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Das absolute Augenmaß

Er war ein internationaler Star. Sogar Andy Warhol hat ihn porträtiert, und Alt-Kanzler Helmut Schmidt war zugegen, als Max Bill 1993 in Tokio den "Praemium imperiale" für Skulptur erhielt. Der Schweizer Architekt, Designer und Künstler ist der herausragende Vertreter der Konkreten Kunst. Heute würde Max Bill seinen hundertsten Geburtstag feiern.

Von Carmela Thiele | 22.12.2008
    Spulen wir die Zeit zurück: 1967, Max Bill ist beinahe 60 Jahre alt und zeigt sein Werk in einer Ausstellung in St. Gallen. Der Universalkünstler, der sich vor allem als Architekt versteht, zeigt aus geometrischen Körpern gestaltete Skulpturen und eine ungegenständliche Malerei, in der es auf den Rhythmus der Farbflächen ankommt.

    "Reine Kunstwerke haben eine ganz bestimmte Funktion. Sie haben eine geistige Funktion. Sie sind gewissermaßen Maßstäbe, an denen wir ästhetische Werte setzen können. Wir können daran messen, wie andere Dinge sein könnten, wenn sie unter ähnlichen Konzeptionen entstehen würden."

    Andere Dinge? Damit sind Gebrauchsgegenstände gemeint wie der "Ulmer Hocker" von Bill, ein aus drei Holzplatten gefertigter Sitz, der auch als Beistelltisch dienen kann. Oder aber Architektur, wie der aus funktionalen Raumfolgen bestehende Gebäudekomplex, den Bill für die Hochschule für Gestaltung in Ulm entwarf.

    "Ich bin nicht für eine Vereinheitlichung, sondern ich bin für eine Typisierung gewissermaßen. Ich möchte das Charakteristische herausarbeiten, diesem Charakteristischen die Freiheit geben. Nur in der freien Ordnung mit all ihren Variabilitäten ist es überhaupt möglich, eine Ordnung zu halten."

    Hier spricht der Visionär, der 1927/28 Kurse am Bauhaus in Dessau besucht hatte, der von Laszlo Moholy-Nagy und Wassily Kandinsky lernte und seinen Landsmann Paul Klee tief verehrte. Bill, der am 22. Dezember 1908 in Winterthur als Sohn eines Bahnhofsvorstehers geboren wurde, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Lehre als Silberschmied abgebrochen und war wegen "ungebührlichen Verhaltens" der Kunstgewerbeschule Zürich verwiesen worden. Dafür zeigte er Talent für die Werbung und gewann einen Wettbewerb. Das Preisgeld ermöglichte ihm den Wechsel ans Bauhaus, das ihn zeitlebens prägte.

    Bis heute ist wenig bekannt über Max Bills politisches Engagement in dieser frühen Zeit. So beherbergte er während der NS-Zeit in seinem Atelierhaus in Zürich Flüchtlinge wie das Ehepaar Vordemberge-Gildewart und Hans Arp mit seiner Frau. Der vitale, unangepasste Künstler galt nach 1945 für die Alliierten als politisch integer. Das machte ihn zum Gewährsmann für die Gründung der Hochschule für Gestaltung 1951 in Ulm, die in der Nachkriegszeit in Design-Fragen maßgeblich war.

    "Ich versuche etwas zu machen, das eine ordnende Funktion haben kann, dass, wenn man es betrachtet, sich darin wohlfühlen sollte. Und das kann einen in eine bestimmte Stimmung versetzen, zum Nachdenken oder so. Es hat eine bestimmte innere Ordnung und diese Auswirkung, von der behaupte ich, dass die einwirkt, ohne dass der Betrachter es unbedingt weiß oder wissen muss."

    Nach dem Ende der Ulmer Reform-Hochschule 1967 nimmt Bill eine Professur für Umweltgestaltung in Hamburg an. Ausstellungen in Venedig, London, Paris und mehreren amerikanischen Museen machen ihn zum herausragenden Vertreter der Konkreten Kunst. Ende der siebziger Jahre ist er international ein Star; sogar Andy Warhol porträtiert ihn. 1993 erhält er in Tokio den "praemium imperiale" für Skulptur, eine Art Nobelpreis für Bildende Kunst. Karl Gerstner, ein Freund und Kollege, schrieb über die Plastiken Bills:

    " Die Arbeiten sind anschaulicher Ausdruck von einem veränderten Verständnis der Welt. Und zwar geht es nicht um das Angesicht der Welt, es geht um die Einsicht in die innere Struktur, ihre Realität."

    Die Unendlichkeit des Universums ist so eine "innere Struktur", die schwer vorstellbar ist. Max Bill gelang es, mit seinen Schleifen-Skulpturen auf symbolischer wie formaler Ebene ein Äquivalent zu schaffen. Ein Beispiel ist die fünf Meter hohe Granitskulptur "Kontinuität" vor der Deutschen Bank in Frankfurt.

    1994 erlag Max Bill auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin einem Herzversagen. Bis zum letzten Tag hatte er der Idee einer objektiven, vom Individualismus befreiten Kunst gedient. Seine Asche verstreute die Witwe über seiner Pavillonskulptur in Zürich, von wo sie in alle Windrichtungen zerstob.

    Tipp: bill - das absolute augenmaß, ein Film von Erich Schmid, läuft am 4. Dezember 2008 in den deutschen Kinos an; www.maxbillfilm.ch