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Das Dankeschön der Kreativen

Welchen Anteil haben wir – als Teil der kreativen Szene – an der Mietsteigerung und Gentrifizierung in den angesagten Berliner Vierteln? Dieser Frage stellten sich zwei zugezogene Schweden selbstkritisch. Das Ergebnis: Ein Integrationsprojekt, in dem Neuberliner ihr Können an Alteingesessene weitergeben.

Von Cornelius Wüllenkemper | 23.07.2013
    "Ich bin Maria aus Portugal. Ich bin Designerin, Illustratorin und arbeite auch mit Textilien. Ich bin Anfang Juni mit meinem Freund nach Berlin gezogen, weil er hier einen Job als Web-Developer gefunden hat. Ich bin auch mitgegangen, weil die Kunst- und Kreativszene in Berlin einfach hipp ist. Das ist gut für mich zum Arbeiten."

    Die dunkelhaarige 31-jährige Portugiesin Maria sitzt in einem Kreuzberger Hinterhof, lächelt und blinzelt in die Sonne. Neben ihr versucht sich ein junges Mädchen am Farbdruck auf Stoffbeuteln. Den Stempel hierzu hat Maria aus Indien mitgebracht, wo sie einige Zeit verbracht und gearbeitet hat. Jetzt, beim Projekt "Design Deinen Sommer" der Berliner Stadtmission, bringt die Designerin Jugendlichen ihr Kunsthandwerk bei. Maria will so der Stadt, die gerade bei jungen Kreativen aus aller Welt äußerst beliebt ist, einfach etwas zurückgeben.

    "Das muss ich nicht, aber ich möchte gern. Das ist der Sinn vom Ehrenamt. Etwas geben, ohne dafür etwas zurückzuverlangen. Und außerdem lerne ich so Deutsch und treffe andere Menschen."

    Die Idee, die internationale Neuberliner Kreativklasse und die Berliner Urbevölkerung zusammenzubringen, stammt von zwei Schweden. Die Journalistin Annamaria Olsson und ihr Freund, Übersetzer und Labelbetreiber Anders Ivarsson, wohnen seit vier Jahren im neuen Szene-Viertel im nördlichen Neukölln. Sie sind Teil der ständig wachsenden Gemeinde junger Musiker, Künstler, Designer oder Autoren, die die Straßen Berlins bevölkern und langfristig, so wird jedenfalls behauptet, mitverantwortlich sind für Gentrifizierung und steigende Mieten.

    "Ab und zu ist da eine komische Stimmung zwischen Altberlinern und Neuberlinern – und diese Spaltung fand ich ganz furchtbar. Die Debatte war ziemlich aufgeheizt, aber ohne konkrete Lösungen. Das waren nur Schlagwörter. Und wir wollten etwas Praktisches, eine kleine Lösung erfinden."

    Gesagt getan: die beiden Schweden posteten auf Facebook einen Aufruf an den kreativen Freundeskreis, Berlin und seinen Bewohnern etwas zurückzugeben. Sie wollen mehr sein als ein Faktor, mit dem die Immobilienwirtschaft die Aufwertung bestimmter Viertel und Mietsteigerung betreibt. Die Marktkräfte schlagen nämlich längst Kapital aus dem Slogan "arm aber sexy".

    "Vor allem habe ich das Gefühl gehabt, dass ich gerne aus dieser Blase herauswollte. Man liest ja diese Aufkleber überall, "Berlin doesn’t love you" oder "Yuppies raus!". Das sind einfache Schlagwörterlösungen, für die es eigentlich keinen Sinn gibt, außer sich mit den Leuten zu streiten."

    Mit ihrer Idee hatten Annamaria und Anders einen derart großen Erfolg, dass sie nur wenige Wochen später eine eigene Website einrichteten, die kreative Neuberliner mit Urberlinern vernetzt. Auf givesomethingbacktoberlin.com suchen soziale Projekte Hilfskräfte und bieten junge Kreative und hippe Neuberliner ihre Fähigkeiten an. Die beiden Schweden vermitteln Yogalehrerinnen in ein Heim für obdachlose Frauen, Theatermacher in ein Theaterprojekt für sozial Benachteiligte, kreative Bastler in eines der Reparaturcafés, in denen sich die Nachbarschaft beim Reparieren kaputter Gegenstände hilft. Einziges Kriterium bei der Vermittlung: ein echter Austausch zwischen Alteingesessenen und kreativen Expats.

    "Wir sind nicht nur freie Arbeitskräfte. Es war uns auch sehr wichtig, die andere Seite der Stadt und auch unsere Nachbarn wirklich kennenzulernen. So baut man auch eine gute Nachbarschaft und eine gute Gesellschaft auf."

    So wie die portugiesische Designerin Maria jetzt im "Designe deinen Sommer"–Camp der Berliner Stadtmission Jugendlichen Textildruck beibringt, haben Anders und Annamaria innerhalb von nur einem Monat über 30 Hilfskräfte vermittelt. Gerade haben die beiden Schweden sogar einen Preis beim Wettbewerb "Neue Nachbarschaft" der Montag Stiftung gewonnen.

    "Wir hatten ein bisschen Panik gekriegt, als wir gesehen haben, wie viele Leute sich engagieren wollen – ‚Huch, was haben wir jetzt gemacht? Was Megagroßes. Haben wir die Zeit dafür?‘"

    Drei Tage pro Woche wenden Anders und Annamaria mittlerweile für ihr Projekt auf, und müssen nebenher als Freiberufler natürlich auch noch Geld verdienen. Immerhin nimmt das schwedische Paar so der sauertöpfischen Kritik an zu vielen Touristen und kreativen Neuzuzüglern den Wind aus den Segeln, sorgt für gelebte soziale Vernetzung und gibt außerdem auch dem arg abgenutzten "arm aber sexy"-Slogan einen neuen Sinn.