Freitag, 19. April 2024

Archiv


Das Ende der Reichshauptstadt

Der Krieg war schon entschieden, die Alliierten hatten längst die größten Teile Deutschlands besetzt. Doch die NS-Führung führte bis zum Schluss einen erbitterten Kampf um die "Reichshauptstadt" Berlin. Soldaten und Zivilisten wurden gleichermaßen Opfer dieses aussichtslosen Kampfes, ehe die letzten deutschen Kampfeinheiten heute vor 60 Jahren vor der sowjetischen Armee kapitulierten.

Von Tillmann Bendikowski | 02.05.2005
    Viele Schlachten um europäische Hauptstädte hatte es im Zweiten Weltkrieg schon gegeben: den Fall von Paris, den Untergang Warschaus oder die erfolgreiche Verteidigung Moskaus. Jetzt – im Frühjahr 1945 – wartete die Welt auf das Ende der Schlacht um die größte Stadt des Deutschen Reiches. Die Reichshauptstadt und mit ihr das Sinnbild des NS-Terrors sollte bezwungen werden. Am 2. Mai 1945 war es endlich soweit. Die BBC unterbrach ihre laufende Sendung:

    " Now we are breaking into our program with some splended news from Moscow: Berlin has fallen. Marshall Stalin has just announced the complete capture of the capital of Germany, the central of german imperialism and the cradle of german agression. "

    Berlin war gefallen. Nach zermürbendem Häuserkampf gelang es sowjetischen Truppen, den letzten Widerstand zu brechen. Mitglieder der Waffen-SS, reguläre und zusammengewürfelte Wehrmachtseinheiten sowie alte Männer und Kinder im sogenannten "Volkssturm" hatten einer überlegenen und kampferprobten Roten Armee gegenübergestanden. Für diese war die Kapitulation Berlins schon gleichbedeutend mit dem Sieg über Deutschland und dem ersehnten Ende des Krieges. Die NS-Führung brauchte einige Zeit, diese erneute Niederlage einzugestehen – erst mit zweitägiger Verspätung hieß es im Wehrmachtsbericht:

    " Der Kampf um die Reichshauptstadt ist beendet. In einem einmaligen, heroischen Ringen haben Truppen aller Wehrmachtsteile und Volkssturmeinheiten, ihrem Fahneneid getreu, bis zum letzten Atemzug Widerstand geleistet und ein Beispiel besten deutschen Soldatentums gegeben. "

    Der NS-Staat lag in Trümmern, aber die alte Propagandasprache funktionierte noch. Mit den hier gepriesenen Beispielen "besten deutschen Soldatentums" hatte Europa zu diesem Zeitpunkt schon genug schlechte Erfahrungen gemacht. Und obwohl der Krieg – was auch die überzeugtesten Nazis wussten – nun offensichtlich verloren war, flackerte der Fanatismus immer wieder auf und richtete sich mit seiner Grausamkeit auch gegen die eigenen Kämpfer: Vermeintliche oder tatsächliche Deserteure wurden demonstrativ hingerichtet – auch in den letzten umkämpften Straßen von Berlin. Derweil schwankten die Menschen in den Kellern zwischen der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Kämpfe und der Sorge vor dem, was danach kommen würde. Und keineswegs durfte man sich zu früh ergeben. Die NS-Führung hatte ihre Drohung gerade erst wiederholt, allen voran Propagandaminister Goebbels:

    " Sollten Provokateure und verbrecherische Elemente versuchen, durch das Hissen von weißen Fahnen oder sonstiges feiges Verhalten in die zur Verteidigung der Stadt entschlossene Bevölkerung Unruhe zu tragen und ihren Widerstandsgeist zu lähmen, so ist dagegen sofort mit allen Mitteln einzuschreiten. Jeder Berliner ist für sein Haus und seine Wohnung selbst verantwortlich. "

    Doch der verordnete Widerstandsgeist war erschöpft, bald kämpften nur noch versprengte Einheiten vor allem im Regierungsviertel, wo Hitler Selbstmord begangen hatte. Der letzte Berliner Stadtkommandant, General Helmuth Weidling, hatte am 2. Mai schließlich ein Einsehen und unterzeichnete im Gefechtsstand General Schukows die bedingungslose Kapitulation. Den Text sprach er anschließend auf eine Platte, die vervielfältigt und dann mit Lautsprecherwagen in den Straßen Berlins bekannt gemacht wurde. Der Kampf, so Weidling, sei sinnlos geworden:

    " Am 30.4.45 hat sich der Führer selbst entleibt und damit uns, die wir ihm die Treue geschworen haben, im Stich gelassen. "

    Am Nachmittag schwiegen die Waffen. Wie viele Menschen zu Tode gekommen sind, bleibt bis heute unklar. Sicher ist, dass Soldaten wie Zivilisten gleichermaßen zu Opfern wurden. Wie hatte Goebbels wenige Tage zuvor noch erklärt?

    " Ich bleibe mit meinen Mitarbeitern selbstverständlich in Berlin. Auch meine Frau und meine Kinder sind hier und bleiben hier. Mit allen Mitteln werde ich die Verteidigung der Reichshauptstadtstadt aktivieren. "

    Als die sowjetischen Sieger am 2. Mai im Garten der Reichskanzlei eintrafen, fanden sie die Leichen der Familie Goebbels. Doch das Bild des Tages war nicht das von der verkohlten Leiche des Propagandaministers, sondern jenes von den siegreichen Soldaten, die auf dem Reichstagsgebäude die sowjetische Flagge hissten. Dieser symbolträchtige Akt hatte sich zwar schon zwei Tage zuvor vollzogen; doch inmitten der Kämpfe war keine Zeit für ein Foto geblieben. Das wurde nun in Ruhe nachgestellt – so viel Zeit hatten die Sieger an diesem 2. Mai 1945 dann doch.