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Daniel Kehlmanns "Tyll" am Schauspiel Köln
Krieg im Wassergraben

Das Schauspiel Köln hat Daniel Kehlmanns hoch gelobten Roman "Tyll" auf die Bühne gebracht. Die Inszenierung meidet allerdings die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges. Der Krieg fällt stattdessen ins Wasser. Übrig geblieben ist ein fast schon zu schöner Kostümtheaterabend.

Von Karin Fischer | 17.09.2018
    "Tyll" nach dem Roman von Daniel Kehlmann in einer Bühnenfassung von Julian Pörksen und Stefan Bachmann. Auf dem Bild sehen Sie: Robert Dölle, Melanie Kretschmann, Marek Harloff und Peter Miklusz
    "Tyll" nach dem Roman von Daniel Kehlmann in einer Bühnenfassung von Julian Pörksen und Stefan Bachmann (Schauspiel Köln / Tommy Hetzel)
    Der Krieg beginnt in der ersten Minute. Stefan Bachmann und sein Dramaturg Julian Pörksen haben das an den Anfang genommen, was bei Kehlmann erst weit hinten steht. Die letzte große Feldschlacht des Dreißigjährigen Krieges bei Zusmarshausen ist schon auf Papier eine Zumutung, aber auch eine großartige, fast synästhetische Erfahrung für den Leser, der das Grauen, die zerstörten Dörfer, den Kugelhagel, das Schlachtfeld voller Leichen und den Ascheregen, der wie Schnee vom Himmel fällt, als Klimax eines fantastischen Historiendramas wirklich erlebt.
    Das auf dem Theater zu toppen ist schwer. Der dicke Graf Martin von Wolkenstein, der den Spaßmacher Tyll Ulenspiegel ausfindig machen soll, taucht, wie die Erzählerin, aus dem totalen Dunkel der Bühne auf. Olaf Altmann hat sie hochsymbolisch mit einem riesigen Rahmen versehen und zu einem abgrundtief schwarzen Loch gemacht, in dem alle immer bis zu den Waden im Wasser stehen. Nur die Scheinwerfer schnitzen Gestalten aus der Tiefe und sorgen für hübsche Spiegelungen auf den historisierenden und zum Teil wie Plastik glänzenden Kostümen.
    "Das Dorf war völlig zerstört. Durchlöcherte Mauern, geborstene Balken, Schutt und Steine auf dem Weg, neben dem verdreckten Brunnen ein paar alte Leute, die um Essen bettelten." - "Der Feind sei hier gewesen und habe alles genommen, und das Wenige, das man habe verstecken können, habe dann noch der Freund genommen, die Soldaten des Kurfürsten nämlich. Und kaum seien die abgezogen, sei das, was man wiederum vor denen habe verbergen können wiederum von den Feinden genommen worden. - Welchen Feinden denn, Schweden oder Franzosen? - Das sei ihnen gleich, sie hätten solchen Hunger!"
    Exquisites Kostümtheater
    Laut und von stampfenden Rhythmen unterlegt, verschießt diese Szene - in der auch Tyll zum ersten Mal auftaucht - ihr Pulver zu schnell. Die Wirkung verpufft, wir wissen jetzt nur: Es ist Krieg. Auch die Entscheidung für das Wasserbad löst zwiespältige Gefühle aus: Es symbolisiert die morastigen Schlachtfelder von damals, leuchtet aber noch die schlimmste Szene, etwa als Tylls Vater als Hexer gehenkt wird, in höchst ästhetischen Bildern aus.
    Wer den Kunstcharakter der Inszenierung akzeptiert, erlebt allerdings exquisites Bilder- und Kostüm-Theater, glitzernde Erscheinungen wie Momentaufnahmen aus einer höllischen Welt. Die Romanerzählung ist klug als Stationendrama gerafft. Die Regie überlädt die Figuren nicht mit Text, zeigt sowohl Tylls kleine Welt als auch die große der um Macht und Einfluss ringenden Könige und Gesandten, wie am Ende beim Verhandlungskrimi 1648 in Osnabrück. Sie lässt auch Daniel Kehlmanns humorigen Erzählerton zu seinem Recht kommen, und setzt ein paar eigene Akzente, etwa durch einen Fokus auf die zahlreichen Anspielungen aufs Theater. Robert Dölle ist der mephistophelisch-melancholische Gaukler Pirmin, von dem Tyll alles lernt:
    "Um jemanden nachzumachen, du Idiot, du dummes Kind, du verstockter unbegabter Stein, musst du ihm nicht nur ähnlich werden, sondern du musst ihm ähnlicher werden als er sich selbst. Du musst ganz und gar er werden. Wenn du das nicht kannst, dann gib auf, lass es, geh zurück zu Papas Mühle und verschwende nicht Pirmins Zeit. Es geht ums Hinsehen, begreifst du das?"
    Zu schöner Krieg
    Hinreißend auch Nele, Tylls Gefährtin, besetzt mit Kristin Steffen, die ihre Figur allein stimmlich leuchten lässt und zusammen mit der klugen Elisabeth Stuart der Melanie Kretschmann auch schon diese dunkle Bühnenwelt etwas besser macht.
    "Heut wird nicht getanzt, heut reden wir. Was willst du wissen? - Es steht mir nicht zu, Madam. - Wenn ich es sage, steht es dir zu. - Mich stört es nicht, dass die Leute über mich und Tyll lachen, denn das ist unser Beruf. - Das ist keine Frage. - Die Frage ist, tut es eurer Majestät weh, dass alle lachen, Madam. Tut das weh? - Ich versteh dich nicht."
    Hervorzuheben ist auch Marek Harloff als verzagter, hustender "Winterkönig". Tyll selbst spielt, wie bei Kehlmann, gar nicht die Hauptrolle und macht auch nur selten Späße. Peter Miklusz verhilft ihm, mal diabolisch grinsend, mal kindlich staunend, foppend oder misanthropisch redend, zu jener Leichtigkeit und Schwere, die er braucht: als traumatisiertes Kind, als Zeitzeuge und als im Lauf der Geschichte zu einigem Ruhm gekommener Narr.
    Ein schöner, vielleicht zu schöner Theaterabend, der seine Theatermittel gegenüber der Romanvorlage behaupten kann, der sich aber auch jeder Botschaft enthält. Als ob wir aus der Geschichte nichts zu lernen hätten.