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Daimlers selbst fahrender Lkw
Autonomie mit Schwächen

Seit Monaten macht Daimler ein Geheimnis um seinen autonom fahrenden Lkw. Der fährt nur zum Teil selbst: Er kann Abstand, Spur und Geschwindigkeit halten - ein autonomer Spurwechsel ist noch nicht möglich. Eine Probefahrt.

Von Maximilian Schönherr | 16.11.2015
    Martin Zeilinger, Leiter der Lkw-Vorentwicklung bei Daimler, am Steuer des zum Teil autonom fahrenden Lkw
    Martin Zeilinger, Leiter der Lkw-Vorentwicklung bei Daimler, am Steuer des zum Teil autonom fahrenden Lkw (dpa/picture alliance/Maximilian Schönherr)
    Autobahn A8, München-Stuttgart. Jetzt fährt der Mercedes-Benz-LKW "Actros" ein - ein Serienfahrzeug, mit Aufleger und insgesamt fünf Achsen. An den Seiten und hinten in großem Schriftzug "Shaping Future Transportation" (Wir formen die Zukunft des Transports) und das Logo "HP", für "Highway Pilot", also Autobahnpilot. Damit ist das System gemeint, mit dem der Truck autonom fährt, also ohne Lenk-, Brems- und Beschleunigungseingriffe des Fahrers.
    Martin Zeilinger, Leiter der Lkw-Vorentwicklung, bittet mich, die vier Stufen ins Cockpit hochzuklettern. Er selbst besitzt einen LKW-Führerschein und eine Zulassung für die Bedienung des Autopiloten.
    Es gucken eine Stereokamera in die Welt hinaus nach vorn und ein Radarsensor nach vorn.
    Die beiden Kameralinsen befinden sich an der Unterkante der Frontscheibe, der Radarsensor etwas tiefer. Keine Bildgebung von den Seiten und auch nicht von hinten. Und kein Laser, wie er bereits in Serie bei Pkw zu finden ist.
    Martin Zeilinger: "Also, noch lenken Sie."
    Ja.
    Maximilian Schönherr: "Worauf warten wir?"
    Wir warten, bis das System anzeigt, dass es übernehmen kann. Dieser Automatisierungsmodus funktioniert jetzt. Sie sehen das hier an dem blauen Symbol. Das ist unser Symbol für diesen Highway Pilot. Ich hab den jetzt aktiviert, und das System fährt eben automatisch.
    Spurwechsel ausgeschlossen
    Wir haben vor uns kein relevantes Objekt. Die Autos, die hier fahren, fahren entweder weg von uns, oder sind in einem entsprechend großen Abstand. Das heißt, jetzt wird die Geschwindigkeit von 85 km/h, die ich hier eingestellt habe, geregelt. Wir fahren im Tempomatbetrieb in der Längsregelung. Und wir fahren eben automatisch in dieser Spur, zentriert, mit der Querregelung.
    "In welche Entfernung guckt Ihr Dreiersystem, also die beiden Videokameras und das Radar?"
    Die Kamera erfasst so ungefähr 100 Meter und das Radar 250.
    Offenbar reicht diese bescheidene Sensorik aus, den schweren Lkw stabil seine Spur halten zu lassen. Man spricht von Autonomie Level 2; Spurwechsel ausgeschlossen. Obwohl die Autobahn einigermaßen gerade ist, korrigiert der Bordcomputer über die elektrifizierte Lenkung immer ein paar Grad nach, wie der Fahrer das eben auch tun würde.
    "Das heißt, die Videokamera kommt zu ihrem Schluss, der Radarsensor zu seinem Schluss... Gucken Sie, jetzt hat das System erkannt: Da vorne ist Ausfahrt, die für mich relevant ist, sagt "Take Control", das heißt, ich schalte das System wieder ab und bin jetzt wieder im ganz normalen manuellen Modus."
    "Was wäre, wenn Sie nicht übernommen hätten?"
    "Dann hätte das System in der Eskalation "rot" gemeldet, hätte dann eine Teilbremsung eingelegt und das Fahrzeug mit Warnblinkleuchten zum Stillstand gebracht."
    Ein unspektakulärer Ausflug
    Auf der Rückfahrt streikt der Autopilot. Das Problem kenne ich auch von autonom fahrenden Pkw der Konkurrenz. Nicht untypisch für Prototypen.
    "Da muss ich nachher meine Kollegen fragen, weil wir uns jetzt eine kleine Störung eingefangen haben."
    "Was muss der Gesetzgeber machen, dass das in Serie geht?"
    "Also Level 3 geht heute nicht. Aber so ein Level 2-System können wir heute in den Verkehr bringen."
    Und ich mach den Motor aus.
    Ein kurzer, unspektakulärer Ausflug war das. Nicht nur Daimler arbeitet an Lastkraftwagen, die brav den Abstand, die Geschwindigkeit und die Spur halten, sie aber nicht autonom wechseln können. Der Markt für dieses autonome System ist groß; wir werden schon im nächsten Jahr Lkw auf den Straßen sehen, deren Fahrer nur beim Überholen lenken - und ansonsten Zeitung lesen können. Für die Trucker wird das ein Geschenk des Himmels sein, denn die meisten Unfälle passieren durch kleine Unachtsamkeiten und Müdigkeit. Der Highway Pilot kennt keine Müdigkeit.