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Das BSE-Komplott

Beim Umgang mit BSE auf wissenschaftlicher und politischer Ebene in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union wurde ziemlich lange geschlampt, vertuscht und verharmlost. Das belegen die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen Irene Soltwedel-Schäfer und die Tierärztin und lange Jahre leitende Mitarbeiterin am Battell-Institut in Frankfurt am Main, Kari Köster-Lösche in ihrem Buch: 'Das BSE-Komplott. Das Protokoll des kalkulierten Wahnsinns', das in diesen Tagen erscheint. Sie berufen sich dabei auf Quellen wie EU-Ausschußberichte, Gutachten und Briefwechsel mit Ministerien und deren Fachleute, zu denen sie als Wissenschaftlerin, beziehungsweise als ehemalige Europa-Abgeordnete Zugang hatten.

Von Annette Eversberg | 29.01.2001
    Es ist sicher kein Buch, das zu einer angenehmen Bettlektüre zählt. Denn Entspannung will naturgemäß bei einem Thema wie BSE nicht aufkommen. Dafür gehen dem Leser die Augen auf. Zusehends von Kapitel zu Kapitel. 13 an der Zahl. Als der Begriff BSE erstmals auftrat, schien die Krankheit alle zu überraschen. In eilig zusammengetrommelten Ausschüssen und Kommissionen wurde Betroffenheit demonstriert, als handle es sich um etwas Geheimnisvolles, das man bisher noch nicht kannte. Vor allem in England. Während die Behörden noch dementierten, entwickelte sich bereits eine Epidemie. Bis 1996 waren es 11.000 kranke Rinder pro Jahr. Offiziell. Fachleute vermuteten jedoch mehr als 80.000. Vertuschen und Verdrängen hieß die Devise. Denn worum es ging, das war - so die Autorin Kari Köster-Lösche - den Fachleuten für die spongiformen Erkrankungen bei Tieren, zu denen BSE gehört, längst bekannt.

    Kari Köster-Lösche: Natürlich wurde geforscht, schon in den 40er, 50er Jahren. Und wir wußten, als BSE bekannt wurde, schon eine ganze Menge. Vor allem, daß BSE infektiös war für andere Spezies. Das hätte von vornherein alarmierend sein müssen. Denn auch der Mensch ist eine Spezies im Infektionsgeschehen.

    Trotzdem spielte das Verbot von Tiermehl zunächst keine Rolle, obwohl die Engländer schon 1988 darin die Hauptursache der BSE-Erkrankung erkannten. Untersuchungen wurden zurückgehalten.

    Kari Köster-Lösche: Was ich für besonders verwerflich halte, die EU, die sehr viel genauer, als wir einzelnen Wissenschaftler über die Untersuchungen Bescheid wußte, hat niemals nachgefragt. Sie hat sich keinerlei Ergebnisse vorlegen lassen. Es blieb einfach unbekannt. Es war einfach so, also ob es niemanden so recht interessierte, was dabei raus kommt.

    Was die Engländer selbst nicht haben wollten, wurde schließlich exportiert. Deutschland dementierte. Doch Irene Soltwedel-Schäfer und Kari Köster-Lösche fanden über den Umweg des Bundesamtes für Statistik heraus, wie viele Tonnen Tiermehl aus Großbritannien nach Deutschland kamen. Dazu noch Zuchtrinder und Kälber. Und nicht zuletzt Rindfleisch. Doppelt so viel, wie vor der BSE-Krise. Deutschland ist BSE-frei hieß es noch bis zum ersten BSE-Rind in Schleswig-Holstein. Dadurch mußten sich jene Wissenschaftler bestärkt fühlen, die mit den unglaublichsten Theorien versucht haben, eines zu beweisen: daß die Gehirnerweichung beim Tier nicht auf den Menschen übertragbar ist. Wissenschaftlich fragwürdige Tests an Mäusen wurden mit viel Geld ausgedehnt. Mit Halbwissen und unvollständiger Information haben die Agrarpolitiker, die wie in keinem anderen Bereich Handlanger einer Lobby sind, auch beim Tiermehlverbot operiert. 1994 wurde tierisches Futter für Wiederkäuer verboten. Deutschland mußte von der EU erst dazu gedrängt werden. Kritische Fragen wurden lautstark abgewehrt, das haben auch Irene Soltwedel-Schäfer und Kari Köster-Lösche immer wieder erlebt. Wer sich aber gegen den Mainstream des BSE-Komplotts - wie der Titel des Buches lautet - verging, der wurde abgestraft und im Falle der schleswig-holsteinischen Tierärztin Margrit Herbst sogar entlassen. Mit dieser Politik des Vertuschens ist in der Wissenschaft wertvolle Zeit verstrichen. Dabei wären längst Fragen zu klären gewesen, die so Kari Köster-Lösche wirklich dem Verbraucherschutz dienen:

    Wie infektiös sind Organe von Tieren, die BSE oder die Schafskrankheit Scrapie haben. Wie gefährlich sind Beinscheiben oder Markknochen, die in die Suppe kommen? Sind Hausfrauen beim Zubereiten von Fleisch gefährdet? Und warum erkranken Landwirte häufiger am Creutzfeld-Jakob-Syndrom als andere Berufsgruppen. Diese Fragen haben die Autorinnen bereits vor allen anderen formuliert. Damit sie beantwortet werden können, müssen aus ihrer Sicht grundsätzliche Veränderungen in der Agrarpolitik herbeigeführt werden, die sich mit Ministerrücktritten allein nicht bewerkstelligen lassen. Zumal noch all diejenigen da sind, die durch Nichthandeln dazu beigetragen haben, daß sich BSE auch in Deutschland ausbreiten konnte.

    Kari Köster-Lösche: Zunächst einmal müssen die Veterinäre auf den Schlachthöfen abgekoppelt werden von den Schlachthofbetreibern. Die, die kontrollieren dürfen niemals abhängig sein von denen, die das finanzielle Interesse daran haben. Ich denke, man sollte wirklich ein Ministerium nur für Verbraucher schaffen.

    Bibliographische Angabe: Irene Soltwedel-Schäfer, Kari Köster-Lösche: Das BSE-Komplott. Das Protokoll des kalkulierten Wahnsinns. Eine Publikation der Stiftung Ökologie & Landbau. Bad Dürkheim, Januar 2001 SÖL-Sonderausgabe Nr. 81 300 Seiten, Preis: 29,80 DM ISBN-Nr.3-934499-35-X