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"Das Ende muss offen sein"

Der Vorsitzende des deutsch-türkischen Forums in der CDU, Bülent Arslan, hält es für richtig, die Frage eines EU-Beitritts der Türkei offen zu lassen. Heute sei die Türkei zwar nicht für einen Beitritt bereit. Es habe aber bereits viele Verbesserungen in dem Land gegeben, betonte Arslan. Um diese Entwicklung fortzusetzen, müsse man die Perspektive aufrecht erhalten.

Bülent Arslan im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.01.2010
    Christoph Heinemann: Wir halten fest: "Nein, danke!", schallt es vom Tegernsee. "Ja, bitte!" hat der Bundesaußenminister nun in Ankara wiederholt. Guido Westerwelle hat sich bei seinem Antrittsbesuch in Ankara für die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ausgesprochen.

    Wolfgang Labuhn berichtete und er hat Guido Westerwelle in Ankara auch gefragt, was er von der ablehnenden Haltung der CSU hält. Guido Westerwelle:

    "Ich glaube, dass das deutsche Innenpolitik ist. Das hat mit deutscher Außenpolitik nichts zu tun und deswegen möchte ich hier dazu auch in Anwesenheit unseres Gastgebers nichts sagen. Wenn ich hier im Ausland unterwegs bin, dann geht es darum, dass wir unsere eigenen deutschen, wohl verstandenen Interessen wahrnehmen, und wer in Deutschland Arbeitsplätze haben möchte, Ausbildungsplätze haben möchte, der weiß: wir leben vom Export, zum Beispiel mit 4000 Unternehmen, deutschen Unternehmen hier in der Türkei."

    Heinemann: Am Telefon ist Bülent Arslan, der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums in der CDU. Guten Tag!

    Bülent Arslan: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Arslan, die FDP sagt ja, die CSU sagt nein, die CDU teils, teils. Wie formuliert man daraus eine einheitliche Politik?

    Arslan: Das ist im Grunde ganz einfach: Das ist schon formuliert im Koalitionsvertrag und dort heißt es eben, dass die Gespräche, die Verhandlungen weiterlaufen, allerdings eben mit einem offenen Ende.

    Heinemann: Das heißt, man kann auch nein sagen?

    Arslan: Natürlich, aber das wird der Prozess zeigen. Deswegen finde ich es richtig, dass man jetzt diese Verhandlungen führt. Man muss ganz klar auch der Türkei gegenüber sagen, das wird mehrere Jahre dauern und das ganze wird nur erfolgreich zu Ende gehen aus türkischer Sicht, wenn natürlich die Türkei den Erneuerungsprozess der letzten fünf Jahre noch intensiver in den nächsten zehn Jahren weitermacht. Aber, was, glaube ich, wichtig ist, dass man der Türkei die Chance bietet, dass sie am Ende sich so stark verändert, dass sie auch in die EU rein kann.

    Heinemann: Aber die Enttäuschung könnte doch am Schluss ungleich höher sein, als wenn man jetzt die Notbremse zöge?

    Arslan: Nein. Passen Sie auf: Die Türkei beschäftigt sich ja jetzt im Moment auch durch die Verhandlungen viel intensiver mit der Europäischen Union. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen auch kritischer und skeptischer geworden sind, aber das führt zunehmend zu einer realistischen Einschätzung. Und wenn wir davon ausgehen, dass diese Verhandlungen in den nächsten Jahren weitergeführt werden, dann wird die Türkei selbst auch begreifen, ob sie wirklich ernsthaft Vollmitglied werden will. Es kann auch durchaus sein, was auch von vielen Experten, auch durch meine Wenigkeit beispielsweise so gesehen wird, dass am Ende die Türkei selber sagt: Wir wollen da gar nicht mehr rein, sondern wir sind eher für eine sehr nahe Partnerschaft mit der Europäischen Union.

    Heinemann: Was spräche aus heutiger Sicht gegen eine solche Partnerschaft?

    Arslan: Gegen eine solche Partnerschaft spricht nichts. Es spricht allerdings was dafür, dass man jetzt diese Frage noch offen lässt, ob am Ende eine Vollmitgliedschaft rauskommt, oder eben eine Partnerschaft. Es bringt überhaupt nichts, jetzt schon Entscheidungen zu treffen, die wahrscheinlich erst in zehn Jahren anstehen.

    Heinemann: Herr Arslan, die EU ist keine Besserungsanstalt. Das heißt, die Respektierung der Menschenrechte sollte eigentlich Mindeststandard sein. Ist die Türkei Ihrer Einschätzung nach heute dafür schon, oder erkennbar auch in absehbarer Zeit dafür reif?

    Arslan: Heute ist die Türkei nicht dafür reif, aber die Türkei ist wesentlich weiter als beispielsweise vor fünf oder zehn Jahren. Diese Besserung, die haben wir nicht zuletzt dadurch schaffen können, dass die Türkei diese EU-Perspektive bekommen hat. Das heißt, wenn diese Perspektive aufrechterhalten wird, bin ich mir sehr sicher, wird dieser Veränderungsprozess weitergehen. Das was gerade in der jüngeren Bevölkerungsgruppe in der Türkei an Entwicklungen zu beobachten ist, das zeigt sehr deutlich, dass die Türkei die Möglichkeit hat, beispielsweise in einer Zeitperspektive von zehn Jahren wirklich auch gerade in politischen, aber auch in wirtschaftlichen Bereichen die EU-Standards zu erreichen.

    Heinemann: Aber jedem Demokraten oder dem Rechtsstaatsverbundenen müssen doch die Haare zu Berge stehen, wenn in einem Land sogar ein internationaler bekannter Literaturnobelpreisträger wegen Beleidigung des Türkentums vor Gericht gestellt werden konnte?

    Arslan: Das sehe ich genauso. Nur noch mal: Sie müssen die Entwicklungen und die Veränderungen in diesen Bereichen sehen. Solche Dinge, wenn Sie das verstehen wollen, dann müssen Sie die türkische Geschichte sich ansehen, erst dann werden Sie begreifen, wie überhaupt solche Gesetze zu Stande kommen. Das ist beispielsweise ein Gesetz, was aus dem Militärputsch 1980 entstanden ist. Aber gerade diese Verfassung, die noch aus dem Militärputsch stammt, die muss beispielsweise verändert werden. Die Türkei wird aber aus eigener Kraft es nicht schaffen, das zu tun, weil in der Türkei natürlich auch bestimmte Kräfte vorhanden sind, die diese Veränderung nicht haben wollen. Genau deswegen braucht die Türkei den Druck der Europäischen Union.

    Heinemann: Aber Sie stimmen zu, dass die EU keine Besserungsanstalt ist?

    Arslan: Nein, natürlich nicht! Und deswegen muss das Ende auch offen sein. Es kann nicht sein, dass man am Ende eine Türkei aufnimmt, die gar nicht zur Europäischen Union passt. Das darf nicht sein. Aber wenn wir heute die Chance haben, gerade so einen wichtigen Partner positiv zu beeinflussen und so zu beeinflussen, dass beispielsweise auch die Friedensinitiative, die aus der Europäischen Union gesendet wird, viel intensiver betrieben werden kann in Richtung islamische Welt, dann sollten wir diese Chancen nutzen.