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"Das Auge der Welt"

Huren und Hässliche - auf ganz altmeisterliche Weise zeigte Otto Dix das scheinbar Abseitige der Gesellschaft. Eine Schau im Stuttgarter Kunstmuseum zollt dem Maler nun Tribut und fragt: Wie hielt es Dix eigentlich mit der Politik?

Von Christian Gampert | 10.11.2012
    Diese Ausstellung singt nicht unbedingt ein Loblied auf Otto Dix. Obwohl – oder gerade weil - die Dix-Gemälde vor allem der 1920er-Jahre zum Kernbestand des Stuttgarter Kunstmuseums zählen, stellt man den Kriegs- und Großstadtmaler nun auf den Prüfstand – und fragt: Wie hielt er es denn mit der Politik? Oder überhaupt mit dem Mitgefühl für andere?

    Die Ergebnisse sind erstaunlich - gerade in der Zusammenschau mit seinen Zeitgenossen, die von der Kunstgeschichtsschreibung ex post als "Neue Sachlichkeit" eingeordnet werden, zeigt sich: Dix war an Politik überhaupt nicht interessiert – es ging ihm allein um den Effekt seiner Bilder, um die Monstrosität der Themen und um den Zugriff seiner letztlich altmeisterlichen Maltechnik. Während George Grosz noch beißende Klage gegen hohlköpfige Bankiers und die miesen sozialen Verhältnisse führte, konnte sich Dix ja am Hässlichen und Moribunden durchaus berauschen, vor allem, wenn es in erotischer Form auftaucht.

    Die Künstler, die Gustav Hartlaub unter dem Titel "Neue Sachlichkeit" 1925 in der Mannheimer Kunsthalle versammelte, hatten im Grunde keinen gemeinsamen Nenner. Ein Maler wie Christian Schad, der heute – mit seinen lakonisch-leeren Bildern - als Protagonist dieser Kunstrichtung gilt, war damals gar nicht dabei. Und all die Künstler, die die Stuttgarter Kuratorin Simone Schimpf jetzt Otto Dix zur Seite stellt, sind äußerst unterschiedliche Wege gegangen.

    "Schon 1925 sagte der Hartlaub: 'Es gibt nen rechten Flügel, und es gibt nen linken Flügel. Es gibt die Sozialkritiker, und es gibt Klassizisten'. Aber tatsächlich ist die Lage komplizierter: die Flügel wechseln nämlich. Jemand, der 1920 wie Georg Scholz als Dadaist anfängt, wird plötzlich zum Klassizisten, wird plötzlich sehr traditionell. Jemand wie Franz Radziwill biedert sich den Nazis an. Obwohl er lange Zeit eigentlich als linke Figur galt. Rudolf Schlichter das Gleiche. Also, es sind nicht die geraden Biografien, die man da finden kann, sondern es sind Brüche in diesen Jahren."

    Was Dix selber anbetrifft, so gehörte er stilistisch wohl beiden Flügeln an: er war sowohl Verist als auch Klassizist. Die Ausstellung zeigt im Schnelldurchgang Dix' Häutungen: aus expressionistischen Anfängen entwickelt sich das pathetisch-effektreiche Kriegsbild, und gleich darauf sehen wir die hohläugigen Arbeiterjungen und schwangeren Hunger-Mädchen als soziale Anklage.

    Gerade im Kontrast zu den neusachlichen Malern wird aber klar, wie stark sich Dix bei der Tradition bediente. Georg Scholz zeigte dadaesk angehauchte Popen und Industrielle mit Schrauben im Kopf, Carl Großberg kahle Maschinensäle und Franz Radziwill magisch-realistische Stadtansichten. Während diese anderen aber meist flächig malten und mit Aussparungen arbeiteten, nahm Dix Temperafarben und malte im altmeisterlichen Stil – um das Weimarer Grauen parodistisch zu verzerren.

    Während die anderen moderne, desillusionierte Menschen zeigen, kann man bei Dix' Elendsgestalten die Vorbildfiguren aus Mittelalter und Renaissance fast herbeizitieren, sie kommen von Dürer, Holbein, bisweilen Grünewald – etwa in dem furchtbaren, allegorischen "Ungleichen Paar". Dix' Berliner Nutten treten stets zu dritt auf und sind den drei Grazien nachempfunden, ob angezogen oder nicht; die leptosome Nackte aus dem Bordellbild "Drei Weiber" sieht aus wie eine gelängte Figur von Lucas Cranach, nur eben als hässliche Fratze des 20.Jahrhunderts.

    Bei Auftragsarbeiten und Familienbildern ging Dix weitaus vorsichtiger, distanzierter, man kann auch sagen: neusachlicher zu Werke, wiewohl seine Oberschicht-Porträts oft auch antijüdische Klischees bedienen. Die Hauptwerke, vor allem das Großstadt-Triptychon, sind in Stuttgart inszeniert wie in der Kirche – um dann von den Vergleichsbildern analytisch zerlegt zu werden: schon bei Gert Heinrich Wollheim ist das 20er-Jahre-Tanzvergnügen als mittelalterlicher Totentanz inszeniert, und Karl Hofer zeigte die Tillergirls wie Schaufensterpuppen. Unter den Nazis stürzten die meisten Neusachlichen dann in die Konvention ab und malten brave Landschaften oder Schlimmeres –aber auch Dix gelang in der inneren Emigration am Bodensee ja kaum noch Haltbares.

    In der Ausstellung hängt aber auch ein Werk des neusachlichen Katholiken (und Schuh-Fetischisten) Rudolf Schlichter: es zeigt den von ihm bewunderten Schriftsteller Ernst Jünger in heroischer Pose. Und hier ergeben sich nun wirklich neue Einsichten: so kalt, wie Ernst Jünger den Krieg beschrieb, so malte auch Otto Dix das Nachkriegs-Elend der beinamputierten Bettler, der Prostituierten, der Tanzbälle. Politisch gleichgültig, aber immer mit höchster Lust am Effekt.