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Das Erbe der Azteken

Was haben der erste Kaiser von China, der römische Kaiser Hadrian, der persische Herrscher Schah Abbas und der Aztekenkönig Moctezuma gemein? Antwort: Einen Sonderplatz im British Museum. Jedem von ihnen wird eine große Sonderausstellung gewidmet.

Von Hans Pietsch | 24.10.2009
    Der schwarz ausgeschlagene, dunkle Korridor schlängelt sich auf den Ausstellungsraum zu, von weitem hört man das Rauschen des Windes, ab und zu den Klang eines Blasinstruments, wie ein hebräischer Schofar. Man steigt eine Treppe hinauf und sieht sich dem lebensgroßen Porträt des letzten Herrschers der Azteken gegenüber, mit Kopfschmuck aus Federn und reich verziertem Lendenschurz, in der Hand Lanze und Schild. Ein stolzer Krieger, der sich seiner Macht voll bewusst ist - unbesiegbar.

    Dramatischer lässt sich der Einstieg in eine Ausstellung kaum inszenieren. Und dramatisch ist die ganze Schau, mit ihren durch geschickte Beleuchtung aus der Dunkelheit heraustretenden martialischen Masken aus grünem Mosaik, doppelköpfigen Schlangen, kostbarem Goldschmuck, steinernen Thronsesseln und Waffen mit Opsidianklingen. Und immer wieder Totenköpfe, aus Mosaik oder rot und weiß bemalt.

    Das Volk der Azteken – die Schau entscheidet sich, politisch korrekt, für ihren richtigen Namen "Mexica” – kam nach langen Wanderungen um 1300 am See Texcoco im Zentralen Hochland Mexikos an und baute auf einer Insel seine Hauptstadt Tenochtitlán. Als Moctezuma der Zweite 1502 den Thron bestieg, hatte die Stadt fast 200.000 Einwohner, das Reich der Mexica dehnte sich schließlich, nach weiteren Eroberungsfeldzügen und Bündnissen, vom Golf von Mexiko bis zum Pazifik aus.

    Die Mexica entwickelten eine hochstehende Kultur, mit eigener Zeitrechnung, zwei unterschiedlichen Zyklen, die sich alle 52 Jahre trafen, mit eigener Schrift und mit einer Kunst, die Elemente anderer zentralamerikanischer Kulturen zu etwas ganz Eigenem verarbeitete. Herzstück der Gesellschaft war der Tlatoani – "Er, der spricht” – der vom Ältestenrat demokratisch gewählte Kaiser, der wie ein Halbgott herrschte - unnahbar, unantastbar. Der neunte Tlatoani, Moctezuma der Zweite, war der größte und erfolgreichste unter ihnen.

    Doch im Zentrum dieser hochstehenden Kultur standen grausame Opferrituale, die den Zusammenhalt der Gesellschaft garantieren sollten. Moctezuma führte nicht nur Feldzüge gegen Nachbarn, um diese zur Zahlung von Tributen zu zwingen, sondern auch um, Gefangene zu machen, die dann den Göttern geopfert wurden. Viele der vermeintlich harmlosen Kunstwerke sind in Wirklichkeit Kultgegenstände, wie die steinerne Adlerschale, in deren Höhlung bei lebendigem Leib herausgeschnittene Herzen von Menschenopfern gelegt wurden. Das Modell des Tempelbezirks zeigt deutlich die Spuren des Bluts, das die Treppenstufen des Templo Mayor hinunterfloss. Bei dessen Einweihung, so heißt es, mussten 20.000 Menschen ihr Leben lassen. Ein bisschen leicht geht die Schau über den Blutdurst der herrschenden Elite der Mexica hinweg.

    Die spanischen Eroberer unter Hernán Cortéz, die diese Kultur zerstörten, tauchen erst gegen Ende der Ausstellung auf. 1519 landete er mit 10 Schiffen und 450 Mann, kurze Zeit später stand er vor den Toren der Hauptstadt Tenochtitlán. Was danach geschah, ist bis heute umstritten: Moctezuma empfing die Conqistadores mit offenen Armen – glaubte er einem Omen, das die Ankunft des Gottes Quetzalcoatl angesagt hatte? Die Spanier legten ihn in Ketten, sein Volk rebellierte, vor allem gegen ihn, im Steinhagel kam er um, als er zu beschwichtigen versuchte. Das ist die spanische Version. Die Ausstellung dagegen legt Beweise vor, dass die Eroberer sich seiner entledigten, als er nicht mehr von Nutzen war. So ist auch die mexikanische Version falsch, die ihn zum Verräter macht, und ihm bis heute ein Denkmal verweigert.