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Das Architektur-Studio Ensamble
Stonehenge der Neuzeit

Wie baut man in einer Naturlandschaft, ohne in ihre Ursprünglichkeit einzugreifen? Das war eine der Aufgaben, die das spanische Architekturbüro Ensamble für das Tippet Rise Center in Montana lösen musste. Auch beim Wohnungsbau setzen die Madrider Architekten auf ungewöhnliche Rezepte.

Von Julia Macher | 08.09.2016
    Eine Arbeit der architektonischen Reihe "Structures of Landscape"
    Eine Arbeit der architektonischen Reihe "Structures of Landscape" (Ensamble Studio)
    Eine Vorortsiedlung, wie es sie rund um Madrid Dutzende gibt. Umzäunte Parzellen, darauf Einfamilienhäuser mit Pool, Giebeldach, Backsteinfassade. Langweilig. Doch dann öffnet sich das Metalltor mit der Hausnummer 9 B: vier gewaltige Stahlbetonträger, 50 Tonnen schwer, versetzt übereinander gelegt. Hemerescopium, der Sitz des Architekturbüros Ensamble, sieht aus, als hätte ein Riesenkind mit Kapla-Steinen gespielt. Antón García-Abril runzelt die Stirn. Neuer Versuch: Als hätte ein Riesenkind die Prinzipien des Gleichgewichts erforscht. García-Abril nickt.
    "Natürlich ist das Spiel das Wichtigste jeder kreativen Arbeit, aber wir wissen vor dem Spiel ganz abstrakt, was wir wollen. Wenn wir arbeiten, denken wir quasi mit den Händen. Das erste, was wir machen, ist ein Modell, noch bevor wir irgendetwas zu Papier bringen."
    Im Garten stehen die Modelle, die die Architekten seit der Studiogründung 2010 gebastelt haben: teils mannshoch, gefertigt aus Metallprofilen, damit die Ideen greifbar werden. Das dreidimensionale Open-Air-Archiv soll Besuchern ein Grundprinzip vor Augen führen, sagt Partnerin Debora Mesa.
    Grundidee: aus vorgefertigten Teilen ganz neue Räume schaffen
    "Alle unsere Projekte werden zu Prototypen für folgende. Als wir dieses Haus in Madrid gebaut haben, ging es uns um die Recyclingidee, die Frage, wie man aus vorgefertigten Teilen, aus Überbleibseln von Baustellen ganz neue Räume schaffen kann. Und aus dem Trüffelhaus, das wir 2010 in Galizien gebaut haben, sind jetzt Structures of Landscape in Montana entstanden. Aber eigentlich geht es immer um die Suche nach einem architektonischen Raum und seiner Umrahmung. Der Kontext ändert sich, unsere Arbeitsmethode ist die gleiche."
    Das Paar bittet in den Salon. Gerade sind die beiden aus Montana zurückgekehrt, wo sie für ihre Structures of Landscape gefeiert wurden. Fünf Jahre hat das Büro an den gewaltigen Strukturen gearbeitet, die jetzt aus der hügeligen Vulkanlandschaft vor den Bearteeth-Mountains ragen. Muschelartige Gebilde. Zementbaldachine, die wie Pilze aus dem Boden wachsen: Keine Land Art, sondern zweckdienliche Architektur: Räume und Konzertsäle für das Kunstzentrum Tippet Rise.
    "Wenn man in diese Landschaft einfach ein Gebäude stellt, dann urbanisiert man sie - und das wollten wir auf keinen Fall. Aber wie schafft man dennoch Architektur? In dem man zu architektonischen Prinzipien zurückfindet, die sich auch in der Landschaft und in allen unseren Arbeiten finden: Der Schwerkraft, dem Gleichgewicht, der Materialität, dem Monumentalen."
    Strukturen, die tatsächlich mit und durch die Landschaft gemacht
    Wie das in der Praxis aussieht, zeigt das Making-of-Video: Vorsichtig tragen Bagger die oberste Erdschicht ab, die Gruben werden dann mit Beton ausgegossen: Bedeckt von Erde und Schnee härtet das Material, die bis zu 500 Tonnen schweren Teile werden anschließend von Kränen in die Höhe gehievt und aufgestellt. Was klingt wie ein gigantomanisches Sandkastenspiel, ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung und hat, sagen die Architekten, eine magische, fast sakrale Dimension.
    "Das sind Strukturen, die tatsächlich mit und durch die Landschaft gemacht wurden und so eben nur an diesem einen Ort der Welt entstehen konnten. Das sieht und spürt man. Die Einheimischen haben eine ganz starke Verbindung zu diesem Ort. Brautpaare lassen sich da fotografieren, Leute erkunden ihn zu Pferd, Vögel nisten in den Nischen."
    Antón García-Abril und Debora Mesa haben inzwischen ihren Hauptwohnsitz nach Boston verlegt. Ganz wörtlich: Die Einzelteile ihres Hauses wurden in Madrid gefertigt, per Containerschiff verfrachtet und in den USA wieder zusammengesteckt. Ein Wohnhaus, reduziert auf seine abstrakten Prinzipien, ähnlich wie das Hemeroscopium in Madrid.
    Wenn es ihnen irgendwann gelänge, beide Linien zusammenzuführen, das städtische Bauen mit all dem, was man über den Umgang mit Landschaft gelernt habe, sei man vielleicht tatsächlich im Besitz des Steins der Weisen. Doch darauf, sagt Anton García-Abril, müsse die Welt noch warten, mindestens zehn Jahre.