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Das Epos "Karneval" von Bela Hamvas geht online

Als der ungarische Schriftsteller Bela Hamvas 1968 starb, hinterließ er unter anderem das 1500-seitige Romantypuskript "Karneval". Hamvas hatte im realsozialistischen Ungarn keine Chance zur Veröffentlichungen. Jetzt wird "Karneval" ins Deutsche übersetzt und ins Internet gestellt.

Der Übersetzer Gabor Altorjay im Gespräch mit Rainer B. Schossig | 07.09.2010
    Rainer B. Schossig: Bela Hamvas, 1897 geboren, hatte schon in den 20er-Jahren begonnen zu schreiben, schon damals in radikaler Distanz zum politischen System. Das setzte sich ja nach 1945 fort. Aber in welche Epoche gehörte er?

    Gabor Altorjay: Eigentlich legt er richtig los so nach 1945. Da hatte er gerade noch drei Jahre Zeit, oder zwei Jahre Zeit, und dann kam Georg Lukacs und hat ihm ein Publikationsverbot auferlegt, weil Hamvas mit seiner Frau ein Buch geschrieben hatte, das hieß "Die Revolution in der Kunst", und es ging um nonfigurative abstrakte Kunst und Lukacs sagte, hier gibt es nur sozialistischen Realismus und das ist die Revolution. Das war dann auch für ihn praktisch das Aus. In seinem restlichen Leben hat er keinen Satz mehr veröffentlichen dürfen.

    Schossig: Der Spruch des Literaturpapstes Ungarns, Georg Lukacs, natürlich auch im Westen hoch bekannt, berühmt, das war also der Grund, weshalb wir hier nie etwas von Hamvas hörten. Wie oder wovon lebte er damals?

    Altorjay: Ja, von nichts. Aber auf jeden Fall musste er ja arbeiten. Er hatte zum Beispiel einen Landarbeiterausweis bekommen und erst mal, solange er konnte, arbeitete er an einem Kraftwerkbau, wo er bei der Materialausgabe immer wieder ein bisschen Zeit hatte, so seine Romane und seine Essays zu verfassen. Danach ging er dann nach Szentes, eine kleine Stadt bei Budapest, und hat dort eigentlich seinen Garten gepflegt. Ich habe ihn ja noch kennengelernt und er zeigte uns einen kleinen Salatgarten, da waren die Salatreihen und er sagte, jede Salatreihe ist ein Gedanke und wenn ich mit einer Salatreihe fertig bin, dann muss auch der Gedanke fertig sein.

    Schossig: Was war er für ein Mensch? Er war nicht nur Schriftsteller, er war eigentlich auch nicht in dem engeren Sinne politischer Autor. Man sagt ja, er sei Mystiker gewesen. Wie geht das zusammen?

    Altorjay: Ich würde sagen, er war ein Guru, aber nicht in einem indischen oder in einem östlichen Sinne, sondern es war einfach eine Freude, mit ihm zusammen zu sein, weil er heiter war und immer ansprechbar. Er ist ja auch Philosoph. Er hatte ja wirklich grundlegende Thesen, und eine davon ist, immer ansprechbar bleiben, und so war er auch. Ein immer ansprechbarer Mensch ist ja sehr faszinierend. Er war einfach ein sehr faszinierender Mensch.

    Schossig: Und so ist dann dieser Roman für die Schublade entstanden, "Karneval". Es heißt, "Karneval" habe für Ungarn eine ähnliche Bedeutung wie Prousts "Recherche" für Frankreich, James Joyces "Ulysses" oder Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften". Was ist es denn, was Hamvas’s "Karneval" auszeichnet?

    Altorjay: Er selber bezeichnet es als einen Schicksalskatalog - das ist wörtlich in dem Roman – und entsprechend versucht er, praktisch alle möglichen Schicksale, was einem Menschen zustoßen kann, zu schildern, ineinander zu verbinden und das dann auch noch mal im Jenseits noch weiter zu verfolgen. Ganz simpel ist es die Lebensgeschichte von einem Mann namens Michael Bormes, der Weinmeister, und er beginnt eigentlich auch Ende des 19. Jahrhunderts und endet in den 50er-Jahren, wobei er zwischendurch auch stirbt, 1945, aber das stört den Helden nicht, sein Leben weiterzuerzählen.

    Schossig: Ein Weinmeister. Er hat ja auch das Buch, was hier im Westen auch bekannt ist, "Philosophie des Weins" geschrieben. Frage jetzt an Sie: Sie übersetzen es jetzt ins Deutsche, es wird ins Internet gestellt. Was können wir, außer vielleicht Parallelen zur eigenen Geschichte unseres Landes im 20. Jahrhundert, aus "Karneval" lernen?

    Altorjay: Also ich übersetze das ja nicht ganz alleine, ich habe einen Partner, mit dem wir mein Deutsch immer wieder überprüfen und beraten, Carsten Dane. Er ist auch kein Übersetzer, sondern Musiker und Theaterautor. Das tun wir ja jetzt schon seit dem 7. Jahr.

    Was könnten die Deutschen davon lernen? – Ich kann das so nicht sagen. Aber es ist eher ein Versuch, sowohl im Diesseits als auch im Jenseits eine gewisse Anleitung zu kriegen, wie man sich dort benehmen sollte und was einen dort erwartet, sowohl im Diesseits als auch im Jenseits.

    Links zum Thema

    "Karneval" von Bela Hamvas in der deutschen Übersetzung.

    In der jüngsten Ausgabe der Literaturzeitschrift "Schreibheft" wird das Projekt ebenfalls ausführlich, analog natürlich, vorgestellt.