Archiv


Das "Blood and Honour"-Netzwerk entschlüsselt

Im Buch "Blut und Ehre" behaupten die Autoren, dass Uwe Böhnhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ein größeres Unterstützernetzwerk gehabt hätten - und nicht wie allgemein angenommen als isoliertes Terrortrio agiert haben.

Von Claudia van Laak | 17.06.2013
    Die Bücher heißen "Das Zwickauer Terrortrio", "Die Zelle" oder "Rechter Terror in Deutschland" – jeder Verlag, der etwas auf sich hält, hat mittlerweile ein Buch über den Nationalsozialistischen Untergrund NSU veröffentlicht. Nun also "Blut und Ehre – Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland" im Christoph-Links-Verlag. Warum noch ein Buch über den NSU? Der Herausgeber und Mitautor Andreas Speit:

    "Ein zentraler Unterschied ist, dass wir sehr akribisch von 1945 bis 2013 verschiedene rechtsextreme Übergriffe, aber auch rassistische Mob-Übergriffe noch einmal genau uns angeschaut haben und hier dann eben auch wirklich en detail versucht haben zu skizzieren, was ist damals passiert, was ist die gesellschaftliche Debatte gewesen, was hat das für eine Auswirkung auf die Bundesrepublik gehabt?"

    In der Tat: Äußerst detailreich beschreiben Andreas Speit und Andrea Röpke rechtsextreme, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalttaten der letzten Jahrzehnte in Deutschland. Einige dürften sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben – die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda oder das Wehrsportkommando Hoffmann. Die meisten Taten und Täter dürften allerdings längst vergessen sein oder es können sich nur noch von wenige an sie erinnern: Die sogenannte "Gruppe Ludwig" zum Beispiel, die von 1977 bis ´84 mindestens 10 folgenschwere Anschläge in Deutschland und Italien verübte und dabei mindestens 15 Menschen ermordete.

    Terrorismus in Deutschland, das war vor der Aufdeckung der Zwickauer Zelle automatisch Terrorismus von links, schreiben die Autoren. In das Gedächtnis fest eingebrannt: Baader-Meinhof, RAF, Bewegung 2.Juni. Die Muster des linksextremistisch motivierten Terrorismus wurden schnell auf den Terror von rechts übertragen – deshalb wunderten sich auch alle über das Fehlen von Bekennerschreiben beim NSU – konstatieren Röpke und Speit.

    "Diese verkürzte Denklogik spiegelt sich auch in der Begriffsbildung mancher Medien wider, die von der "Braunen Armee Fraktion" in Anlehnung an die "Rote Armee Fraktion" (RAF) schreiben. Dabei wird nicht erkennbar, dass die Zielgruppen von braunem und rotem Terror weitgehend andere sind. Auffällig dabei: Der linke Terror ist im kollektiven Gedächtnis präsent, der rechte Terror wenig – bis gar nicht."

    Mit dem Buch "Blut und Ehre" will der Christoph-Links-Verlag dies – wenigstens ansatzweise - ändern. Der Titel bezieht sich auf das rechtsextreme "Blood and Honour"-Netzwerk, das nationalsozialistische Ideologie mithilfe von Musik verbreitet - ein loser Zusammenschluss, der auch Mundlos, Bönhardt und Zschäpe in seinen Reihen wusste.

    Die beiden Herausgeber und Mitautoren Andrea Röpke und Andreas Speit sind Fachjournalisten und profunde Kenner der rechtsextremen Szene. Seit Jahren recherchieren sie mutig im Umfeld von Neonazis und NPD, nehmen auch Bedrohungen in Kauf. Andrea Röpke ist mehrmals von gewalttätigen Rechtsextremen angegriffen worden. Sie kennt die Netzwerke genau und hat deshalb große Zweifel an der Aussage des Generalbundesanwalts, der in der Anklage gegen Beate Zschäpe von einem aufeinander eingeschworenen Tötungskommando aus drei Personen mit einem sehr eng begrenzten Unterstützerkreis ausgeht.

    "Bereits auf dem Weg in den Untergrund, so wird sichtbar, waren militante Seilschaften und 'Blood & Honour' und militante Kameradenkreise entscheidend, die sich aktiv zwischen Rechtsrock und Polit-Aktionen bewegten. Später kamen von dort auch Geld, Ausweise, neue Identitäten und wohl auch Waffen für die NSU-Terroristen. Anders als offiziell dargestellt, schien das Trio niemals gesellschaftlich und politisch isoliert zu sein."

    Röpke und Speit gehen von einem Unterstützerkreis für die drei mutmaßlichen Rechts-Terroristen aus, der auch von den Morden wusste. Ein Indiz: die Verbreitung der zynischen Paulchen-Panther-Bekenner-DVDs. Sie wurden nicht alle per Post verschickt. Die Anklage geht davon aus, Zschäpe persönlich habe sie nach dem Tod von Mundlos und Bönhard verteilt. Andreas Speit:

    "Es ist eine Annahme, man könnte aber auch annehmen, vielleicht lag diese DVD bei Kameraden herum für den Fall X, wo sie dann sozusagen veröffentlicht werden sollte als Bekennervideo von den Dreien, nachdem sie aufgeflogen sind."

    Eine interessante These, leider liefern die Autoren dafür keine Belege.

    Zusammengefasst: Gut, dass die beiden in ihrem Buch einen weiten Bogen geschlagen haben und den Rechtsterrorismus von 1945 bis heute beschreiben. Der NSU war kein isoliertes Phänomen, er hat eine Vorgeschichte. Andererseits: der Detailreichtum und der schlichte Berichts-Stil machen das Buch streckenweise ermüdend. Namen über Namen, ein Ereignis reiht sich an das nächste, leider werden zu wenige Zusammenhänge hergestellt. "Blut und Ehre" ist ein Nachschlagewerk geworden, keine analytische Aufarbeitung des Rechtsterrorismus in Deutschland.

    Die Publikation verfügt glücklicherweise über ein ordentlich geführtes Register. Noch besser wäre allerdings eine zusätzliche Internet-Datenbank gewesen, zumal im NSU-Prozess weitere neue Erkenntnisse zu erwarten sind – so berichtete der Angeklagte Carsten S. von einem möglichen weiteren Attentat des NSU, das den Anklägern bislang entgangen ist. Ebenfalls hilfreich wäre eine interaktive Graphik, die das Unterstützernetzwerk des NSU zeigt. Auch für den Christoph-Links-Verlag gilt: Papier bedrucken reicht heute einfach nicht mehr aus.

    Andrea Röpke/Andreas Speit: Blut und Ehre
    Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland,
    Ch. Links Verlag, 288 Seiten, 19,90 Euro