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"Das Entscheidende ist doch, dass die Bürger nicht weiter belastet werden"

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat am Vormittag die Konjunkturprognose der Regierung für diese Jahr deutlich auf 3,4 Prozent nach oben korrigiert. Ein Verdienst der aktuellen Bundesregierung, sagt Jürgen Koppelin, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss. Steuersenkungen müssten dennoch vorerst zurückstehen.

Jürgen Koppelin im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.10.2010
    Jürgen Koppelin: "Ich bin stolz darauf, dass Deutschland Exportweltmeister ist."
    Jürgen Koppelin: "Ich bin stolz darauf, dass Deutschland Exportweltmeister ist." (Deutscher Bundestag)
    Tobias Armbrüster: Jürgen Koppelin, er ist der Obmann der FDP im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Koppelin.

    Jürgen Koppelin: Ja! Guten Tag.

    Armbrüster: Schöne Zahlen sind das, die wir da hören, die Rainer Brüderle heute verkündet hat. Wird es nicht langsam Zeit, die Steuern zu senken in Deutschland?

    Koppelin: Also erst mal müssen wir ja doch feststellen, dass wir fast wie in einem zweiten Wirtschaftswunder sind in Deutschland, und die anderen Staaten in Europa, die gucken sehr neidisch auf uns, denn deren Zahlen sind katastrophal und unsere sind ganz hervorragend. Ich denke, das ist vor allem auch erst mal Verdienst der Bundesregierung, die ein entsprechendes Rahmenprogramm geschaffen hat. Es ist aber auch das Verdienst der Menschen in unserem Lande, die das ja mit erarbeitet haben.

    Armbrüster: Und sollte man die nicht belohnen, indem man die Abgaben senkt?

    Koppelin: Das steht ja an dritter Stelle, das wissen Sie ja auch, Sie sind ja gut informierter Journalist. Unser Programm lautet ja, was die Steuergesetzgebung angeht, erst mal einfacher, dann gerechter und dann niedriger, und bei einfacher und gerechter sind wir gerade dabei. Da werden wir Anfang nächsten Jahres unsere Ergebnisse auch vorlegen. Sie kennen das Thema Mehrwertsteuerangleichung, weil wir unglaublich viele Mehrwertsteuersätze haben, das muss angepasst werden. Und am Ende, wenn die Konjunktur so weitergeht, mag dann auch niedrigere Steuer entstehen. Dafür trete ich auch ein. Aber erst mal geht es ja nun darum, dass wir diese Phase auch halten. Das ist ja gar nicht so einfach. Da muss die Politik sehr darauf achten, dass natürlich diese gute Konjunktur weiterläuft. Und wir haben ja, wenn man das mal deutlich sagen darf, dafür einiges getan, wo uns leider Oppositionsparteien im Stich gelassen haben. Denken Sie nur – man vergisst das sonst sehr schnell – an die Stabilisierung des Euros, was das für ein Kampf war und wo Deutschland obsiegt hat, weil wir gesagt haben, es müssen Kriterien eingebaut werden, wir müssen den Euro stabilisieren. Der war mal ganz woanders in der Krise, ist jetzt wieder sehr hoch, und trotzdem läuft der Export. Das sind also allerbeste Zeichen für Deutschland.

    Armbrüster: Herr Koppelin, ich will noch mal kurz bei den Steuern bleiben. Sie schieben das jetzt so etwas auf die lange Bank. Vor einem Jahr hieß es mal in Ihrer Partei, Steuersenkungen verursachen Wachstum. Ist das nicht mehr die gängige FDP-Sicht?

    Koppelin: Natürlich! Das Entscheidende ist doch, dass die Bürger nicht weiter belastet werden. Das war ja das Wichtigste, Nummer 1 in der letzten Legislatur. Denken Sie nur an die Erhöhung der Mehrwertsteuer und viele andere Dinge. Da hat man ja die Bürger unglaublich belastet. Wir haben erst mal gesagt, damit muss Schluss sein und es muss am Ende der Legislatur eine Entlastung der Bürger stehen, weil das ein zusätzliches Konjunkturprogramm ist. Das ist natürlich wichtig.

    Armbrüster: Aber besteht dann nicht die Gefahr, dass dann der Aufschwung schon wieder vorbei ist, oder seinen Höhepunkt sozusagen überschritten hat?

    Koppelin: Sehen Sie, und dann würde das ja helfen! Dann würde das ja helfen. Insofern: Jetzt haben wir im Moment einen Riesenaufschwung und wir wollen auch keine Überhitzung haben. Es bleibt dabei: Wir müssen die Bürger und werden die Bürger entlasten müssen. Aber noch mal - und da geht ja kein Weg daran vorbei -, wir haben immer gesagt, einfacher die Steuern, gerechter die Steuern, niedriger die Steuern. Das ist unser Programm und da haben Journalisten gleich was daraus gemacht, nämlich sofort niedrige Steuern. Vielleicht haben wir auch da Fehler gemacht als FDP. Aber erkannt ist einfacher, gerechter und niedriger, und das werden wir umsetzen. Aber die augenblickliche Konjunktur, die hohen Steuermehreinnahmen - wir schätzen im Moment 30 Milliarden -, die können nur zu einem dienen: unsere Schulden abzubauen. Wir zahlen einfach zu viele Zinsen. Wir zahlen Zinsen auf Zinsen. Das kann eigentlich nicht mehr sein, das ist unverantwortlich gegenüber kommenden Generationen, und wir sind jetzt gerade bei den Haushaltsberatungen dabei, diesen Schuldenberg abzubauen, der in den vergangenen Jahren gemacht worden ist, denn der Fehler, der Fehler der vergangenen Jahre, auch in der letzten Legislatur, war doch: Man hat das Dach nicht repariert, als die Sonne schien.

    Armbrüster: Die Opposition sagt ein bisschen was anderes. Sie sagt, diese gute Entwicklung ist eine Konsequenz der Politik der Großen Koalition, also der Union- und SPD-Regierung, die bis letztes Jahr an der Macht war. Die FDP hat sozusagen lediglich Glück gehabt, dass sie pünktlich zum Aufschwung jetzt an der Macht ist.

    Koppelin: Nein! So was habe ich auch gehört. Ich will das hier an einem Beispiel gleich verdeutlichen. So was habe ich auch schon von der SPD gehört und da wundert man sich so ein bisschen, denn die gleichen Sozialdemokraten drehen ja viele Reformen gerade wieder zurück, die man - das muss man sagen -, auch Schröder, mit bestimmten Dingen vielleicht kritisch gesehen hat, wo wir aber auch als FDP das kritisch begleitet haben, haben aber gesagt, in der Sache ist es richtig. Das hat ja durchaus geholfen. Das kippt ja jetzt die SPD gerade alles wieder.
    Nein, das ist es nicht. Nehmen Sie nur das Beispiel Opel. Die Sozialdemokraten hätten Opel, General Motors Milliarden ins Haus getragen. Rainer Brüderle hat gesagt, das kommt nicht infrage, und wir haben recht gehabt. Das ist nur ein Beispiel und da könnte ich Ihnen weitere nennen.

    Armbrüster: Auf dem Arbeitsmarkt, da scheint vor allem die Kurzarbeit ein Segen gewesen zu sein. Ihre Partei war da immer ein bisschen skeptisch. Hat sich das geändert?

    Koppelin: Das haben wir immer kritisch gesehen, das ist ganz klar, weil wir die Sorge hatten, dass zu viele in der Kurzarbeit bleiben. Erfreulich ist jetzt - und das darf man ja dann auch kritisch begleiten als Opposition -, dass wir in Ostdeutschland zum ersten Mal seit der Wende unter einer Million Arbeitslose sind, dass wir damit rechnen, dass wir zum Ende 2011 vielleicht 2,9, 2,8 Millionen Arbeitslose haben. Das entlastet ja auch unsere Kassen, das muss man ja auch sehen. Aber vor allem ist eben das Beste soziale Programm, für die Menschen wieder Arbeitsplätze zu schaffen, und das muss Aufgabe auch dieser Bundesregierung sein, und da geht es auch darum, die Bundesagentur für Arbeit umzubauen, denn leider ist es nur in Deutschland so, Arbeitslosigkeit wurde bisher nur verwaltet. Das wollen wir nicht mehr als Freie Demokraten.

    Armbrüster: Aber können wir denn jetzt zumindest festhalten, Herr Koppelin, dass auch die FDP die Kurzarbeit für etwas Gutes hält?

    Koppelin: Ich habe nicht gesagt "Gutes", sondern es ging doch darum, ob man die Leute in die Dauerkurzarbeit schickt. Deswegen waren wir dagegen und da haben wir gesagt, da ist nicht genug getan worden, und damit haben wir auch recht.

    Armbrüster: Rainer Brüderle hat jetzt gesagt, treibende Kraft hinter diesem kräftigen Wachstum ist inzwischen die Binnennachfrage, nicht so sehr der Export. Können wir es in Deutschland langsam sein lassen, immer diesem Titel des Exportweltmeisters hinterherzulaufen?

    Koppelin: Das ist doch eine tolle Geschichte! Also ich bin stolz darauf, dass Deutschland Exportweltmeister ist. Warum soll ich da nicht stolz drauf sein? Warum muss man das jetzt, wie Sie das gerade machen, mit einem negativen Etikett versehen? Ich finde das toll! Und wenn die Binnennachfrage ebenfalls kommt - da ist ja Nachholbedarf, das muss man wissen -, dann ist das ebenfalls toll. Man sollte auch nicht immer nur rummäkeln, sondern man sollte sich einfach nur mal freuen, dass wir Exportweltmeister sind, und man sollte alles tun, dass wir das weiter sind. Dazu gehört allerdings auch, dass man die Forschung weiter unterstützt, dass man vor allem Bildung weiter unterstützt. Sehen Sie, viele, die in den letzten Jahren politische Verantwortung hatten, vor allem bei den Sozialdemokraten, die waren ja forschungsfeindlich. Ich habe neulich mal im Bundestag gesagt, das letzte Mal, als die Sozialdemokraten für Forschung waren und sich dazu bekannt hatten, das war 1966, als Willy Brandt auf den Knopf drückte und in Westdeutschland gab es Farbfernsehen. Aber sonst ist Deutschland doch forschungsfeindlich gewesen. Warum sind denn so viele Professoren, so viele Forscher ins Ausland gegangen? Wir müssen hier wieder den Boden bereiten, dass die Menschen hier zurückkommen, dass sie sagen, ich kann auch in Deutschland forschen.

    Armbrüster: Aber wenn wir mal beim Export bleiben, die Kritik kam ja auch aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich, wo die Wirtschaftsministerin gesagt hat, Deutschland ist tatsächlich zu exportabhängig oder legt einen zu großen Wert auf den Export und auf die Einnahmen daraus und macht es dadurch den anderen Ländern in Europa schwer.

    Koppelin: Ich bin sehr erstaunt, dass Sie mir nun vorhalten, was eine französische Ministerin sagt. Dass der das nicht gefällt, mit den Problemen in Frankreich - wir sehen im Augenblick ja die Streiks, weil man nicht mal bereit ist zu sagen, dass Rentenalter geht auf 62 -, ich meine, das muss ich mir nicht vorhalten lassen. Verstehen Sie, ich bin einfach stolz darauf, dass Deutschland da steht, wo wir im Augenblick sind. Dazu hat die Regierung einen Teil geleistet, aber es waren überwiegend die Menschen in unserem Lande, die das geschaffen haben, und da können wir alle zusammen stolz drauf sein, auch Rundfunkredakteure.

    Armbrüster: Es sieht nun so aus, Herr Koppelin, als hätten wir in Deutschland zu wenig Fachkräfte für diesen Aufschwung.

    Koppelin: Ja.

    Armbrüster: Sollten wir Arbeiter aus dem Ausland anwerben?

    Koppelin: Das ist zweischneidig. Auf der einen Seite brauchen wir Fachkräfte und das Problem, das wir hier in Deutschland haben, ist, dass wir zu wenig junge Menschen haben. Die Menschen werden bei uns Gott sei Dank, muss man sagen, auf der anderen Seite viel, viel älter. Aber die Kassen müssen gefüttert werden, das muss alles einbezahlt werden, und wenn wir zu wenig junge Menschen haben, auch die Fachkräfte, die in die Kassen einzahlen, dann wird das irgendwann sehr, sehr kritisch. Es ist schon kritisch! Insofern glaube ich, wer nach Deutschland als Fachkraft kommen will, ist herzlich willkommen. Das sollten wir erleichtern, damit die Firmen auch die Fachkräfte haben. Wir müssen aber auch selber Fachkräfte ausbilden. Ich möchte also nicht - ich will das mal sehr direkt sagen -, dass ich Fachkräfte aus Indien oder aus anderen Ländern nach Deutschland hole, während dort eigentlich auch ebenfalls die Fachkräfte gebraucht werden. Man sollte sich das nicht so einfach machen, aber in der Sache selber: Wir brauchen mehr Fachkräfte, egal woher wir sie kriegen, sei es aus dem eigenen Land, sei es aus dem Ausland. Ich bin dafür. Das heißt aber auch für uns - das sage ich auch bei der Arbeitslosenzahl, auch in Richtung unserer jungen Menschen -, und das tun wir als Bundesregierung, mehr, mehr und noch mal mehr Geld in die Bildung stecken, damit wir diese Fachkräfte in Deutschland finden.

    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Jürgen Koppelin, Obmann der FDP im Haushaltsausschuss des Bundestages. Schönen Dank, Herr Koppelin, für das Gespräch.

    Koppelin: Bitte schön! Schönen Tag Ihnen.