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Das entgegenkommende Örtchen

Technik. - Der Gang zum Abort wird zum unüberwindlichen Hindernisparcours für eingeschränkte Personen. Um ihnen Linderung zu verschaffen, entwickelte ein EU-Konsortium mit zehn Projektpartnern eine Toilette, die mitdenkt. Eine erste Erprobung ging erfolgreich vonstatten.

20.06.2005
    Lähmungen, fehlende Gliedmaßen, arthritische Gelenke - es gibt viele Gründe, die jeden Gang zum "stillen Örtchen" zu einer Qual machen können. Doch zumindest Linderung ist in Sicht: eine Toilette, die ihrem Benutzer entgegen kommt. Auf den ersten Blick wirkt das Gerät allerdings eher wie eine Maschine aus dem Sportstudio.

    "Die Grundfunktion dieser Toilette ist ihre Höhenverstellbarkeit. Sie unterstützt den Anwender beim Aufstehen, indem sie einfach höher fährt und es Ihnen dadurch wesentlich erleichtert, aus der sitzenden in eine stehende Position zu kommen."

    Doch das sei nicht alles, erläutert Paul Panek von der Forschungsgruppe FORTEC in Wien, die im Rahmen eines EU-weiten Projektes den hilfreichen Apparat entwickelten. So kann sich der Stuhl auch neigen, um Behinderten den Umstieg aus und in einen Rollstuhl zu erleichtern. Zahlreiche unterstützende Funktionen helfen bei ganz unterschiedlichen Handicaps - von der Querschnittslähmung bis hin zu Personen mit eingeschränkter Koordination und Kraft wie beispielsweise bei Multipler Sklerose.

    Derzeit lernt das "freundliche Örtchen", wie das System im englischen getauft wurde, weitere Tricks, so etwa, auf die Stimmen seiner Benutzer zu gehorchen. Auf Zuruf schaltet das Gerät bereits das Licht an oder hievt den Sitz herauf und hinab. Was in der Praxis etwas kurios anmutet, ist aber auch für Pflegekräfte eine segensreiche Hilfe, schildert Panek:

    "Stellen Sie sich vor, Sie unterstützen manuell einen Transfer einer gebrechlichen Person aus dem Rollstuhl auf die Toilette. Sie benützen dabei beide Hände, um anzupacken. Da fehlt dann natürlich die dritte Hand, um noch auf einen Knopf drücken zu können. Deswegen ist die Spracherkennung eine gute Möglichkeit, um gleichzeitig die Höhe anpassen zu können."

    Im Probelauf nahmen die Testpersonen die Sprachsteuerung sehr gut an, doch in der praktischen Anwendung fehlt der mitdenkenden Toilette die Spracherkennung indes noch. Mit zehn Prozent Fehlerquote liege das System noch zu oft daneben, meinen die Entwickler. Ein anderes nützliches Detail dagegen dürfte ebenfalls gut bei den Benutzern ankommen: Eine elektronische Chipkarte - eine so genannte Smartcard - speichert die individuellen Einstellungen einer Person und stellt die gewünschte Position des Sitzes exakt wieder her.

    "Willkommen Herr Panek - Toilette bereit"

    ... meldet der Apparat sich bei seinem Herrn. Rund 2,1 Millionen Euro investierte die Europäische Union in die Entwicklung neuartiger "barrierefreier" Toiletten. Das Wiener Modell bewies seine Tauglichkeit bereits in der Erprobung bei der Caritas-Socialis, einer Einrichtung für MS-Kranke, berichtet der Österreicher.

    "Etwa 35 Personen haben teilgenommen, über zwei Monate intensivst getestet und sind sehr angetan davon, dass das Aufstehen durch die automatische Höhenverstellbarkeit erleichtert wird. Außerdem wurde begrüßt, dass die Toilette die Stabilität des Anwenders beim Sitzen verbessert, indem eine optimale Sitzhöhe mit ausreichendem Bodenkontakt eingestellt werden kann."

    Weiteres Plus der FORTEC-Toilette: Neben einer größeren Autonomie bietet die Vorrichtung nicht nur eine höhere Lebensqualität, sondern verbessert überdies die Gesundheit. Denn Gebrechliche entwickelten außer Haus oft Vermeidungsstrategien, so berichten Soziologen - die Personen trinken dann zu wenig oder verwenden entwässernde Tabletten, um sich den beschwerlichen Weg aufs Örtchen zu ersparen. Mit etwa 3000 Euro liegt die nützliche Hilfe für den stillen Ort dabei durchaus im Bereich des Erschwinglichen.

    [Quelle: Franz Zeller]