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Das Digitale Logbuch
Präsidialtweets

Das Modell der parlamentarischen Demokratie hat ausgedient. Wir wussten schon lange, dass das Parlament ein träges System ist, wo die Plätze meistens leer sind und vorne von uns gewählte Vertreter Dinge von sich geben, die nichts mit uns zu tun haben.

Von Maximilian Schönherr | 21.01.2017
    Das Twitter-Profil von Donald Trump wird auf dem Bildschirm eines Laptops angezeigt.
    Das Twitter-Profil von Donald J. Trump zählte schon vor seinem Amtseid zu den am stärksten wachsende Profilen weltweit. (imago / Rüdiger Wölk)
    Wir lernten die kurzen, knackigen Statements moderner Staatsmänner und -frauen schätzen. Wenn jemand über den neuen Präsidenten spottet, er sei korrupt, tweetet der verlässlich mit ein paar wenigen Worten, quasi einem halben Satz, zurück: "Korrupt sind die anderen!"
    Wenn jemand über ihn tweetet, er habe kleine Hände und einen ebenso kleinen Verstand - ein unglaublich diffamierender Tweet, Fakenews par excellence -, tweetet der Präsident am Morgen noch vor dem Zähneputzen staatsmännisch zurück, er werde den Urheber dieses Tweets vor Gericht bringen. Und weil der Tweet ein bisschen kurz und der Präsident ein bisschen schlecht gelaunt ist, hängt er noch an: "innerhalb der nächsten 7 Tage".
    Es ist das Internet mit seinen Fake-News-Diensten, das diese fetzige Form der Basisdemokratie möglich macht. Statt großer parlamentarischer Debatten, abgehoben und ermüdend, wird mit Halbsätzen regiert. Parlamentsabgeordnete, träge vom langen Wahlkampf, werden harsch geweckt, mit Präsidialtweets wie: "Soziale Krankenversicherung sofort abschaffen". Und tweeten Sekunden später zurück: "Soziale Krankenversicherung abgeschafft, Mr. President." Das nennt man handlungsfähige Regierung.
    Wegen des sensationellen Erfolgs des neuen demokratischen Modells wird der Reichstag in Berlin in ein Asyl für superreiche Boat People umgebaut. Das Kanzleramt wird ein solargespeistes Rechenzentrum, in dem selbstlernende Software Tweets erfindet und verbreitet.
    Die Kanzlerin ist unnötig, weil sie nicht tweeten kann; sie sitzt in einem Café am Prenzlauer Berg und gibt Autogramme an alte Leute. Die haben nur Festnetz und nie von Smartphones gehört, werden also auch nicht mehr wählen dürfen.
    Ich tweete, also bin ich.