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"Darunter leidet die Qualität der Lehre"

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert die Überprüfung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das im April 2007 in Kraft trat. Darin sei festgelegt, dass die Hochschulen "nach Gutsherrenart" immer wieder neue Fristverträge begründen könnten. Darunter leide laut Keller "die Kontinuität und die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit".

Moderation: Jörg Biesler | 28.04.2008
    Jörg Biesler: Seit einem Jahr ist es in Kraft, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es regelt die Befristung von Arbeitsverträgen für Wissenschaftler an den Hochschulen. Wer wirklich Exzellenz in Lehre und Forschung möchte, muss auch exzellente Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für das Lehr- und Forschungspersonal schaffen, das sagt dazu Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Guten Tag, Herr Keller!

    Andreas Keller: Schönen guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Was an der Befristung schadet denn der Exzellenz?

    Keller: Das Problem ist, dass die Kontinuität und die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit darunter leidet, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Fristverträge und vor allem sehr kurze Fristverträge haben und vor allem immer wieder Mehrfristverträge haben, also keine Perspektive haben, zu einem bestimmten Zeitpunkt dann auf Dauer Wissenschaft als Beruf ausüben zu können. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, ein Student, eine Studentin macht ein Seminar bei einem wissenschaftlichen Mitarbeiter, möchte dann in den Semesterferien und im Semester drauf eine Prüfung machen, eine Hausarbeit schreiben, und dann ist dieser Kollege vielleicht nicht mehr da und schon wieder ein neuer oder ein Lehrbeauftragter. Darunter leidet die Qualität der Lehre.

    Biesler: Sie sprechen von einem Sonderarbeitsrecht für die Wissenschaft, aber Befristungen, Zeitverträge, das ist doch mittlerweile Alltag überall.

    Keller: Nicht ganz Alltag. In der Tat gibt es natürlich einen Trend dazu, dass zunehmend auch befristete Arbeitsverhältnisse in der Wirtschaft etabliert werden. Aber das allgemeine Arbeitsrecht in Deutschland wie auch in der Europäischen Union ist so gestrickt, dass der Grundsatz das unbefristete Beschäftigungsverhältnis ist, und die Ausnahme ist das befristete Beschäftigungsverhältnis. Das muss besonders begründet werden und auf eine besondere Rechtsgrundlage, zum Beispiel das Teilzeit- und Befristungsgesetz gestützt werden. Im Hochschulbereich nun hat man ein Sonderarbeitsrecht für den Wissenschaftsbereich geschaffen, das betrifft auch die Forschungseinrichtungen. Das heißt, da ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgedreht worden. Die Arbeitgeber, das heißt die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die können, ohne dass sie einen besonderen Grund dafür angeben, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befristet beschäftigen. Und tatsächlich ist es so, dass mittlerweile auf Ebene der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als drei Viertel der Beschäftigten Fristverträge haben und von den neu eingestellten, jüngeren Kolleginnen und Kollegen sind es fast nur noch befristet Beschäftigte.

    Biesler: Nun war ja ein Hintergrund dieses Gesetzes auch mal, die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade davor zu schützen, dass sie immer wieder verlängert werden in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Also man hat gesagt, sechs Jahre vor der Promotion und sechs Jahre nach der Promotion, das ist sozusagen die Befristung, die gegeben ist, und danach darf man einfach nicht weiter beschäftigt werden.

    Keller: Dieser Grundsatz ist leider ausgehöhlt worden durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das vor einem Jahr in Kraft getreten ist. Man hat nämlich gesagt, dass man nach diesen sechs plus sechs Jahren, in der Medizin sind es ja sogar sechs plus neun Jahre, dass man danach, wenn die Stelle zum Teil mit Drittmitteln finanziert ist, dass man dann auch weitere Fristverträge anschließen kann. Und da die Hochschulen zunehmend von Drittmitteln leben – denken Sie an die Exzellenzinitiative – und da es auch eine Diskussion darüber gibt, dass zum Beispiel Studiengebühren als Drittmittel angesehen werden können, führt das dazu, dass sehr viele Stellen drittmittelfinanziert sind und so die Hochschulen einen Blankoscheck in der Hand haben, dass sie sozusagen nach Gutsherrenart immer wieder neue Fristverträge begründen können. Und die Betroffenen wissen nicht, haben keine Planungsperspektive, wann entschließt sich denn der Arbeitgeber dazu, dass er mich auf Dauer übernimmt oder wann tut er es nicht.

    Biesler: Was wäre denn ein Ausweg aus der Misere? Also einerseits ist ja offensichtlich, dass man so eine Art von Befristung eigentlich auch braucht, und auf der anderen Seite ist die Befristung halt auch so ausgelegt im Augenblick, dass sie, wie Sie sagen, missbraucht werden kann. Wie wäre denn der goldene Mittelweg?

    Keller: Nun, dazu gehört eigentlich zweierlei. Das eine ist, dass die Hochschulen den Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und Nachwuchs-Wissenschaftlern eine klare Perspektive geben, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Perspektive haben, an der Hochschule auf Dauer zu bleiben. Nach der Promotion müssen die Hochschulen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sinne eines "tenure track", wie wir ihn an den amerikanischen Hochschulen kennen, sagen können, wenn du dich bewährst, wenn du weiterhin gute Leistungen bringst, dann können wir dich auf die Dauerposition, im Erfolgsfall auf eine Professur, aber wenn das nicht klappt, auf eine andere Dauerposition heben. Das ist also auch eine Aufgabe der Hochschulen, hier so was wie eine vernünftige Personalentwicklung zu betreiben. Und zum anderen brauchen wir ein vernünftiges Befristungsrecht, was auch Mindeststandards setzt, was zum Beispiel ausschließt, dass Verträge von unter zwei Jahren begründet werden und was zum Beispiel auch den Betroffenen Befristungszulagen gewährt, wo das zusätzliche Risiko, was sie im Falle des Arbeitsplatzverlustes haben, dann aufgefangen wird. Das sind Vorschläge, die die GEW in die Diskussion eingebracht hat.

    Biesler: Jetzt sagen Sie, Sie sind bereit zu Verhandlungen. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist ein Bundesgesetz, aber die Arbeitgeber sind natürlich dann die Länder. Wie würden Sie verhandeln, mit wem würden Sie verhandeln und was versuchen Sie durchzubekommen?

    Keller: Der erste Schritt wäre, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, in diesem Gesetz, dass die Tarifsperre aufgehoben wird, die Arbeitgebern und Gewerkschaften verbietet, über Zeitverträge Tarifverträge zu schließen. Und dann, wenn dieses korrigiert ist, was die GEW fordert, dann wären wir sehr gerne bereit, mit den Arbeitgebern – das können die Hochschulen sein, das können die Bundesländer sein – über angemessene, über fachgerechte Lösungen zu verhandeln, die den Hochschulen und der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit nützen, aber auch den Betroffenen eine verlässliche Perspektive geben.

    Biesler: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft möchte gerne mitreden bei den Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler an den Hochschulen. Andreas Keller war das. Vielen Dank!