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Das Dorf der Deutschen

Die intensive Mischung aus Meer, Wellen, Alpen, tropischer Vegetation - all das auf 378 Quadratmetern - lockt seit den 60er Jahren immer mehr Aussteiger nach La Gomera. "Leben und leben lassen" ist hier das Motto. Vor allem Deutsche bevölkern die Kanareninsel, die immer noch eine Oase der Ruhe geblieben ist.

Von Kirsten Pape | 24.02.2008
    "Dieses Licht ist schon enorm hier. Damit tankt man schon auch Energie auf, die einem über den Körper zugeführt wird. Ist halt dieser Dreiklang: Meer, Sonne und die Berge."

    "Wie ich auf die Insel gekommen bin, hatte ich das Gefühl, ich komme heim. Da sind schon die Tränen geflossen, wie ich auf Teneriffa ausgestiegen bin. Da dachte ich: Ist das komisch in Los Christianos. Wir sind dann mit dem Boot mit Reggaemusik herübergefahren, über die Insel gefahren. Da hatte ich das Gefühl, ich bin zu Hause."

    "Das Leben hier ist intensiver als woanders. Alles, was um Dich herum abgeht, was in Dir, in Deiner Gefühlswelt abgeht, ist irgendwie deutlicher, klarer, stärker. Es liegt an der Energie dieser Insel. Weil jeder Platz eine Energie hat. Und Gomera hat eine sehr starke Energie."

    Was immer es ist - die "Energie", die einzigartige Natur, die Gelassenheit der Gomeros - oder vielleicht auch die Tatsache, dass die kleine Vulkaninsel trotz stetig steigender Besucherzahlen immer noch eine Oase der Ruhe ist: Auf Gomera fühlen und fühlten sich viele - vor allem deutsche - Besucher gleich wie zuhause. Kamen immer wieder oder blieben ganz.

    Die meisten haben sich im und um das Valle Gran Rey angesiedelt. Jeder sechste Bewohner des "Valle", wie die kleine Gemeinde im sonnensicheren Südwesten der Insel liebevoll genannt wird, ist Deutscher. Und da längst nicht alle offiziell gemeldet sind, dürften die tatsächlichen Zahlen noch weitaus höher liegen.

    Bis 1974 gab es nur zweimal wöchentlich eine Inselfähre nach La Gomera. Die ersten Deutschen, die damals ins Valle Gran Rey kamen, mussten ohne Strom und Telefon leben. Grundstücke und Häuser waren ziemlich billig. Noch zu Beginn der 80er Jahre galt Gomera als Geheimtipp für Individualtouristen und sogenannte "Hippies".
    Die bereiteten, wohl eher unfreiwillig, den Boden für den rasanten Aufstieg des Tourismus auf der Insel. Heute bringen täglich bis zu fünf Fähren von Teneriffa aus in ein bis zwei Stunden Gomerabesucher auf die zweitkleinste Kanareninsel.
    "Vielleicht ist das Besondere, dass man hier auf diesem Archipel, auf dieser kleinen runden Insel la Gomera in diesem Mikrokosmos all das findet, was man sonst nur findet, wenn man Millionen Kilometer zurücklegt - und in Indonesien oder Südamerika, oder was weiß ich wo, sich die Dinge zusammensucht. Und ich finde in La Gomera hat man alles auf 378 Quadratkilometern, den Vulkanismus, das Meer, die Wellen, Alpinismus, tropische Vegetation. Das ist eine Insel, die einen jeden Tag wieder neu begeistert, weil sie jeden Tag wieder anders ist."

    Der deutsche Fotograf Thomas Müller kam 1980 und verliebte sich sofort in die Insel. Er machte aus dieser Liebe ein prächtig gehendes Geschäft. Seine Fotos von Gomera einst und Gomera heute sind auf sämtlichen Postkarten und in zahlreichen Büchern über die Insel zu bewundern.

    Müllers kunstvoll ausgewählte Motive zeigen ihre atemberaubende Natur in all ihren Facetten: die wilden und zerklüfteten Felslandschaften, die wenigen, oft schwarzen Sandstrände, das zentrale Bergmassiv des Garajonay, von dessen 1487 Meter hoher Spitze man, bei klarer Sicht, hinüberschauen kann auf den Teide - die Vulkanspitze der Nachbarinsel Teneriffa. Und den immergrünen Lorbeerwald an den feuchten Nord- und Osthängen der Insel, die tropischen Terrassentäler mit ihren Bananen- und Zitrusplantagen, die einzigartige Vegetation der Insel.

    "Die Welt hat Europa, Europa hat Spanien.
    Spanien hat einen Garten: die kanarischen Inseln",


    heißt es in einem kanarischen Volkslied. Die schönste Blume in diesem Garten ist Gomera, könnte man neu hinzudichten. Und deswegen ist der Fotograf Thomas Müller nicht der einzige, der geblieben ist.

    Auch Capitano Claudio alias Claus Heinrichs zählt zur ersten Generation deutscher Einwanderer. Der mittlerweile über 70-jährige Altfreak - goldener Ohrring im linken Ohr, Bart, Kettenraucher, machte 1985 auf dem Weg nach Brasilien mit seinem Segelschiff Halt auf Gomera. Er hatte die Nase voll von seinem Job in der deutschen Werbebranche und wollte eigentlich die Welt umsegeln. Die kleine Atlantikinsel mit ihren so stolzen wie gelassenen Einwohnern und den wenigen Freaks, die sich schon damals dort angesiedelt hatten, gefiel ihm so gut, dass er blieb. Claus Heinrichs betrachtet die Entwicklung, die das Valle Gran Rey - und seine Bewohner - seitdem genommen haben, mit der Gelassenheit des Alters:

    "Ich zähle auch zu denen, die hier in den 70er Jahren hinkamen und glaubten, ein Paradies gefunden zu haben. Das ist ja das, was uns die Gomeros vorwerfen, die Eingeborenen hier. Die sagen: Ihr seid gekommen und wolltet ein Paradies finden und glaubtet: So ein Natursteinhaus, wo die Wäsche noch im Fluss gewaschen wird, das ist das Paradies. Das ist zwar euer Paradies, weil ihr ja alles andere schon hattet und glaubtet, dass euch das nicht gefällt.

    Aber wir doch bitte schön nicht. Wir wollen keine Wäsche im Fluss waschen, wir wollen nicht mit dem Esel zur Arbeit reiten. Wir wollen mit dem Mercedes zur Arbeit fahren. Und das muss man dann, wenn man ehrlich ist, den Leuten ja auch zugestehen: Die müssen ja die gleichen Fehler machen, die wir gemacht haben."

    Viele Gomeros leben mittlerweile gut vom Geschäft mit dem Tourismus. Und auch Claus Heinrichs ist Besitzer eines Autos, einer Waschmaschine, und einer Satellitenschüssel auf seinem Hausdach. Vor allem aber ist er Erfinder, Herausgeber und Chefredakteur der Inselzeitschrift "Valle-Bote". In seinen witzig-anarchischen Texten kommentiert Heinrichs nicht nur das gesamte Inselgeschehen mit allem Klatsch und Tratsch, sondern gibt auch seine Meinung zur deutschen und Weltpolitik wieder. 5000 Exemplare verkauft er davon vierteljährlich. Wer etwas zu erzählen hat - oder wissen will - über das deutsche Dorf im Dorf, muss den Chef des "Valle-Boten" aufsuchen:
    "Es gibt 'die' Deutschen hier genauso wenig wie es 'die' Gomeros gibt, diese Schubladen stimmen nicht. Auf der einen Seite gibt es hier eine große Gruppe von Esoterikern, von Hippies, die leben in einer Blase, einer Welt, die sehr eigen ist. Die haben ihre eigenen Überzeugungen, ihre eigene Religion, nach der sie leben. Die ihre Gurus haben und ihre Heilmittel. Dann gibt es die Leute, die hier einfach nur geflüchtet sind vor ihrer Wirklichkeit, die einfach versuchen, hier als Hippies zu leben.

    Oder es gibt die Leute, die den Traum haben, auf eigener Scholle leben zu wollen. Die kaufen sich dann irgendeine Finca in den Bergen und brauchen dann ungefähr ein Jahr, bis sie festgestellt habe, dass das auch nicht das Wahre ist - weil mit Schweinearbeit verbunden - und auch nicht das Geld bringt, das man als verwöhnter Deutscher zu brauchen scheint oder meint."

    Das kleine, überschaubare Valle Gran Rey mit seinen Vierteln Vueltas, Playa, Puntilla, Bobalan und La Calera lässt sich in einer guten Stunde zu Fuß durchqueren. Zwar mussten mittlerweile die Bananenplantagen, die früher die Wege des Valle säumten, gut geteerten Straßen Platz machen. Sogar Kreisverkehre hat man eingezogen - eine etwas übertrieben anmutende Maßnahme, denn noch hält sich die Zahl der Einwohnerautos und Mietwagen in Grenzen. Viele Touristen und Anwohner gehen zu Fuß oder treten in die Pedale. Was allerdings eine gewisse Kondition erfordert: Irgendwie geht es immer bergauf auf Gomera. Der atemberaubenden Fels- und Meerkulisse, von der das kleine Tal umgeben ist, tun die Straßen aber bislang keinen Abbruch.
    Doch es wird unablässig weiter gebaut. Die Immobilienpreise ähneln mittlerweile denen in Deutschland. Der norwegische Unternehmer Fred Olsen - gerne als der wahre Besitzer der Insel verspottet - errichtet mit Unterstützung der Inselpolitiker ein Hotel und eine Appartementanlage nach der anderen. Bald schon soll es möglich sein, dass auch seine große Autofähre im umgebauten kleinen Hafen des Valle Gran Rey hält und noch mehr Touristen auf die Insel bringt.
    Die eigentlichen Inselbewohner sehen das mit gemischten Gefühlen. Die gomerische Umweltorganisation "Tagurunche" ermittelte, dass mittlerweile 70 Prozent aller Gomeros einer weiteren Ausweitung des Tourismus negativ gegenüber stehen.

    Allabendlicher Treff der Deutsch-Gomerianer - egal ob Touristen oder Inselbewohner - ist das Restaurant Maria am Hauptstrand des Valle Gran Rey. Jeder Sonnenuntergang wird dort zelebriert, schon seit über 30 Jahren. Zu Bier, Wein oder Antialkoholischem steht oder hockt man vor der Bar und bewundert Feuerjongleure, Trommler, Didgeridoo-Spieler und Tänzer. Die meisten von ihnen übrigens deutsche Alt- und Jungfreaks.

    Seit einigen Jahren gehen die Sonnenuntergangs-Künstler regelmäßig mit dem Klingelbeutel rum - das Leben auf Gomera ist nicht mehr so billig, wie es mal war. Die Lebensmittelpreise auf der Insel sind die teuersten der gesamten Kanarengruppe - ein Großteil der Waren wird importiert.

    Beim täglichen Sonnenuntergangsritual kann man neue Leute kennenlernen, Verabredungen für eine Tour im gomerischen Wanderparadies treffen oder den neusten Valle-Tratsch austauschen.
    Marias Kneipe ist sozusagen der Marktplatz der Insel. Hier findet jeder seinen Platz. Die bunte Mischung aus Trommlern mit hochaufgetürmten Rastafrisuren, buntgekleideten Feuerjongleuren, deutschen Residenten und überwiegend deutschen Touristen, die individuell, über spezielle Ökoreiseanbieter, oder auch über die üblichen Pauschalveranstalter, auf die Insel gekommen sind, zeigt: La Gomera hat es trotz aller Veränderungen geschafft, seinen besonderen Charme, seine, wie viele es nennen, "spezielle Energie" zu behalten.

    Das könnte auch daran liegen, dass Gomera überdurchschnittlich viele Anhänger alternativer Lebensformen, und spirituelle Sucher anzieht. An fast jedem Laternenmast finden sich Angebote für Massage, Meditation, Schamanismus und ähnliches.

    Gyan - bürgerlicher Name Silvia Blaschek - ist eine der vielen Sanyassins auf der Insel, eine Anhängerin des verstorbenen indischen Gurus Osho. Seit 17 Jahren wohnt sie in der "Casa Blanca". In ihrem kleinen Häuschen mit riesigem Dachgarten mitten im Valle Gran Rey bietet sie unter anderem Meditationen an. Sie hat schon viele Deutsche kommen und gehen sehen:

    "Manche kommen auch in Rhythmen hierher. Ein Jahr, sechs Monate, ganz verschieden - aber sie wissen: Jetzt ist ihre Gomerazeit wieder da, ihre Wachstumszeit. Und dann nehmen sie das mit, was sie hier mitnehmen, nämlich diesen großen Lebensfunken, und diesen großen Mut, neu sich wieder aufzumachen. Wenn sie wieder Nahrung brauchen, wieder einen Impuls in Richtung Transformation, kommen sie wieder."

    Martin Ronge und Andreas Huber gehören zu den "Residenten" auf der Insel. Sie haben mit Spiritualität wenig am Hut. Ihnen gefällt das beschauliche Leben auf der kleinen Atlantikinsel einfach. Seit Mai 2006 betreiben sie die deutsche Bäckerei im kleinen Hafen des Valle Gran Rey. Von Mehrkornbrötchen über Schwarzwälderkirschtorte bis zum Hefezopf gibt es dort alles, was das deutsche Herz begehrt:

    "Wir machen einfach das ganz normale Programm von einer kleinen piefigen Bäckerei in Deutschland, wie sie in den letzten zehn Jahren alle ausgestorben sind. Wir haben beide den Beruf gelernt und wissen halt, dass es Weihnachten Christstollen geben muss und Zimtsterne. Und die Leute stehen da drauf, zumal es rezeptmäßig alles auf unserem Mist gewachsen ist, und alles Handarbeit, und überhaupt keine Convenienceprodukte. So richtig alte Bäckerschule."

    Andreas und Martin leben seit neun Jahren auf der Insel. Sie haben klein angefangen, wie die meisten im Tal:

    "In Deutschland habe ich eine 37-Stundenwoche gehabt und eine 5-Tage-Woche, und hier hab ich erstmal die Hälfte mehr gearbeitet. Also aussteigen ist das nicht. In Deutschland geht es den Leuten blendend, wenn sie eine Arbeit haben. Die sollen sich bloß nicht beschweren über 40 Stunden, weil: Das ist nichts."

    Nach Angaben der Inselzeitung "Valle-Bote" wurden im vergangenen Jahr auf Gomera 1043 neue Arbeitsverträge mit Ausländern abgeschlossen. Spitzenreiter: die Deutschen. Ein Grund dafür ist die Vereinfachung der Arbeitserlaubnis innerhalb der EU. Die beiden Bäcker sehen das mit gemischten Gefühlen:

    "Seit es so einfach geworden ist, kommen schon auch die Leute hier her, wegen denen ich aus Deutschland weggegangen bin. Auf der anderen Seite lebe ich natürlich auch von denen, und zwar relativ gut. Also, ich kann mich nicht darüber beschweren. Aber es ist einfach bemerkenswert, finde ich. Früher waren das eher irgendwelche Punks, oder was weiß ich, also: Leute die rauswollten aus Deutschland. Und mittlerweile kommen so viele Deutsche, die auch ihren Film von Deutschland mitbringen, dieses ewig Unzufriedene: Dieses 'Scheißwetter', ich kann es nicht mehr hören, das Negative eher, also das Glas ist immer halb leer statt halb voll."

    Im Valle Gran Rey gibt es nicht nur eine deutsche Bäckerei, sondern auch einen deutschen Metzger - berühmt für seine Frankfurter Würstchen - außerdem mehrere Bioläden mit vielen Produkten aus Deutschland. In den zahlreichen Kneipen liegen selbstverständlich deutsche Zeitungen aus, samstags wird in der deutschen Hafenkneipe Bundesliga geguckt. 2-mal die Woche werden in einem kleinen Veranstaltungssaal deutsche Kinofilme gezeigt. Ihre Freizeit verbringen viele deutsche Inselbewohner in privaten Sport-, Literatur- oder Musikkreisen - etwa dem kleinen von einer Schweizer Gesangslehrerin privat organisierten "Valle Gran Rey- Chor."

    Wer sich als Ausländer im Valle Gran Rey selbstständig macht, in der Regel mit einem Restaurant oder einer Bar, hat es ähnlich schwer wie diejenigen, die für sechs Euro pro Stunde jobben: Als Bedienung oder Koch in den vielen Bars und Restaurants, als Wanderführer oder als Putzhilfe für die vielen Appartements. Da gibt es viel Konkurrenz, auch untereinander.
    Die ehemalige Bankkauffrau Susanne Brack lebt sei zwölf Jahren auf Gomera. Die 43-jährige hat auch in Deutschland schon viele verschiedene Berufe ausgeübt -umgeschult auf Arzthelferin, ein Tagungshaus geleitet. Jetzt arbeitet sie doppelgleisig: Sie chartert Boote für die, wegen ihres Artenreichtums, so beliebten Delfintouren zwischen den kanarischen Inseln. Und sie bedient im La Salsa. Das gutgehende vegetarische Restaurant im Valle gehört ihrem Mann, der gelernter Koch ist.

    "Der Existenzkampf ist sicherlich sehr hart. Letztendlich muss man schauen, wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt, ob man überleben kann oder nicht, das ist eine ganz einfache Rechnung. Da wird es auch schon mal stressig. Man hat da auch so Existenzängste, weil man merkt: Man hängt total an der Nadel des Touristenstroms."

    Trotzdem sieht Susanne Brack die Pläne der Inselpolitiker, den Tourismus weiter auszubauen, mit Skepsis:

    "Wegen mir könnten sie jetzt auch aufhören zu bauen. Leider habe ich das nicht zu entscheiden. Es wird versucht, mehr Pauschaltourismus anzuziehen. Ich denke, die Leute haben noch nicht erkannt, was für ein Klientel hier regelmäßig kommt und wiederkommt. Und es wäre eigentlich wichtig, das zu sehen und für diese Leute die entsprechende Umgebung zu schaffen - oder besser zu lassen wie sie ist."

    Fragt man Deutsch-Gomerianer, ob sie etwas vermissen auf der Insel, dann fällt den meisten nur Kultur ein. Dieses Bedürfnis befriedigen sie dann, wenn sie - wie fast alle Residenten - mindestens einmal im Jahr den sogenannten "Inselkoller" kriegen und einen Abstecher nach Deutschland machen. So geht es auch der 37-jährigen Kerstin Prikl aus Düsseldorf. Sie kam vor acht Jahren und hat eine Festanstellung im größten Reisebüro des Valle .

    "Ich vermisse aus Deutschland doch schon ein bisschen Abwechslung, sage ich mal, Möglichkeiten, auch kulturelle Sachen, mal ins Theater, ins Kino gehen. Manchmal auch Regen und Schnee. Warme Jacke anziehen, durch einen Herbstwald laufen, so etwas. Oder zu Hause sitzen, Heizung, Decke über dem Kopf und Fernsehen gucken, weil es ja draußen regnet."

    Wer nicht will, muss übrigens nicht mal unbedingt Spanisch sprechen auf Gomera. Viele spanische Restaurantbesitzer stellen bewusst deutsches Personal an für ihre vielen deutschen Gäste. Und so gibt es angesichts der fast lückenlosen Infrastruktur des kleinen deutschen Mikrokosmos Valle Gran Rey auch nicht sehr viele Deutsch- Insulaner, die sich die Mühe machen, die Landessprache zu lernen. Gomeros und Deutsche existieren in einer Art friedlichen Koexistenz nebeneinander her. Resident Reinhard Pipion:

    "Man hat nicht das Gefühl, dass die einen nicht mögen. Man ist auch akzeptiert, als Kunde und so. Aber man ist nicht spanisch. Man ist Ausländer. Es bleibt alles an der Oberfläche. Man kommt nicht in die Familien rein. Und das ist hier so eine Familiengesellschaft: Hier gehört man erst dazu, wenn man am Esstisch, abends mit der Familie, sitzt. Dann gehört man erst dazu. Und der Weg, der ist ziemlich weit. Ich kenne keinen, dem es gelungen ist."

    Ein wenig anders scheint das zu sein, wenn man sich wirklich Mühe gibt mit seinen Nachbarn, wie die Schweizerin Sylvia Utiger. Sie lebt seit 20 Jahren auf Gomera und betreibt seit acht Jahren einen gut florierenden Bioladen mitten in Vueltas, dem kleinen Hafenviertel des Valle Gran Rey.

    "Die Gomeros brauchen lange, bis sie sich öffnen und bis sie wirklich die Deutschen, oder sogenannten Ausländer, an sich ranlassen. Weil: Es sind einfach viele Menschen hier, die kommen und gehen. Und für sie ist es schwierig zu unterscheiden, wer ist wirklich freund und wer will nur profitieren. Ich habe einen guten Freund, der aber jetzt in Teneriffa lebt, der hat gesagt: Die Deutschen, zuerst sind sie mit allen gut freund, dann kriegen sie das Grundstück oder das Haus, das sie haben wollen, dann ziehen sie einen Zaun herum, und dann hört man nichts mehr von ihnen."

    Über diesen Hang der Deutschen, sich abzugrenzen, lästert Claus Heinrichs in seinem Valleboten ergiebig und oft ab. Gleichzeitig rühmt er die große Toleranz der Gomerianer:

    "Die Einheimischen hier, die bewundere ich nach wie vor wegen der großen Toleranz, die sie gezeigt haben, als wir damals, so in den 60er, 70er, 80er Jahren gekommen sind. Da waren wir natürlich absolute Paradiesvögel für die Leute hier. Wir kifften, und die Leute liefen nackt am Strand herum. Da haben die nur den Kopf geschüttelt und gesagt: Das sind Ausländer, die sind halt so. Und dann haben die die auch in Frieden gelassen. Und es gab keine Auseinandersetzungen. So lebte man mehr oder weniger nebeneinander her.

    Die Gelassenheit gibt es immer noch. Wobei es natürlich Deutsche gibt, die meinen, dass die Gomeros den Deutschen auf den Knien zu danken hätten - dafür, dass sie hier den Tourismus und den Fortschritt gebracht haben. Das sehen die Gomeros natürlich völlig anders. Die sagen: Wir mögen die Deutschen, wenn sie hier ihr Geld ausgeben. Aber wir mögen sie nicht, wenn sie uns hier die Arbeit wegnehmen. Also auch diese Grundeinstellung gibt es. Aber es ist nie ein Problem. Wer hier ein Problem hat mit den Einheimischen, ist es selber schuld."

    Viele, die schon länger auf der Insel leben oder immer wieder kommen, wissen um genau diese exquisite Mischung aus Leben und leben lassen, die auf Gomera möglich ist. Sie genießen die Freiheit, die Leichtigkeit des Seins - und werden doch, wie überall auf der Welt, von ganz banalen materiellen Problemen genauso eingeholt wie von ihren eigenen, inneren Spannungen. Die Schweizerin Sylvia Utiger kennt sich damit gut aus:

    "Wir sind hier auf vulkanischem Gebiet. Man merkt schon: Gerade psychische Spannungen, Störungen und Geschichten, die werden hier schon intensiviert. Das habe ich gerade früher immer wieder gemerkt. Es ist wie ein Verstärker. Die Emotionen, die Gefühle, die Natur, der Mond, das Meer, die Wetterbedingungen verstärken das alles, was so drin sitzt. Und ich habe auch viele Menschen gesehen, die ausgeklinkt sind, was ihnen in Deutschland wahrscheinlich nicht passiert wäre. Plötzlich sehen sie hier Freiheit, Unabhängigkeit, Natur. Das kommt alles wie geballt, und das kann dann einfach irgendwelche Themen hochbefördern."

    Die Schweizerin hat sich mittlerweile so gut eingelebt auf der Insel, dass sie sogar darüber nachdenkt, sich in die Inselpolitik einzumischen:

    "Es wäre nötig, politisch aktiv zu werden, vor allem wegen der Umweltunbewusstheit, die hier stattfindet. Die Menschen, die lassen ihre Autos laufen, die Verbrennungsanlagen sind nicht in Ordnung, und die Abwässer sind nicht in Ordnung. Es passiert so vieles, was nicht richtig ausgeschöpft oder gelöst ist. Wir haben hier ein potentielles Kraftwerk stehen, das 360 Tage im Jahr brennt: Das ist die Sonne, und wir können hier mit Solaranlagen alle überleben. Wir könnten unsere Waschmaschinen, alles, damit betreiben.

    Das wünsche ich mir, dass dieses Bewusstsein einfach langsam hier einsickert - durch uns, die wir von außen kommen und gesehen haben, dass viele Probleme durch Umweltzerstörung verursacht werden. Ich wünsche mir sehr, dass wir da etwas bewirken können in Zukunft."

    Bis dahin ist es aber sicher noch ein weiter Weg. So wie Sylvia Utiger denken bislang nicht allzu viele Residenten der Insel. Immerhin haben bei den vergangenen Kommunalwahlen im Valle Gran Rey zum ersten Mal drei Deutsche kandidiert. Und einer hat es geschafft: Für die Partei der Sozialisten sitzt jetzt ein Deutscher im Gemeinderat. Wie er sich politisch einbringt und was er bewirken kann, bleibt abzuwarten.

    Bis dahin gilt auf der kleinen Kanareninsel weiterhin das Motto: Leben und leben lassen - und dieses ganz besondere Gefühl von Freiheit, eben die besondere "Gomera-Energie", genießen.