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Das einsamste Museum der Welt

In Mestia, einer alten Regionalmetropole im Hochkaukasus, entstand Anfang der 80er-Jahre ein ethnographisches Museum. Auf einer alten Gletschermoräne in 2000 Metern Höhe sind dort großartige Ikonen, Inkunabeln, Skulpturen, Wandgemälde und Teppiche zu sehen, die bis zurück ins 7. Jahrhundert datieren. Seit der Unabhängigkeit Georgiens, an dessen russischer Grenze Mestia liegt, fließt aus Moskau allerdings kein Geld mehr. Entsprechend desolat ist schon jetzt der Zustand des Museums.

Von Carsten Probst | 04.01.2006
    Im Foyer des Museums sitzt eine größere Gruppe von Frauen. Als wir eintreten, verstummt ihr angeregter Schwatz, den sie wahrscheinlich tagein, tagaus miteinander halten. Sie stehen langsam auf und begeben sich an ihre Plätze, zwölf bis vierzehn ältere Damen, die Garderobieren und Wächterinnen des Museums von Mestia, die meist beschäftigungslos sind, weil ohnehin kaum ein Besucher kommt. Zwei oder drei von ihnen täten die Arbeit zweifellos auch. Ein typisches Späterbe des alten Sowjetsozialismus. Museumsdirektorin Ciala Tschartonlani könnte die Einsparung einiger Stellen für ihr Haus gut brauchen, sie selbst verdient umgerechnet nur circa dreißig Euro im Monat und hat in ihrer Verwaltung noch nicht einmal einen Computer geschweige denn eine wissenschaftliche Fachbibliothek, um die ihr anvertrauten Kunstschätze angemessen zu bewahren. Aber die überzähligen Frauen zu entlassen, würde ihre Familien in noch größere Armut stürzen, sagt sie. Seit mehr als zwanzig Jahren hält Tschartolani hier die Stellung und trotzt mit bewundernswerter Geduld den Unbilden, die die alte Sowjetunion und das neue unabhängige Georgien ihrer großartigen Sammlung alter Kunst zumuten.

    " Die erste Gründung der Sammlung geht in die dreißiger Jahre zurück, als der Katholikos von Mestia, Gabrieli, in der Kathedrale der Stadt zahlreiche alte Bildwerke sammelte: Ikonen, Skulpturen, illuminierte Handschriften. Die Kommunisten haben damals jedoch sehr viele Gotteshäuser in Georgien, nicht nur christliche, auch die anderer Religionen, geplündert und niedergebrannt, und Gabrieli, der immer versucht hat, die Sammlung zu schützen, wurde 1937 von den Kommunisten erschossen."

    berichtet Tschartolani und fährt fort, dass zahlreiche Kunstwerke der Region damals bereits in das französische Exil der georgisch-orthodoxen Geistlichkeit gebracht worden seien und nach dem Ende der Sowjetunion in das neue georgische Nationalmuseum der Hauptstadt Tbilissi zurückkehrten. Andere Werke, gerade in den abgelegenen Bergregionen, wurden aber von Familien und Privatpersonen versteckt und aufbewahrt, bis sich in den siebziger Jahren eine Kommission sowjetischer Kunsthistoriker für diese Schätze zu interessieren begann und in Moskau darauf drang, ein Museum für sie einzurichten, um sie vor der Verwahrlosung zu retten. Ciala Tschartolani, für das Museum als Gründungsdirektorin eingesetzt, galt bei dem misstrauischen Bergvolk der Swanen, dessen Hauptstadt Mestia ist, zunächst wohl eher eine Alibifigur für staatlich organisierten Kunstraub. Nach zahlreichen Querelen und Unterbrechungen wurde das Museum von Mestia, wahrscheinlich das höchstgelegene Kunstmuseum des Kontinents, aber schließlich vor vier Jahren offiziell eröffnet. Wie nur sehr wenige georgische Bauprojekte dieser Jahre hat es irgendwie den Zusammenbruch des Sowjetsystems überstanden. Aber der Zustand des Neubaus und die Bedingungen für die Kunstschätze sind erschreckend.

    " Vielleicht wird es einmal eine Zeit geben, in der wir schon am Beginn eines Jahres sicher wissen, ob und wie viel Geld wir für die nächsten Ausstellungen, Kataloge und sonstigen Arbeiten haben werden. Ob wir uns vielleicht sogar einmal einen Computer leisten können oder eine Restaurierung. Vielleicht werde ich das nicht mehr schaffen, weil ich schon zu alt bin. Aber eines Tages wird es vielleicht einem anderen Direktor gelingen, darauf hoffe ich. Die Hauptsache ist, dass das Museum bestehen bleibt,"

    sagt Ciala Tschartolani, und die Tränen stehen ihr in den Augen, wenn sie den fast hoffnungslosen Zustand mancher alter Werke beschreibt, für deren Restaurierung das Geld fehlt. Beispielsweise Webteppiche mit christlichen Motiven aus dem 10. Jahrhundert, die inzwischen zu empfindlich sind, um sie einfach so ins Ausland in eine Spezialwerkstatt zu transportieren. In den Vitrinen liegen kostbare alte Codizes, deren Seiten notdürftig mit Pergamentpapier vor Feuchtigkeit geschützt werden. Aber es gibt keine Geräte zur Überwachung des Raumklimas. Und auch die meisten großartigen Ikonen sehen mitgenommen aus. Alsbald soll ein neuer Museumsverbund für Georgien alle Museen des Landes zentralisieren und für bessere Verteilung von Budgetgeldern sorgen. Aber wann die Reform kommen wird, ist noch ungewiss. Das Swanen fürchten derweil, dass ihre Schätze auf diesem Weg ebenfalls nach Tbilissi ins Nationalmuseum geschafft werden könnten, eine Tagesreise entfernt. Bevor das geschieht, heißt es, holen sich die Swanen eher die Bilder aus ihrem eigenen Museum zurück.