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"Damit Neapel wieder uns gehört"

Seit Wochen tobt in Neapel ein Bandenkrieg, fast täglich sterben Menschen und ihre Mörder werden immer jünger. "Neapel sei nicht der Wilde Westen", erklärte Italiens Innenminister Amato bei seinem Besuch in der drittgrößten Stadt des Landes und stellte sein Programm zum Kampf gegen die Camorra vor. Doch auch in den von der Camorra kontrollierten Stadtteilen selbst regt sich Widerstand.

Von Kirstin Hausen | 14.11.2006
    Kinoabend im Kulturzentrum "Peppino Impastato" von San Giovanni al Teduccio. Das heißt, eigentlich stehen nur zehn Plastikstühle vor einem gebrauchten Fernseher. Es läuft ein Film über Raffaele Cutolo, den mächtigsten Camorra-Boss, den Neapel jemals hatte. Die Camorra studieren, um sie zu bekämpfen, das wollen die jungen Leute, die eine verlassene Garage zu einem Kulturzentrum umgebaut und nach Peppino Impastato benannt haben.

    "Das war ein junger Mann mit einer Vision, sagt Stefano: "ein junger Sizilianer, Sohn eines Mafioso, der mit seiner Familie brach und sich entschied, die Mafia zu bekämpfen."

    Stefano, 17 Jahre alt, möchte ihm nacheifern. Er entwirft Flugblätter mit Texten, in denen er anprangert, was alles falsch läuft in seinem Viertel. Es ist nicht das schlimmste in Neapel, aber es hat keinen guten Ruf. Früher gab es hier eine große Konservenfabrik. Stefanos Vater arbeitete dort viele Jahre. Jetzt ist die Fabrik zu, Stefanos Vater ohne Job. Arbeitslosengeld gibt es in Italien nur einige Monate, danach muss jeder sehen wie er klar kommt. Stefanos Vater versteckte immer mal wieder für ein oder zwei Tage Plastiktüten mit weißem Pulver im Wäscheschrank. Diese Gefälligkeit wurde gut bezahlt, aber dann kam es zu einer Razzia. Jetzt wartet er auf seinen Prozess. Stefano und sein älterer Bruder Piero sind wütend auf den Vater. Und auch auf die Mutter, die alles wusste und nicht protestierte.

    "Sie sagt, dass es die Kriminalität in diesem Viertel nur gibt, weil es keine Arbeit gibt."
    "Das ist das Hauptproblem: die Camorra, die Mafia nistet sich da ein, wo Armut herrscht, wo der Staat nicht hilft, obwohl er müsste. Und wenn Du gegen die Camorra bist, dann bist Du gegen das alles: gegen die Arbeitslosigkeit, gegen die Gesetzlosigkeit."

    Stefano und Piero bezeichnen sich als Kommunisten. Aber mit den Kommunisten in der jetzigen Regierung wollen sie nichts zu tun haben. Überhaupt - die Regierung. Die ist für die jungen Neapolitaner weit weg. Von dem Plan des Innenministers, mehr Polizei nach Neapel zu schicken, um die Ordnung wieder herzustellen und die Straßen sicherer zu machen, halten sie nicht viel. Dabei wissen sie sehr genau, wie gefährlich ihr Viertel ist. Besonders für diejenigen, die Flugblätter gegen die Camorra verteilen und zu Infoabenden in das Kulturzentrum einladen.

    "Die Leute hier, die offen Position beziehen, bezahlen dafür oft mit dem Leben. Die Camorra kontrolliert dieses Viertel, wenn sie jemanden umbringen will, dann tut sie es und die Polizei guckt zu. Die Polizei, die Carabinieri sind machtlos. Wir werden immer dagegen sein, so lange wir hier bleiben, solange wir hier bleiben können."

    Piero hat bereits eine Warnung von der Camorra erhalten. Sein altersschwaches Moped wurde in Brand gesteckt. Mitten auf der Piazza von San Giovanni al Teduccio.

    Hier spielen nach der Schule die Kinder, hier treffen sich Mütter und Rentner zum Plaudern. Süditalienisches Alltagsleben. So mancher Neapel-Besucher wird das laute, bunte Treiben fehl interpretieren, möglicherweise entspannt nennen. In Wirklichkeit sind die Menschen hier immer auf der Hut, ihre Augen wandern die Straßen auf und ab, ihre Ohren sind gespitzt.
    Wer in San Giovanni groß wird, muss sich irgendwann entscheiden: für oder gegen die Camorra. Der 22jährige Cristiano, der das Kulturzentrum "Peppino Impastato" erst seit zwei Wochen besucht, hat damit lange abgewartet.

    "Ich will mich nicht schämen müssen, Neapolitaner zu sein", sagt Cristiano: "Neapel gehört uns. Aber diesen Kampf gewinnen wir nur gemeinsam. Jeder muss seinen Teil beitragen, damit Neapel wieder uns gehört"