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Das Auf und Ab beim Datenschutz

Der Begriff des Gläsernen Bürgers aus der Anfangszeit des Datenschutzes hier in der Bundesrepublik wirkte vor 20 Jahren recht abstrakt. Doch das hat sich bis heute stark geändert, wie zahlreiche Datenskandale des letzten Jahres beweisen.

Von Pia Grund-Ludwig | 03.01.2009
    Das Jahr 2008 beginnt mit einem Paukenschlag: Seit Januar besteht für Internet- und Telekommunikationsanbieter die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung. Sie müssen künftig Verbindungsdaten sechs Monate aufbewahren und sie Strafermittlern zugänglich machen. Datenschützer reichen dagegen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, diese wird von rund 30.000 Bürgern unterstützt. 2008 müssen die Karlsruher Richter fast monatlich in einzelnen Entscheidungen zu diesem Thema Stellung nehmen. So erklären sie im Februar Regelungen zur Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen für nichtig. Im März erringen die Datenschützer einen weiteren Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht schränkt die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung ein. Die Daten müssen zwar gespeichert werden, aber der Zugriff auf diese hoch sensiblen Daten ist den Behörden nur bei schweren Straftaten erlaubt. Außerdem spielt das Gericht der Bundesregierung den Ball zurück: Diese soll beweisen, dass die Speicherung unumgänglich ist.

    "Die Bundesregierung hat dem Bundesverfassungsgericht zum 1. September 2008 nach Maßgabe der Gründe über die praktischen Auswirkungen der in § 113a des Telekommunikationsgesetzes vorgesehenen Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten."

    Doch die Vorratsdatenspeicherung reicht vor allem dem Schäuble-Ministerium noch nicht. Im April legen Innen- und Justizministerium eine Neufassung des BKA-Gesetzes vor. Es sieht die Genehmigung von Videoaufnahmen auch in Privaträumen sowie die heimliche Online-Durchsuchung von Computern durch das Bundeskriminalamt vor. Das stößt in Teilen der SPD auf Unverständnis: Man brauche nicht ständig schrille Forderungen nach immer neuen und extremeren Gesetzen sagte Ralf Stegner, Landesvorsitzender der schleswig-holsteinischen SPD. Kritik kommt auch von der Linkspartei. Für Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke ist das Gesetz ein Kompromiss gegen die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

    Mai 2008. Probleme von der anderen Seite bahnen sich an. Die Deutsche Telekom muss eingestehen, Telefonate von Journalisten belauscht zu haben. Wenig später stellt sich heraus, dass das Unternehmen auch Betriebsräte, Aufsichtsräte und normale Mitarbeiter überwacht hat. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sucht die ‚weiche’ Lösung und lädt daraufhin Branchenvertreter zum Gespräch über eine Selbstverpflichtung beim Datenschutz. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar fordert stattdessen effektivere Kontrollen. Er schlägt unter anderem vor, den Bußgeldrahmen für Verstöße erheblich auszuweiten, die Stellung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu stärken und auch seine eigene Behörde besser personell auszustatten.

    Im Juni kündigt der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum, FDP, Klage gegen das geplante BKA-Gesetz an. Tenor: Die Privatsphäre sei in Gefahr.

    Im gleichen Monat lassen auch die Meldeämter Sorgfalt im Umgang mit der Privatsphäre vermissen. Daten sind nach einer Softwarepanne monatelang frei zugänglich. Unbefugte können Reisepass- und Personalausweisnummern, Fotos, Geburtsdaten, aktuelle und frühere Wohnorte, Religionszugehörigkeiten und Finanzdaten abrufen. Doch nicht nur Behörden lassen Datenlecks zu. Am 11. August erhält die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein anonym eine CD mit über 17.000 Datensätzen zu Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern. Neben dem Namen, der vollständigen Adresse mit Telefonnummer und dem Geburtsdatum sind die kompletten Bankdaten gespeichert. Wenig später folgt eine weitere CD mit einer Million Kundendaten.

    Zum Jahresende diskutiert die Europäische Union beim Treffen der EU-Justiz- und Innenminister am 27. und 28. November einen Plan zur Bekämpfung der Cyberkriminalität. Dazu gehören grenzüberschreitende heimliche Online-Durchsuchungen.

    Erneut geht im Dezember einen Datenpanne durch die Medien. Bei der Frankfurter Rundschau landet versehentlich ein Paket mit Kundendaten der Berliner LBB. Die hatte die Informationen auf Mikrofiches gespeichert und von einem Paketdienst transportieren lassen.

    Der Bundesrat lehnt im Dezember zunächst das BKA-Gesetz in der von Innenminister Wolfgang Schäuble vorgeschlagenen Form ab. Es kommt es zu Verhandlungen zwischen Bundesrat und Regierung. Der dabei erarbeitete Kompromiss sieht vor, dass ein Richter die Durchsuchung anordnen muss, und zwar in jedem Fall, auch bei großer Eile. Keine Änderung gibt es beim Zeugnisverweigerungsrecht. Nur Abgeordnete, Priester und Ärzte sind vor Überwachung geschützt, nicht aber Journalisten. "Für Journalisten gibt es keinen ausreichenden Schutz mehr vor heimlicher Überwachung, vor Durchsuchungsaktionen und vor Forderungen, ihr Recherchematerial herauszugeben", beklagt die Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Elke Schäfter. Am 18. Dezember wird das Gesetz vom Bundestag, einen Tag später vom Bundesrat abgesegnet. Damit ist klar: Auch 2009 wird sich das Bundesverfassungsgericht wieder mit dem BKA-Gesetz beschäftigen müssen. Erste Klagen sind schon angekündigt.