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"Dampfender Steinhaufen" im Meer

In der zweiten Hälfte des Jahres 1831 war die Landoberfläche Europas einige Quadratmeter größer als sonst. An der Südspitze Italiens nämlich war mitten im Meer eine kleine Insel aufgetaucht, die schon bald für diplomatische Unbill sorgte.

Von Xaver Frühbeis | 13.07.2006
    Ende Juni 1831 bebte etwa 50 Kilometer vor der Küste Siziliens, zwischen der Insel Pantelleria und der Stadt Sciacca, die Erde so stark, dass die Schiffe im Hafen von Sciacca Schaden nahmen. Einige Tage später stellten einheimische Fischer fest, dass es draußen auf dem Meer nach Schwefel roch.

    Am 13. Juli konnte man vom sizilianischen Festland aus eine riesige Rauchsäule über dem Wasser sehen. Der Kapitän der maltesischen Brigg "Gustavo", die nahe an dieser Stelle gekreuzt hatte, berichtete von einem starken unterseeischen Gurgeln und Blubbern. Zwei Tage später bemerkten Fischer, dass an jener Stelle viele tote Fische im Wasser trieben. Weitere zwei Tage später kam das, was Rauch und Gurgeln verursacht und die Fische getötet hatte, an die Oberfläche.

    "Es war ein Vulkankrater, der sich langsam aus dem kochenden Meer erhob. Der Krater warf große Mengen Rauch, Asche und glühende Steine in die Luft und wuchs beständig an, begleitet von heißem Wasserdampf und heftigem Donnern."

    Das Schauspiel konnte gar vom Festland aus beobachtet werden:

    "Nachts waren weithin helle Feuersäulen zu sehen, die aus dem Krater ausgeworfen wurden."

    Die Eruptionen hielten mehrere Wochen lang an, und als die Insel Ende August einen Umfang von 5000 Metern und eine Höhe von 63 Metern erreicht hatte, war sie fertig.

    In der Zwischenzeit waren die berühmtesten Geologen Europas an Ort und Stelle aufgetaucht, um diesen einmaligen Geburtsvorgang zu beobachten, um die Insel zu erforschen und natürlich für ihr Vaterland in Besitz zu nehmen. Der Deutsche Friedrich Hoffmann, seines Zeichens Vulkanologe des Königreichs beider Sizilien, taufte sie...

    "'Ferdinandea', zu Ehren des sizilianischen Königs Ferdinand."

    Ein englischer Kapitän brachte Wissenschaftler der Londoner Geographischen Gesellschaft auf die Insel, die pflanzten den Union Jack an ihrem Strand auf und nannten sie

    "'Graham', zu Ehren von James Robert George Graham, dem Ersten Lord der Admiralität."

    Auch die Franzosen kamen vorbei, erklärten den dampfenden Steinhaufen zu französischem Territorium und gaben ihm den Namen...

    "'Giulia', weil er an einem Julitag aus dem Meer getaucht war."

    Touristen wurden in kleinen Booten dorthin gefahren, unter ihnen der englische Romancier Sir Walter Scott, der aus gesundheitlichen Gründen auf Sizilien weilte, und außerordentlich beeindruckt war. Zwei seiner Landsleute wagten es sogar, trotz der Hitze und des bestialischen Gestanks, der von den Steinen ausging, am Strand der Insel ein kleines "Breakfast" zu sich zu nehmen.

    "Die Insel besteht vorwiegend aus Asche, zerkleinerten Brocken Eisenschlacke und einer Art eisenhaltigen Lehms."

    Die Geologen waren erstaunt:

    "Es gibt keine Spur von Lava, Bimsstein oder Muschelschalen, wie man es vom Ätna oder vom Vesuv her kennt."

    Und noch etwas erregte ihre Aufmerksamkeit:

    "Zwischen diesen heterogenen Bestandteilen besteht keinerlei Verbindung. Am Rand der Insel werden die Bröckchen bereits wieder vom Meer weggespült, und ich denke, dass der Insel kein langes Leben beschieden sein wird."

    Man möchte meinen, dass solche Worte ihrer Geologen die Politiker davon abgehalten hätten, um diesen stinkenden kleinen Steinhaufen mitten im Meer zu streiten. Doch der Machttrieb war stärker. Es entspann sich ein heftiger Disput um die Insel. Und während man stritt und scharfe Noten hin- und herschickte und sogar schon von Krieg munkelte, war die Insel längst dabei, sich wieder aufzulösen.

    Ein halbes Jahr später, im Dezember 1831, wurde sie von zwei Offizieren der Topographischen Gesellschaft von Neapel schon nicht mehr aufgefunden. Die Insel Ferdinandea hat sich unter die Wasseroberfläche zurückgezogen, wo sie bis heute ein Hindernis für die Schifffahrt darstellt. Ihren letzten großen Auftritt hatte sie 1987, als ein US-amerikanisches Patrouillenflugzeug sie für ein lybisches U-Boot hielt und bombardierte. Und anno 2002, als ein italienischer Meeresgeologe verlauten ließ, der Vulkan könne möglicherweise bald wieder aktiv werden, tauchten italienische Taucher die acht Meter zu Ferdinandeas Spitze hinunter und installierten auf ihr eine Tafel, mit der Inschrift: egal, ob über oder unter Wasser, die Insel gehöre den Sizilianern. Man kann ja nie wissen...