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Dame mit Schwert

Die Dame mit dem Schwert, ja mit dem abgeschnittenen Männerkopf, hat sich tief ins kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben. Judith gilt als Inbegriff der femme fatale, der männermordenden Monsterfrau, die in jeder Hinsicht der auf Rollendifferenz und Hierarchie bedachten Geschlechterordnung widerspricht. Gleichzeitig kommt dieser Figur, deren Geschichte nicht Eingang in die kanonischen Texte der Bibel gefunden hat, eine besondere Popularität im Kontext der alten jüdischen Traditionen zu. Auf zahllosen Bildern seit dem Mittelalter verewigt, steht sie für die unterschiedlichen Aspekte einer wehrhaften bis emanzipierten Weiblichkeit ein.

Von Michael Wetzel | 08.09.2004
    Zahllos sind auch die Untersuchungen zu den jeweiligen Bildtraditionen oder den literarischen Ausgestaltungen des Stoffes. Immer steht aber die weibliche Figur der Judith im Mittelpunkt. Dem will Bettina Uppenkamp bewusst entgegentreten, indem sie in ihrer Studie die Betonung auf die Paarbildung von Judith und Holofernes legt. Zu schnell vergisst man nämlich über der feministischen Suche nach legendären Vorbildern und Identifikationsfiguren im Widerstand gegen Männerherrschaft und männliche Gewalt die exemplarische und vor allem ikonographische Bedeutung der in Holofernes Bild gewordenen Darstellung unterworfener, sprich kastrierter Männlichkeit. An diesem Element, ja Supplement macht die Autorin einen Wandel wenn nicht gar ein Schwanken in der Rezeption des Judith-Stoffes fest, das von der Heldenhaftigkeit der David-gleichen Vorkämpferin gegen die Tyrannei der Fremdherrschaft bis hin zum abschreckenden Vorbild weiblichen Aufbegehrens gegen die gesellschaftliche Ordnung der Geschlechter reicht.

    Ihren Ausgang nimmt Uppenkamps Untersuchung von der mittelalterlichen Tugend- und Laster-Allegorie, in der Judith am Anfang noch ganz als der Inbegriff der moralisch integren und religiös rechtgläubigen Witwe erscheint, um erst in der italienischen Renaissance der Vieldeutigkeit einer "Kopfjägerin" zu unterliegen. Für die protestantische Tradition hingegen gilt Judith noch als Heldin der konfessionspolitischen Auseinandersetzungen mit einer zugleich klaren Macht-Position im Konflikt der Geschlechter. Dabei zeigt sich jedoch bildmotivisch eine ganz unterschiedliche Funktion, je nachdem ob eine drastische Inszenierung des Akts der Enthauptung, eine exhibitionistische Darbietung des abgeschlagenen Hauptes des Holofernes oder die Tatsache im Vordergrund steht, dass es die Tat einer gewalttätigen Frau ist. Für die sicherlich bekannteste Bildtradition, die von Caravaggio ihren Ausgang nimmt, dominieren die Momente des Gewalthaften, die in der außergewöhnlich grausamen Darstellung der Enthauptung zum Ausdruck kommen und in der Weiterführung etwa durch Artemisia Gentileschi noch eine besondere Note erfahren, insofern hier eine selbst zum Opfer männlicher Gewalt gewordene Frau natürlich den Verdacht einer Darstellung von Rachephantasie kaum abstreifen kann.

    Die Autorin besticht in ihrer Analyse vor allem durch die Vielgestaltigkeit der Aspekte und Diskussionszusammenhänge. Das fundamentale Interesse beschränkt sich nicht nur auf einzelne Bildgestaltungen, die im italienischen Barock aufgesucht werden, sondern es geht um die zugrundeliegende "Erzählung", das heißt einen sich durchziehenden Code, der unter anderem auch die Problematik der Darstellung von Kastration in beiden Aspekten, der männlichen Verlustängste und der weiblichen Minderwertigkeitskomplexe diskutiert. Überhaupt gilt der Untersuchung gewissermaßen erkenntnisleitend das attackierte Männliche als der "blinde Fleck" des Plots, der natürlich selbst wieder verschiedenen historischen Lesarten unterliegt. Neben den tugendhaften seien noch einmal die politischen Momente erwähnt, die wiederum von ihrem, für das jüdische Volk heilsbringenden Aspekt in einen für den männlichen Protagonisten todesbringenden umschlagen. Nicht vergessen werden in der Analyse aber auch die latenten Prozesse der geschlechtlichen Transgression, die in Judiths Männlichkeit und Holofernes’ Weiblichkeit qua Kastriertheit zum Ausdruck kommen. In Detailanalysen auch der Entstehung der Bilder zeigt die Autorin diesen Prozess der Metamorphose oder Mutation in einzelnen, um zugleich den sozialhistorischen Kontext einer Rhetorik der Affektlehre, eines Durchbuchstabierens der zum Ausdruck kommenden Leidenschaften mitzubedenken.

    Die Studie wird abgeschlossen von einem Katalog der bildlichen Darstellungen von Judith und Holofernes in Italien von 1560 bis 1700 und bietet damit nicht nur eine avancierte Diskussion des Stoffes, sondern zugleich eine äußerst materialreiche Untersuchung der ikonographischen Tradition.

    Bettina Uppenkamp
    Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barocks
    Reimer Verlag, 290 S., EUR 49,-