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Dany Laferrière: "Ich bin ein japanischer Schriftsteller"
Die lässige Art des Seins

In Frankreich ist der Haitianer Dany Laferrière ein Star. Zu seinen literarischen Vorbildern zählen Hemingway und Bukowski. Die Coolness des Seins pflegt er schon immer - auch in seinem jüngsten Roman über einen Autor, der von der Lust gepackt wird, ein ganz anderer zu sein.

Von Holger Heimann | 06.10.2020
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Luftiges Spiel mit Klischées und Konventionen- Der neue Roman von Dany Laferrière (Verlag das Wunderhorn, Manfred Metzer)
Der Lieblingsplatz des Schriftstellers und Ich-Erzählers im neuen Roman von Dany Laferrière ist das Bett. Es steht in einer einfachen Behausung in Montreal – daneben ein Stapel Bücher, ein Tisch und darauf eine alte Remington-Schreibmaschine. Der Mann zwischen den Kissen wird nicht von existenzieller Not oder melancholischen Anflügen niedergedrückt, er lebt vielmehr unbelastet vom Gewicht der Welt. Das Geld reicht meist für die Miete. Und wenn es nicht reicht, dann stört das bloß den Hauswart.
Die extrem relaxte, cool-lässige Art des Seins kennen Leser von Dany Laferrière schon aus dessen Debütroman. "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden" ist im Original 1985, in der deutschen Übersetzung erst 2017 erschienen. Ein gebürtiger Haitianer wird darin in Montreal zum Schriftsteller – wie Laferrière selbst, der seine Heimat Haiti mit 23 Jahren auf dem Höhepunkt der Duvalier-Diktatur verlassen hat. Der Exilant erinnert sich:
"Man kann aus seiner eigenen Vergangenheit heraus schreiben, aber auch über seine Gegenwart. Mein Ziel war es, ein amerikanischer Schriftsteller zu sein, an der Seite von Bukowski und Hemingway."
Buchcover - "Ich bin ein japanischer Schriftsteller"
Buchcover - "Ich bin ein japanischer Schriftsteller" (Kai Hammer, Wunderhorn Verlag)
Ein Auswanderer in Montreal
Vor allem die kühle Lakonie und der verknappte Stil Hemingways haben Dany Laferrières Schreiben beeinflusst. So auch den neuen, temporeichen Roman, in dem das frühere Leben des Ich-Erzählers in der alten Heimat nur kurz aufscheint. Laferrières Alter Ego erinnert sich daran, dass es für ihn gefährlich wurde in Haiti, weil er sich nicht den Mund verbieten lassen wollte. Aber es ist die Gegenwart, die für ihn zählt. Und aufpassen muss der Auswanderer auch in Montreal.
"Ich bin die Feuerleiter hinuntergeklettert, um dem Hauswart nicht zu begegnen. Ich schulde ihm zwei Wochen Miete. Er ist Grieche, daher meine Scherze über die notwendige Verbindung zwischen Plato und Suflaki (auch ein Philosoph muss mal essen). Er kennt Plato nicht, er ist am Meer aufgewachsen, Odysseus würde ihn vielleicht mehr interessieren.
Mit Tolstoi in der Badewanne
Wie viel er über Plato weiß, ist mir egal. Ich möchte nur das Machtgefälle zwischen uns ausgleichen. Er packt mich am Geld, ich packe ihn am Geist. Dass ich Plato kenne, hilft mir allerdings wenig bei unserem allwöchentlichen Streit. Es geht immer so schnell. Jeden Donnerstag muss ich die Miete zahlen. Wenn er die Kohle kriegt, dann nachts um zehn vor zwölf. Soviel ich weiß, ist dann immer noch Donnerstag. Anschließend lege ich mich mit einem Buch von Tolstoi in die Badewanne. Nur einem Arbeitslosen, der gerade seine Miete bezahlt hat, ist es vergönnt, Krieg und Frieden zu lesen, ohne die Landschaftsbeschreibungen zu überspringen."
Sehnsucht nach Japan
Arbeitslos ist Laferrières Ich-Erzähler keineswegs. Sein Verleger meldet sich bei ihm und will wissen, wie weit das Buch gediehen ist, das sie verabredet haben. Doch damit kommt der Schriftsteller nicht recht voran, was ihn aber kaum weiter bekümmert. Immerhin hat er schon einen Titel gefunden: "Ich bin ein japanischer Schriftsteller". Seinem Verleger waren die fünf Wörter, die nur einer Laune entsprungen sind, 10.000 Euro wert. Den Autor lassen sie nicht mehr los. Er träumt davon, ein japanischer Schriftsteller zu werden und fragt sich, woher die Obsession rührt. Er liest den japanischen Dichter Bashō und begibt sich mit ihm auf eine Wanderung durch den Norden Japans. Und er trifft die japanische Sängerin Midori, die sich als neue Yoko Ono einen Namen macht. Die Kunde davon, dass ein Autor aus Montreal, ein Schwarzer überdies, sich als japanischer Schriftsteller versteht, ist bis in das ferne Japan gelangt und erschüttert dort das Nationalgefühl.
Das japanische Konsulat in Montreal nimmt Kontakt mit dem Schriftsteller auf. Das Gespräch, das sich sodann bei einem Treffen entspinnt, wird zum grotesken Tauziehen um ein Buch, das es gar nicht gibt.
"Aber gestatten Sie mir noch die Bemerkung, dass das Konsulat von Japan und sein Personal Ihnen jederzeit in vollem Umfang zur Verfügung stehen, für alles, was zum Gelingen Ihres literarischen Projekts beitragen könnte", beendete Herr Mishima, Vizekonsul des Landes der aufgehenden Sonne, das Gespräch. Fehlte nur, dass er gesagt hätte, für Ihre literarische Mission. Das war die Höhe! Ich hatte den Eindruck, wenn ich ihnen auch nur die geringste Autorität über meine Arbeit einräumte, und sei es nur über ein Komma, würden sie das Buch an meiner Stelle schreiben. Hinter all ihrer Beflissenheit spürte ich einen eisernen Willen. Aus irgendeinem Grund wollten sie die Kontrolle über dieses Buch."
Luftiges Spiel mit Klischees
Dany Laferrière hat eine freche Komödie in Szene gesetzt. Sein Ich-Erzähler gerät in immer abstrusere Verwicklungen. Zuletzt staut sich eine lange Schlange japanischer Fans vor seiner Wohnungstür, alle wollen den berühmten Autor sehen. Da bleibt diesem abermals nur die Flucht über die Feuerleiter. Dieser Roman, dessen sehr eigenen Esprit Beate Thill wunderbar aus dem Französischen ins Deutsche gebracht hat, ist ein luftiges Spiel mit Klischees, Festschreibungen und Konventionen. Doch man täusche sich nicht. Dany Laferrière meint es ernst. Er hat sich immer entschieden dagegen gewehrt, qua Abstammung zum haitianischen Schriftsteller im Exil abgestempelt zu werden:
"Ich finde mich in Fragen nach Herkunft und Sprache nicht wieder. Ich bin zuallererst ein Schriftsteller. Grundlegend für mich ist das, was ich gelesen habe, meine Bibliothek. Für mich ist Identität nichts, was man einfordern sollte. Identität ist wie ein Fahrrad. Wenn man Fahrrad fährt, dann schaut man nicht auf die Räder, man schaut zum Horizont."
Schreiben heißt für Dany Laferrière, sich immer wieder in neue Sprach- und Vorstellungswelten zu bewegen. Deutlicher als durch den Satz seines Alter Ego "Ich bin ein japanischer Schriftsteller" konnte er die Absage an eine vor allem durch Herkunft bestimmte Identität kaum formulieren.
Dany Laferrière: "Ich bin ein japanischer Schriftsteller"
Aus dem Französischen von Beate Thill
Wunderhorn Verlag, Heidelberg. 200 Seiten, 22.- Euro.