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Das alternde Gehirn

Noch nie wurden Menschen so alt wie heute, noch nie hatten sie eine höhere Lebenserwartung. Ein großes Problem dabei ist der geistige Abbau. Und damit ist gar nicht einmal eine Demenz wie die Alzheimer-Krankheit gemeint, vor der fast jeder älter werdende Mensch insgeheim Angst hat. In einem gewissen Maße ist geistiger Abbau im Alter normal. Doch was heißt normal?

Von Inge Breuer | 07.05.2009
    "Wir sollten nicht so tun als ob wir mit chemischen oder plastischen Methoden das Altern aufhalten können. Wir können vielleicht unsere Haut straffen und den Po, aber das Gehirn können wir nicht austauschen."

    Neurobiologisch gesehen beginne das Gehirn - unmerklich zwar - schon mit 20 Jahren zu altern, führte Professor Christian Behl aus, Sprecher des "Interdisziplinären Forschungsschwerpunkts Neurowissenschaft" an der Universität Mainz. Das sei durchaus - "normal". Und normal sei eben auch, dass diese Hirnalterung unaufhörlich fortschreite. Im Hirnscan könne man das deutlich sehen, erläuterte Professor Ralf Krampe, Entwicklungspsychologe an der Katholischen Universität Leuven:

    "Das ältere Gehirn, vor allem so von 70, 80, das verliert Volumen. Und der Volumenverlust, der hat vor allem damit zu tun, dass die sogenannten Gliazellen, die um die Nervenbahnen herum sitzen, das wird weniger. Aber der Hauptfaktor ist, dass die Netzwerke dünner werden, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Und wir wissen, dass das Ausmaß dieser Veränderungen zusammenhängt mit der Lernfähigkeit älterer Menschen. Und das ist da und lässt sich nicht verhindern."

    Folgerichtig nimmt auch das Risiko an einer Demenz zu erkranken mit steigendem Alter stetig zu. Dr. Horst Bickel, Psychologe an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München:

    "Wenn wir nicht an anderen vorzeitigen Krankheiten versterben würden, wie hoch wäre dann das kumulierte Risiko? Nach den uns vorliegenden Daten sind ungefähr bis zum Alter von 88 bis 89 Jahren etwa 50 Prozent der Bevölkerung an Demenz erkrankt und wenn wir alle 100 alt werden würden, dann sind es wohl 90 Prozent. Das heißt nur zehn Prozent wären dann noch frei von Demenz. Sodass man sagen darf, wenn wir nur alt genug werden, werden wir auch fast alle dement werden."

    Doch trotz der Normalität solcher Vorgänge gibt es Faktoren, die das Risiko eines geistigen Abbaus im Alter verstärken. Bluthochdruck, Diabetes, hohe Cholesterinwerte, aber auch Übergewicht, Rauchen und starker Alkoholkonsum gehören dazu. Während maßvoller Alkoholgenuss möglicherweise sogar risikosenkend wirkt. Vor allem aber haben Studien ergeben, dass "Bildung" vor frühzeitigem Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit schützt.

    "Viele vermuten, dass die Bildung selbst und die daraus folgende anspruchsvollere Berufstätigkeit ein stärkeres Training mit sich bringt, dass dann auch das Hirn widerstandsfähiger gegen Krankheit sein lässt. Eine andere Hypothese ist, dass man eine gewisse Intelligenz mitbringen muss, um überhaupt weiterführende Schulen besuchen zu können. Das heißt angeborene Faktoren oder frühkindliche Faktoren der Stimulation der ungestörten Hirnreifung könnten eine Rolle spielen und andererseits dann auch dem Demenzrisiko im Alter zur Verfügung stehen."

    Mit zunehmendem Alter entwickelt das Gehirn aber durchaus Strategien, seine nachlassende Leistungskraft auszugleichen. Beim Lösen von Gedächtnisaufgaben etwa gebrauchen ältere Menschen beide Hirnhälften, während die Hirnaktivität bei Jüngeren deutlich begrenzter ist.

    "Das hat sehr hohe Kosten, also ältere Menschen müssen, um schon bei relativ einfachen Aufgaben auf dem selben Niveau noch Leistung zu bringen wie ein jüngerer Menschen viel eher diese zusätzliche Aktivierung zeigen. Jüngere tun das auch, aber nur wenn's richtig schwierig wird."

    Doch - das Gehirn vermag seine altersbedingten Defizite nur dann zu kompensieren, wenn der ältere Mensch seine grauen Zellen stetig trainiert.

    "Auf breiter Front verlangsamen sich Prozesse mit dem Alter, wir machen mehr Fehler und das können wir dadurch kompensieren, dass wir Dinge gezielt üben. Der Effekt von Üben ist in den ersten 60, 70 Lebensjahren immer größer als der Effekt von Altern. Nur wenn Sie dann Junge und Ältere üben lassen, dann haben Sie am Ende wieder den Unterschied."

    Lebenslanges Üben und Lernen hält die Menschen geistig fit. Intellektuelle, soziale und besonders auch körperliche Aktivitäten können den Leistungsabbau des Gehirns zumindest verzögern, so der Psychologe Dr. Horst Bickel.

    "Dass ich körperliche Aktivität so hervorgehoben habe, liegt ganz einfach daran, darüber wissen wir mehr. Aber vermutlich wirken sowohl soziale also auch körperliche als auch soziale Aktivitäten überaus protektiv im Alter. Was dazu führen kann, dass sich der Erkrankungsbeginn nach hinten verschieben lässt und dann oft auch hinter die eigene Lebenserwartung, sodass es zu Lebzeiten nie auftritt."

    Dass Altern aber nicht nur ein biologischer, sondern auch ein sozialer Prozess ist, darauf verwies der Mannheimer Sprachwissenschaftler Prof. Reinhard Fiehler. Während Kindererziehung und Berufstätigkeit für Menschen mittleren Alters der selbstverständliche Ausweis dafür sind, "fit for life" zu sein, müssten Ältere diese Lebenstüchtigkeit zunehmend unter Beweis stellen. Das führt dazu, dass diese im Gespräch zunehmend herausstellen, wie kompetent sie ihren Alltag nach wie vor bewältigen, in deutlicher Abgrenzung zu jenen, die das möglicherweise nicht mehr schaffen. Und Beziehungen und Partnerschaft nehmen einen größeren Raum ein als Sachthemen. Es kommt zur Herausbildung einer "Altersidentität". Ein ebenfalls "normaler" Vorgang, den Reinhard Fiehler dadurch bestimmt sieht,

    "dass vielfach versucht wird nachzuweisen, wir sind nicht alt, wir sind kompetent, wir gehören noch zur mittleren Generation., Der andere Themenbereich ist, wenn dann doch Abweichungen vorhanden sind, dass dann über diese Defizite gesprochen wird: Defizit und Krankheitsdiskurs. Und das dritte ist, dass aufgrund der Prozesse der Bildung von Altersidentität eine ganz eigene Kommunikationsform für die Älteren von den Älteren entwickelt wird."

    Also: Ein aktives Leben führt zur Verzögerung von Alterungsprozessen. Das war die eine Botschaft der Tagung. Doch ebenso wurde klar, dass auch ein noch so aktives Leben Alterungsprozesse nicht verhindern kann. Die Medien, so die Bonner Medienwissenschaftlerin Professorin Caja Thimm, unterschlagen das gern, zeigen gern die jungen, die fitten Alten, was manchen aus dieser Generation stark unter Druck setze. Deshalb forderte Caja Thimm die Medien auf, auch das andere Alter, das mit Gebrechlichkeit und Verfall einher geht, zu zeigen. Denn - auch das sei schließlich durchaus normal.

    "Wir nennen das das fragile Altern, das Altern, was nicht gerne gesehen wird, das was in Defizit und Verlust mündet, in das Alter als Krankheit. Und von daher ist es wichtig, dass die Medien dieses Alter auch entdecken und gute Bilder finden für das Alter ohne zu tabuisieren."