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Das einzige Dialogforum zwischen Ost und West im Kalten Krieg

Am 3. Juli 1973 begann die erste Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz KSZE. 35 Außenminister, darunter auch der DDR, der USA und der Sowjetunion, rangen zwei Jahre lang um Kompromisse. Am Ende einigten sie sich auf die Unverletzlichkeit der Grenzen und das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.

Von Monika Köpcke | 03.07.2013
    "Diese Konferenz soll Impulse geben für die Entspannung, sie soll eine eigene Dynamik schaffen, eine Dynamik, die die Entspannungspolitik herausführt aus den Amtsstuben und Regierungskanzleien, die die Menschen einbezieht."

    Walter Scheel, Außenminister der Bundesrepublik.

    "Aus diesem Grunde heißt unser Treffen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit. Dahinter steht die Überzeugung, dass Zusammenarbeit und Kontakte gleichgewichtige Faktoren der Entspannung und Stabilität sind."

    Am 3. Juli 1973 begann die erste Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz KSZE. 35 Außenminister kamen in Helsinki zusammen. Die Sowjetunion, aber auch die USA und Kanada waren dabei und fast alle europäischen Staaten, selbst der Vatikan. Erich Honecker, damals Erster Sekretär des SED-Zentralkomitees, hatte den DDR-Vertreter mit einer klaren Zielvorgabe nach Helsinki geschickt:

    "In Anbetracht der historischen Lehren und der aktuellen Erfordernisse der europäischen Politik ist die Achtung und Anerkennung des Prinzips der Unverletzlichkeit der Grenzen das Entscheidende."

    Schon seit den 50er-Jahren hatte die Sowjetunion wiederholt eine vergleichbare Konferenz gefordert. Man wollte sich den bis nach Mitteleuropa reichenden Einflussbereich als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs festschreiben lassen. Der Westen hatte immer wieder abgelehnt. Erst mit der beginnenden Entspannungspolitik Anfang der 70er-Jahre und der neuen Ostpolitik unter Willy Brandt wurde solch eine blockübergreifende Konferenz möglich. Hans-Dietrich Genscher, seit 1974 Außenminister der sozialliberalen Koalition:

    "Entspannung ist nach westlichem Verständnis ein Prozess, der der Geschichte unterliegt, der den Status quo also nicht auf ewig festschreibt, sondern dynamisch die Möglichkeit neuer Entwicklungen offenhält. Das schließt für uns sowohl die Möglichkeit der deutschen Einheit wie auch der Vollendung der europäischen Einigung ein."

    Zwei Jahre lang rang man um Kompromissformeln. Am 1. August 1975 war es endlich so weit: Die Staats- und Regierungschefs präsentierten in Helsinki das Ergebnis der Verhandlungen: Die KSZE-Schlussakte. Es war ein großes Tauschgeschäft. Man einigte sich auf die Unverletzlichkeit der Grenzen und das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Das kam vor allem der DDR zugute. Andererseits wurde der friedliche Wandel ausdrücklich zugelassen, sodass auch die westdeutschen Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung beflügelt wurden. Der Westen versprach den Ostblockstaaten wirtschaftliche Zusammenarbeit, im Gegenzug bekam er dafür Bekenntnisse zu mehr Freiheits- und Bürgerrechten und die Aussicht auf Kontakterleichterungen. Ganz Europa stimmte der Schlussakte zu - nur die CDU/CSU nicht. Friedrich Zimmermann im Deutschen Bundestag:

    "Es ist für uns undenkbar und unannehmbar, dass eine deutsche Bundesregierung etwa ein Schlussdokument einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet, wenn nicht zwei entscheidende Fragen auf dieser Konferenz mitgelöst werden können: Abschaffung des unmenschlichen Schießbefehls durch das SED-Regime und die Gewährung einer Selbstbestimmungsgarantie für alle Deutschen."

    Es war zu dieser Zeit ein kühner Gedanke, den Status quo in Europa fast unbemerkt in kleinen Schritten überwinden zu wollen. Die KSZE-Schlussakte war kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag: Mit ihren zahlreichen Folgekonferenzen war sie vielmehr ein Prozess, das einzige Dialogforum zwischen Ost und West im Kalten Krieg. Im Juli 1975 sagte Willy Brandt bei der Bundestagsdebatte zur Schlussakte:

    "Die innereuropäischen Gräben werden nicht zugeschüttet, Mauern noch nicht abgetragen, hochgerüstete - ja, ‘noch’, sage ich, als ob Sie nicht auch hofften, dass es ‘noch’ heißen muss und nicht heißen soll ‘überhaupt nicht’."

    Im Herbst 1990 erklärte die KSZE-Folgekonferenz in Paris den Kalten Krieg für beendet und die Demokratie zur verbindlichen Staatsform in Europa. 1995 wurde aus der KSZE, der Staaten-Konferenz, die OSZE: Eine Staaten-Organisation mit festem Sitz in Wien.