staat", deren Vorsitzender Herr Scholz (CDU) war, dann durch den Wunsch der Länder, eine Menge an Veränderungen vorzunehmen. Da gab es dann eine Bund-Länder-Kommission. Dann lag ein einstimmiger Beschluss der Justizministerkonferenz vor, auf der Basis eines bestimmten Arbeitsberichtes, einen Referentenentwurf vorzulegen. Das habe ich getan. Bevor wir den vorgelegt haben - das war Ende des letzten Jahres -, haben die Angriffe schon sehr begonnen. Soweit die sich auf die dringend erforderliche Modernisierung der Justiz und auf bessere Konzepte bezogen haben, werden Sie gesehen haben, haben wir sie gerne übernommen. Und das ist auch jetzt im Gesetzgebungsverfahren der Fall. Ich darf einfach sagen, worum es geht. Es geht darum, dass wir feststellen müssen, dass die Justiz, die ja nun eine ganz tragende Säule unserer rechtsstaatlichen sozialen Demokratie ist, und auch die Anerkennung braucht, die ihr verfassungsmäßig zusteht, dass die an Einfluss verliert. Das hängt auch ein bisschen damit zusammen, dass die Art, wie dort gearbeitet wird, nicht mehr sehr modern ist. Natürlich ist das zunächst einmal Sache der Länder, weil dort EDV eingeführt werden muss, und die Organisation verändert werden muss und vieles mehr. Aber auch der Bund hat seinen Beitrag dazu zu leisten. Deswegen haben wir gesagt, werden wir diese Justizreform vorantreiben. Dass ist dort jetzt im einzelnen noch große Bedenken gibt, das ist so. Aber ich denke, mit den vernünftigen Menschen, denen es um die Justiz geht, kann man sehr gut reden, auch auf diesem Gebiet.

    DLF: Sie haben gesagt, der Justiz fehlt die Anerkennung, die ihr zukommen müßte. Einer der Kritikpunkte, die auch Ende dieser Woche bei der Einführung des neuen Präsidenten des Bundesgerichtshofs Hirsch wieder genannt wurde, ist, dass in verschiedenen Ländern - auch in SPD-regierten Ländern - versucht wurde, eigenständige Justizministerien abzuschaffen. Teilen Sie diese Kritik?

    Däubler-Gmelin: Also, ich halte es nicht für glücklich. Einfach deswegen, weil ich die Formulierung von Herrn Hirsch auch sehr gut fand, dass es sich dabei um eine Art von feindlicher Übernahme durch das Innenministerium gehandelt hätte. Das ist ja in einigen Bereichen der Fall gewesen; in anderen ist die Zusammenlegung mit anderen Bereichen eher das Problem. Ich glaube, dass die Justiz eine eigenständige Aufgabe hat. Nur, sie muss auch die Bereitschaft, zu Modernisieren deutlich machen. Aber wissen Sie, bei aller Kritik muss ich sagen, ich habe selten so viel Zustimmung aus dem Bereich der Justiz gehört wie in den letzten Monaten. Erst gestern Abend hat ein Amtsgerichtsdirektor gesagt: Endlich einmal würde hier diese unterschiedliche Arbeitsbelastung zwischen den Gerichten sehr deutlich in den Vordergrund gestellt und großer Wert darauf gelegt, dass da, wo die allermeisten Menschen, wenn sie zu Gericht müssen, zu Gericht gehen, nämlich bei den Amtsgerichten die Bedingungen verbessert werden. Also, das sind Dinge, die manchmal in der Öffentlichkeit etwas untergehen, weil dort natürlich mehr die Kritik im Vordergrund steht, aber die Diskussion ist dringend erforderlich. Und ich glaube, es ist gut, dass sie öffentlich geführt wird.

    DLF: Frau Däubler-Gmelin, wenn wir hier so über Reformprojekte - auch gesellschaftliche Reformprojekte - sprechen, steht dahinter ja auch ein Wandel unserer Gesellschaft. Dieser Wandel wird sich in Zukunft noch beschleunigen durch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Ich denke etwa an die Gen- und Biotechnologie, an die Fortschritte in der Kommunikationstechnologie wie z.B. das Internet. Reichen die herkömmlichen Instrumentarien des Rechts, also gesetzliche Verbote und Gebote vorwiegend auf nationaler Ebene, überhaupt noch aus, um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten?

    Däubler-Gmelin: Ja und nein. Ich will vielleicht anfangen, weshalb ja. Schauen Sie, es geht immer um die gleichen Probleme z.B. Gewaltbekämpfung, z.B. Sicherung der gleichen Rechte von Schwächeren, z.B. Garantie des Zugangs zu den Gerichten, um jetzt einfach drei Bereiche zu nehmen. Die Tatsache, dass wir hier, insbesondere im Internet, jetzt ein völlig neues Medium haben, ändert an diesen Prinzipien nichts, weil wir auch einfach werden sagen können, dass, was offline verboten ist, also nicht geht bzw. was die Gesellschaft nicht will und nicht duldet, beispielsweise Gewalt, das will sie auch online nicht dulden. Also vom Recht und den Rechtsprinzipien her gibt es da durchaus Möglichkeiten, das zu integrieren. Schwierig wird es eben nur deshalb, weil dieses Medium ein völlig internationales - ja ein globales - ist. Das heißt, wir müssen jetzt zwei Dinge tun: Auf der einen Seite ganz klar sagen, wir wollen z.B., dass Kinderpornographie auch im Internet verboten ist, dann müssen wir mit allen anderen Staaten hier auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Und das ist schon in Europa sehr schwer, aber wir probieren das. Und zum zweiten muss man, weil es ja nicht nur darum geht, dass hier in Deutschland irgend jemand etwas ins Internet stellt, was Kinderpornographie und deswegen strafbar ist, sondern weil das in Australien sein kann und dann hier abgerufen wird, muss man auch in der Verfolgung über die Grenzen zusammenarbeiten. Und deswegen ist der Blick, auch gerade für die Rechtspolitik und für die Justiz der Blick über die Grenzen das eigentlich Neue, was dazu kommen muss und die Bereitschaft, miteinander zu kooperieren.

    DLF: Es gab ja bisher immer die Vorstellung, dass man im Internet allein aus technischen Gründen an illegale Inhalte überhaupt nicht rankommen kann. Es gibt Zeichen dafür, dass sich das wandelt. Die Phonoindustrie etwa hat Verfahren entwickelt, von denen sie sagt, man könne damit wirksam den Zugang zu Web-Sites blockieren, auf denen Raubkopien, illegale Musikdateien, angeboten werden. Ist das eine technische Entwicklung, von der Sie sich vorstellen könnten, dass sie konkret - möglicherweise auch in absehbarer Zeit - etwa zur Bekämpfung von politischem Radikalismus oder Gewaltinhalten im Internet eingesetzt werden kann?

    Däubler-Gmelin: Also, im Moment lässt sich das noch nicht absehen. Es gibt hier ganz viele und sehr interessante und sehr differenzierte, technische Möglichkeiten, die sich dann keineswegs allein auf Musik, sondern z.B. auch auf den Bereich von Filmen oder auch von Schriften beziehen könnten. Man muss hier sehr sorgfältig abwägen. Auf der einen Seite wollen wir ja diesen unglaublichen Fortschritt, diesen enormen Nutzen des Internet für die Kommunikation zwischen den Menschen erhalten. Information und Kommunikation kann heute auch von Diktaturen ja an den Grenzen nicht mehr abgehalten werden. Und auf der anderen Seite wollen wir nicht, dass diese globale Internetgesellschaft dann nach dem Recht des Stärkeren funktioniert, dass hier Menschen zu Opfern gemacht werden, ohne dass sie sich wehren können, und dass hier strafbare Verabredungen, z.B. im rechtsextremistischen Bereich getroffen werden, gegen die wir dann keinen Schutz mehr sehen. Das heißt, diese Grenze muss eingehalten werden. Im Moment sind wir dabei, auch in Japan, auch im Bereich der Europäischen Union sorgfältig zusammenzustellen, welche technischen Möglichkeiten gibt es z.B. gegen Verletzung von Urheberrechten, gegen Kinderpornographie und andere Straftaten. Oder z.B. auch, um Jugendschutzüberlegungen durchzusetzen, die ja nun auch einen ganz anderen technischen Weg brauchen. Welchen wir wählen, ich glaube das ist noch zu früh, das deutlich zu sagen. Wir haben gerade eine große Konferenz über das Problem, wie gehen wir gegen Hass im Internet vor, gemacht und waren dort sehr erfreut über die Resonanz auch der Internetanbieter und auch der Geräteindustrie und auch der Provider, die alle gesagt haben: "Wir wollen zunächst mal versuchen, uns mit einer Art von Ehrenkodex von eigenen Richtlinien gegen solche Leute zu wehren, weil wir ganz genau wissen, wenn das so weitergeht, müssen die Staaten eingreifen. Dann wäre der Nutzen des freien Internet natürlich stark beeinträchtigt.

    DLF: Sie haben die Konferenz zum Thema "Hass im Internet" erwähnt, die mit einer Berliner Erklärung gegen Hass im Internet geendet hat. Springt der Staat nicht da auch außerhalb seiner rechtlichen Regelungsmöglichkeiten auch in eine moralische Bresche hinein, die vielleicht auch immer breiter wird, je mehr traditionelle Träger von Werten, Moral, Kirche, Gesellschaft, Familie an Bedeutung verlieren?

    Däubler-Gmelin: Der scheidende Präsident des Bundesgerichtshofs hat vor einigen Tagen sehr richtig darauf hingewiesen, dass das Gesetz nicht das heilen kann, was an Werten verloren gegangen ist. Wir können nur darauf aufmerksam machen, und ich glaube, dass ist auch Aufgabe der Politik. Ich denke, dass es wichtig ist, Gewalt in sämtlichen Bereichen des Lebens zu bekämpfen. Wir tun das ja, wie Sie wissen, jetzt auch, indem wir ganz klar sagen, Gewalt ist z.B. kein Mittel der Erziehung. Wir tun es im persönlichen Bereich, in dem Bereich zum Schutz von Frauen vor Schlägern zu Hause. Wir tun es aber natürlich auch im Bereich des Internet durch Kooperation mit anderen Staaten. Ich glaube, dass dieses Vorhaben des Staates auch Bündnis gegen Gewalt im Bereich des Rechtsextremismus sein muss, weil man heute sehr viel mehr durch Öffentlichkeit bewegen kann, und zwar national und über die Grenzen hinweg als nur mit Gesetzen.

    DLF: Es gibt ja Anzeichen, die dafür sprechen, dass im Internet auch ganz neue Formen von Selbstorganisation und Selbstregulierung entstehen. In zwei Wochen läuft eine weltweite Wahl für das sogenannte ICANN-Direktorium ab, eine Institution, die weltweit für die Vergabe von Namen im Internet zuständig ist. Manche Beobachter sehen das als Grundstein für eine Art Verfassung, eine Weltverfassung für das Internet. Sehen Sie das ähnlich?

    Däubler-Gmelin: Das ist interessant, und ich bin auch sehr für gesellschaftliche Selbstregulierungsmechanismen, und wenn die über die Grenzen hinauslaufen, glaube ich, müssen wir uns die sehr offen und sehr sorgfältig anschauen. Ob das jetzt so eine Art Verfassung wird, weiß ich nicht. Ein bisschen hoch gegriffen ist es. Eine Form eigenständigen Mindeststandard zu setzen ist es, und das finde ich gut.

    DLF: Frau Däubler-Gmelin, während diese Sendung läuft, findet hier in Baden-Württemberg in der SPD eine Urwahl statt. 51.000 Parteimitglieder sollen entscheiden, wer der Spitzenkandidat der SPD bei der kommenden Landtagswahl sein wird. Die aussichtsreichsten Kandidaten sind die Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende Ute Vogt und der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Siegmar Moosdorf. Mit welchem Kopf und mit welcher Strategie hat Ihrer Ansicht nach die SPD im nächsten Jahr die besten Chancen, die Landtagswahl zu gewinnen und die CDU abzulösen?

    Däubler-Gmelin: Also, ich glaube, dass beide vorzüglich sind. Sie werden verstehen, ich habe zwar meinen Tipp und auch meine Vorliebe, habe auch schon meine Stimme abgegeben, aber solange diese Urwahl nicht abgeschlossen ist, will ich das nicht öffentlich machen. Beide - Sachverstand und ganz klare, frische, neue Gedanken - werden in Baden-Württemberg die SPD nach vorne bringen, und das wollen wir tun.