Donnerstag, 18. April 2024

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Das Ende von "Der Schwarze Kanal"
Die letzte Propagandasendung Karl-Eduard von Schnitzlers

Am 30. Oktober 1989 ging ein Stück DDR-Mediengeschichte zu Ende. Die Propagandasendung „Der Schwarze Kanal“, in der Karl-Eduard von Schnitzler seit 1960 jede Woche die Berichterstattung des Westens mit aggressiver Polemik kommentiert hatte, wurde ein letztes Mal ausgestrahlt.

Von Brigitte Baetz | 30.10.2019
    Ein Besucher des DDR-Museums blickt auf einen Fernseher in dem die Sendung "Der Schwarze Kanal" mit dessen Moderator Karl-Eduard von Schnitzler läuft.
    Im DDR-Fernsehen beschäftigte sich die Sendung "Der Schwarze Kanal" mit dem West-TV (Imago / Bernd Friedel)
    Karl-Eduard von Schnitzler: "Guten Abend, meine Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Genossinnen und Genossen. Diese Sendung heute wird nach fast 30 Jahren die kürzeste sein, nämlich die letzte."
    Und sie dauerte nur fünf Minuten. Am 30. Oktober 1989 war für den "Schwarzen Kanal", das Politmagazin des Karl-Eduard von Schnitzler, Schluss – noch bevor der Staat, dessen bekanntester Propagandist von Schnitzler gewesen war, von den Ereignissen der Wendezeit überrollt wurde. Die Mitarbeiter des DDR-Fernsehens hatten selbst entschieden, "Sudel-Ede", wie er im Volksmund hieß, vom Schirm zu nehmen. Dessen polemische Anmerkungen zur Berichterstattung des Westfernsehens schienen angesichts der Demonstrationen auf den Straßen und dem Zerfall des Ostblocks endgültig aus der Zeit gefallen.
    Feldzug gegen die vorgeblichen Lügen westlicher Journalisten
    "Hey Schnitzler, du elender Sudel-Ede. Sogar wenn du sagst, die Erde ist rund, dann weiß jedes Kind: Unsere Erde ist eckig."
    Sang Wolf Biermann 1989 in seiner "Ballade von den verdorbenen Greisen"- und stellte von Schnitzler auf eine Ebene mit den DDR-Hierarchen Honecker, Mielke und Hager. Seit 1960 hatte der Mann mit der charakteristischen dicken Brille jeden Montagabend nach dem Spielfilm Ausschnitte aus ARD und ZDF gezeigt und im Sinne der SED-Parteilinie kommentiert. Hier zum Beispiel antwortete er auf die Bestürzung des Westens über den Bau der Mauer 1961:
    "Die Nachricht von der Abschnürung zwischen Ost- und Westberlin ist die schlechteste, die schlimmste Nachricht seit Kriegsende." Karl-Eduard von Schnitzler: "Sehr richtig. Wer die Nachricht vom Ende des letzten Weltkrieges für schlecht und schlimm hält, der muss auch unsere Maßnahmen an der Grenze zu West-Berlin heute für schlecht und schlimm halten."
    Ein stilisierter schwarzer Bundesadler, geschmückt mit den Farben der Reichskriegsflagge, landete relativ flügellahm auf ein paar Sendeantennen. Dazu erklang das verfremdete Motiv des Deutschlandliedes. Schon der Vorspann des "Schwarzen Kanals" verriet: Hier galt es gegen Revanchismus, Kriegstreiberei und die vorgeblichen Lügen westlicher Journalisten zu Felde zu ziehen, im Folgenden am Beispiel des Internationalen Frühschoppens mit Werner Höfer und Wolfgang Leonhard.
    Karl-Eduard von Schnitzler: "So was gibt sich angeberisch als Ostexperte aus. Dieser hergelaufene Lump, der einst die DDR und alles, was ihn gefördert hat, verriet, der heute Adenauers Politik mit unverdauten oder gefälschten Lenin-Zitaten verteidigt und der den gutgläubigen Westdeutschen und West-Berliner Fernsehzuschauern von Herrn Höfer als größter Fachmann für Ostprobleme angepriesen wird." Werner Höfer: "Wolfgang Leonhard. Er kennt von uns allen hier am Tisch wahrscheinlich die Welt des Ostens am gründlichsten, nämlich von innen." Karl-Eduard von Schnitzler: "Na dann, gute Nacht, wenn so ein kleiner intellektueller Hochstapler in dieser ohnehin schon simplen Runde am meisten weiß."
    Die Einschaltquoten wurden geheim gehalten
    Karl-Eduard von Schnitzler war ein Überzeugungstäter. Der 1918 geborene Sohn eines preußischen Diplomaten pfiff auf seine adelige Herkunft und schloss sich früh den Sozialisten an. Über den Deutschen Dienst der BBC kam er nach dem Krieg zum NWDR nach Köln. Doch Hugh Carleton Greene, der Ziehvater des deutschen Nachkriegsrundfunks, setzte ihn aufgrund seiner kommunistisch gefärbten Kommentare vor die Tür. Von Schnitzler ging nach Ost-Berlin.
    "Mein erstes politisches Gespräch war mit dem Leiter der Westabteilung der SED, dem Genossen Ulbricht, und am Schluss dieses Gespräches fragte er noch, ob ich irgendeinen Wunsch habe. Und ich sagte, ja, jetzt kann ich endlich das dämliche ‚von‘ ablegen. Da sagte der: Du bist wohl verrückt geworden. Die Leute sollen wissen, von woher man überall zu uns kommt."
    Von Schnitzler war der bekannteste Journalist der DDR, doch nicht der beliebteste. Die Einschaltquoten des "Schwarzen Kanals" wurden geheim gehalten. Das Ende der DDR machte ihn nicht zum Wendehals. Meine Wirbelsäule ist kaputt, mein Rückgrat nicht, pflegte er zu sagen. Und in diesem Sinne verabschiedete er sich auch von seinen Zuschauern.
    "Der Revanchismus bleibt uns erhalten. Der Klassenkampf geht weiter. Und in diesem Sinne, meine Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Genossinnen und Genossen. Auf Wiederschaun."