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Das abgehörte Erdbeben

Geophysik. - Auch wenn man nicht weiß, warum oder wie: Erbeben setzen elektromagnetische Wellen frei. Japanische Forscher erklären, dass das verheerende Tohoku-Beben sich durch eine Störung in der Ionosphäre angekündigt hat. Und auch ohne das Beben vom 11. März sind Ionosphäre und Erdbeben Thema einer eigenen Session auf der European Geosciences Union (EGU) in Wien.

Von Dagmar Röhrlich | 07.04.2011
    Ein Erdbeben setzt innerhalb kurzer Zeit die Energie von vielen Hundert Atombomben frei - deshalb sind viele Plasmaphysiker und Ingenieure davon überzeugt, dass sich Vorboten dingfest machen lassen müssten. Sie konzentrieren sich bei ihrer Suche auf die Ionosphäre, die in etwa 70 Kilometer Höhe beginnt. Hier geben geladene Teilchen - die Ionen und Elektronen - den Ton an:

    "Wir nehmen an, dass wir in der Ionosphäre vor einem Beben schwere Anomalien sehen. Und vor dem Tohoku-Beben vom 11. Märzhaben wir recht klare Störungen beobachtet."

    Yasuhide Hobara von der Universität für Elektrokommunikation in Tokio ist Fachmann für extrem langwellige elektromagnetische Signale. Sie laufen über große Strecken durch die Atmosphäre und werden zur Navigation und zur Kommunikation mit U-Booten verwendet. In der Nacht zum 6. März beeinflussten Störungen in der Ionosphäre den Weg dieser speziellen Wellen, die eine Station in Seattle aussandte. Was die Veränderungen in der Ionosphäre auslöse, sei unklar, erklärt Michel Parrot vom Labor für Physik und Chemie der Umwelt und des Weltraums in Orleans:

    "Derzeit haben wir dazu nur Hypothesen. Es könnte unter anderem an Veränderungen an der Erdoberfläche liegen, dass sich also im Vorfeld des Bebens der Strom verändert, der ständig zwischen der Erde und der unteren Ionosphäre fließt. Oder es liegt an den sehr langfrequenten Wellen, die von der Bebenregion ausgehen, weil Gase freigesetzt werden."
    Michel Parrot war leitender Wissenschaftler für den Demeter-Satelliten, der sechs Jahre lang die Ionosphäre auf der Suche nach Erdbebenvorläufern im Blick hatte:

    "Mit ihm haben wir einige elektromagnetische Ionosphären-Anomalien durch große Erdbeben gefunden - im Nachhinein, denn wir haben ausschließlich Grundlagenforschung betrieben. Unter anderem fanden wir Störungen durch das Chile-Beben 2010, das derzeit sechststärkste Beben überhaupt. Wir haben einige Tage vor diesem Beben starke Störungen in der Ionosphäre beobachtet. Nach der statistischen Auswertung aller Daten sieht es so aus, als ob wir im Durchschnitt fünf Tage vor einem Beben Störungen in der Ionosphäre beobachten."
    Und zwar steigt über der betroffenen Region die Dichte der Elektronen. Dieses Phänomen lässt sich in den Demeter-Daten für viele Beben der vergangenen Jahre herausfiltern, auch für die Erdbeben von Haiti oder L'Aquila. Die Auswertung der Daten ist aufwendig.

    "Am Tag sehen wir nichts, weil die Ionosphäre dann von der Sonne kontrolliert wird, sodass nichts, was vom Erdboden kommt, bis zu dem Satelliten vordringt. Die Messungen finden deshalb nachts statt."

    Sonnenwind, Gewitter, Raketenstarts, all das beeinflusst die Ionosphäre. Deshalb sind Seismologen nach wie vor skeptisch. Rainer Kind vom Geoforschungszentrum Potsdam:

    "Es gibt jede Menge Einflüsse auf die Ionosphäre, die Signale erzeugen, die wir messen können und da die Einflüsse von Erdbeben herauszufinden, ist natürlich sehr schwierig. Man kann dann andere Signale falsch interpretieren, als von den Erdbeben verursacht. Das ist ein sehr schwieriges Problem und bisher eigentlich noch nicht gelungen."
    Eine Lösung könnte die Kombination mit anderen Satellitenbeobachtungen bieten. Jan Blecki vom polnischen Weltraumforschungsinstitut:

    "Vor dem schweren Sichuan-Beben in China 2008 hatten amerikanische Wettersatelliten beispielsweise eine Temperaturanomalie gemessen. Demeter flog zwei Stunden später vorbei, und wir entdeckten eine starke Anomalie in der Ionosphäre. Es gab also gleichzeitig eine thermische und elektromagnetische Anomalie in der Ionosphäre. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, und wenn man alle diese verschiedenen Quellen zusammennimmt, lässt sich vielleicht einmal im Vorhinein erkennen, dass ein Beben bevorsteht."
    Trotz ihres Optimismus sind Jan Blecki und seine Kollegen überzeugt, dass es bis zu einer Vorhersage ein sehr weiter Weg ist. Dabei soll ein chinesischer Satellit ab 2014 die Forschung weiterbringen. Er wird auf den Spuren von Demeter die Ionosphäre nach Bebenvorläufern absuchen - und er soll bald durch ein ganzes Netz weiterer Satelliten unterstützt werden.

    Weiterführende Links:
    Sammelportal "Katastrophen in Japan"