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Dandys - Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens

Die Originalität des Dandys besteht darin, dass er versucht,... aus seinem Leben ein Kunstwerk zu machen. Sein Beruf ist die Eleganz, und er versucht, sein Leben so zu stilisieren, dass es den Ansprüchen der Eleganz vollkommen genügt. Das bedeutet, dass er sich sein Leben so formt nach ästhetischen Gesichtspunkten, dass er in sich etwas Geschlossenes, Unangreifbares darstellt, quasi auch etwas Künstliches darstellt.

Steffen Graefe | 02.06.2003
    Mit seiner ebenso unterhaltsam, wie lehrreich verfaßten Studie hat der in Berlin lehrende Kulturwissenschaftler und Literatursoziologe Günter Erbe eine heute weitgehend ausgestorbene Spezies analysiert. Obwohl ein Dandy sehr eitel ist, ist er sehr diszipliniert und hütet sich davor, sich als Opfer der eigenen Eitelkeit irgendeine Blöße zu geben.

    Das ist ein Mensch, der sich vollkommen unter Kontrolle hat. Er ist ein Selbstherrscher. Er beherrscht sein Affekte. Er muß versuchen, sich unangreifbar zu machen.

    In einer amüsant zu lesenden Weise präsentiert Günter Erbe eine Fülle ähnlicher Lebensgeschichten und Anekdoten historischer Dandys: Von George Brummel, über Lord Byron, Thomas Carlyle, Barbey d´Aurevilly, Charles Baudelaire bis Oscar Wilde. Wir erfahren viel über die Sitten und Verhaltensweisen der Besucher englischer Gentlemen Klubs, französischer Salons und Cafés. Sehr anschaulich werden unterschiedliche spätaristokratische Lebensentwürfe des 19. Jahrhundert ausgemalt: Feinsinnig spinnt der Autor die Fäden seiner Anekdoten. Seine Verliebtheit ins Detail verrät einen Anflug von Nostalgie, die dem Buch die Schwerfälligkeit üblicher wissenschaftlicher Analysen nimmt. Wie ein impressionistischer Maler gestaltet Günter Erbe (liebevoll) die Augenblicke vergänglichen Glücks und versteht sich auch in der Darstellung seiner Anmut. Manche Szenen können den Lesern durchaus ein Schmunzeln entlocken, wenn der Autor zum Beispiel ausführlich das gedrechselte Outfit der Jetsets des 19. Jahrhunderts beschreibt. Um besonders schlank zu erscheinen, zwängten sich die Dandys in mit Fischbein gestärkte Korsetts. Ihre Bewegungsfreiheit wurde dadurch so stark eingeschränkt, dass die Dandys nicht hinfallen durften: Ohne fremde Hilfe konnten sie nicht mehr aufstehen.

    Man muss dabei berücksichtigen, dass das Wort Man of Fashion nicht heißt: "Mann der Mode", es ist ein vornehmer Herr. Fashion ist mehr als Mode im damaligen Sprachgebrauch. Er war nicht nur ein Kleiderkünstler, sondern auch ein begnadeter Plauderkünstler wie später Oscar Wilde. Er war also ein Mann, der durchaus geistvoll war und eine bestimmte Art des Witzes besaß, was man im englischen "wit" nennt. Das läßt sich nur schwer übersetzen. Das ist eine spezifische Art des Geistreichen, die ... im Englischen zu Hause ist. Und auch auf diesem Gebiet der Sprachkunst des Witzes, der Schlagfertigkeit, in seiner ganzen geistigen Beweglichkeit war er eine in seiner Zeit außergewöhnliche Erscheinung.

    Die meisten Dandys im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts waren Aristokraten und gehörten zum Adel.

    Der Dandy ist etwas anderes als der Hofmann - oder man kann auch sagen als der Höfling des 18. Jahrhunderts. In dieser Gesellschaft hat man sich insofern konformistisch verhalten müssen, als es bestimmte Regeln des guten Tons gab, die man akzeptieren mußte, die man beherrschen mußte. Der Dandy tändelte mit der Regel. Er spielte mit der Regel. Er provozierte gern. Er verstand es in gewisser Weise zu gefallen, indem er nicht gefiel. Er verstand diese Kunst, andere in Erstaunen zu versetzen, ohne selbst jemals erstaunt zu sein. Das war das, was ihn auszeichnete und interessant machte.

    Er war eine janusköpfige Figur, der zurückblickte auf die adlige Welt und ihre ästhetischen Werte zu bewahren suchte, sich dabei aber gleichzeitig bis ins Extreme gesteigerter nonkonformer Verhaltensweise befleißigte, die erst im Zeitalter des bürgerlichen Individualismus teilweise gesellschaftsfähig wurden. Der Dandy erlaubte sich Freiheiten, die in der Adelskultur nicht gestattet waren. Sozial und sexuell gesehen war er eine Zwittergestalt, der bewußt mit vielen Konventionen brach.

    Die meisten Dandys waren, was ihre sexuellen Neigungen angeht, ja, was waren sie eigentlich? Sie waren teils homosexuell, teils bisexuell. Sie waren... androgyn. Ihre sexuelle Orientierung war nicht eindeutig.

    Und das zu einer Zeit, als Homosexualität noch mit der Todesstrafe geahndet wurde. Mit großem Fleiß und Sachverstand hat der Autor die Archive erforscht und präsentiert die erste umfassende kultur- und sozialgeschichtliche Darstellung des Dandys im europäischen Maßstab, beschränkt sich also nicht nur auf die Darstellung literarischer Dandys wie z.B. Lord Byron, Charles Baudelaire oder Oscar Wilde.

    Detailliert wird beschrieben, wie sich das Ideal des Dandys im Verlauf des 19. Jahrhunderts langsam veränderte: von der kühlen Ungerührtheit und unangreifbar scheinenden Erhabenheit und extrem gestylten Eleganz des George Brummels, der seine Kleider dreimal täglich wechselte, bis hin zur aufgesetzten Dekadenz einer bewußt zur Schau gestellten exaltierten Schwermütigkeit der Dandys im Fin de Siecle. Nun mußte der Dandy den Eindruck eines unglücklichen und kranken Mannes erwecken und "irgendwie vernachlässigt erscheinen, mit ungeschnittenen Nägeln, mit einer verwehten Haarlocke und einem tiefen, sublimen, verwirrten und schicksalsschweren Blick, die zusammengepreßten Lippen von Menschenverachtung herabgezogen." Darwins Selektionstheorie scheint auch auf die kurzlebige Spezies der Dandys zuzutreffen, denn das Dandytum wurde in reiner Konzeption eigentlich nur von Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg kultiviert.

    Der Verfall des Dandytums hat einerseits zu tun mit dem Zerfall der großen Welt, der mondänen Welt, die - das kann man sehr schön bei Marcel Proust nachlesen - mit dem Ersten Weltkrieg ihren Niedergang erlebte. Es hat damit zu tun, dass die Formen oder die Bühne, auf der sich der Dandy präsentierte, das waren die Salons, die Klubs, die Cafés, dass diese Bühne ihre Bedeutung mehr und mehr einbüßte, dass die Gesellschaft in dem Maße, indem sie sich demokratisierte auch den Dandy - man sieht das bei Oscar Wilde - dazu zwang, sich einem anderen Publikum zu präsentieren... Und das ist ein Prozeß, der sich seitdem bis in unsere Gegenwart immer mehr beschleunigt hat, so dass der heutige Dandy - das Wort wird ja immer noch verwendet - in einer ganz anderen Öffentlichkeit sich präsentieren muß. Dafür muß er einen hohen Preis bezahlen. Das heißt: Die Exklusivität, die er vorher beanspruchte, die gesellschaftliche Exklusivität hat er heute kaum noch.

    Im Ausblick auf die Gegenwart begnügt sich Günter Erbe leider nur mit einigen vagen Andeutungen auf wenigen Seiten. Wirkliche Dandys würden heute nicht mehr existieren, meint der Autor, selbst wenn sich noch immer einige Modemacher und Popstars als solche stilisieren würden. -- Sie können Elton John nennen, sie können andere Popmusiker nennen... Man nennt oft Brian Ferry, man nennt David Bowie und andere. Man nennt auch Designer: Lagerfeld wird genannt und andere. Man kann viele Namen nennen. Man muß an diesen Beispielen doch erkennen, dass diese Art von Dandytum nicht zu trennen ist vom Kommerz. Und der Dandy war ein Müßiggänger. Der Dandy arbeitet nicht. Alle diese Leute sind hochbeschäftigt. Sie müssen produzieren: Und das ist der Preis, den sie zahlen müssen.