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Das Erbe der Ölpest

800 Millionen Liter ausgetretenes Öl, 500.000 Tonnen Gas, 1700 verdreckte Küstenkilometer. Das ist die Bilanz der Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Drei Jahre nach dem Unglück sind Spuren davon weitgehend unsichtbar – was nicht heißt, dass es sie nicht gibt.

Von Monika Seynsche | 19.04.2013
    "Wenn Sie heute den Golf besuchen, würden Sie auf den ersten Blick nicht merken, dass dort jemals eine große Ölkatastrophe stattgefunden hat. Aber wenn Sie genau hinschauen, können Sie das Öl immer noch sehen, es steckt in den Sedimenten und im Boden der Salzwiesen. Bei heftigen Stürmen wird es daraus ausgewaschen und gelangt wieder ins System. Dieses Öl wird uns noch viele, viele Jahre erhalten bleiben."

    Stan Senner ist der wissenschaftliche Leiter der US-amerikanischen Meeresschutzorganisation Ocean Conservancy. Er und seine Kollegen haben es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche verfügbare Informationen über die Folgen der Ölkatastrophe zusammenzutragen und zu veröffentlichen. Das allerdings sei keine leichte Aufgabe, sagt der Biologe.

    "Die meisten Studien, die von Regierungsseite in Auftrag gegeben wurden, um die Umweltfolgen zu untersuchen, unterliegen aufgrund des Rechtsstreits mit BP immer noch der Geheimhaltung. Andere Studien laufen noch und ihre Ergebnisse sind noch nicht in begutachteten Fachmagazinen publiziert worden."

    Die Regierungen der Vereinigten Staaten sowie der Bundesstaaten Alabama und Louisiana verklagen den Ölkonzern BP zurzeit vor einem Bundesbezirksgericht in New Orleans. Die Ergebnisse ihrer Studien sollen erst im Laufe des Prozesses im Gerichtssaal präsentiert werden, bevor sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Über die gesundheitlichen Auswirkungen der Katastrophe sei noch nichts bekannt, bedauert Stan Senner. Und auch zu den Umweltfolgen seien bislang nur wenige Informationen freigegeben worden. Diese wenigen aber deuteten darauf hin, dass nicht nur das Öl allein Schäden angerichtet habe.

    "Nach dem Ölunfall wurden 6,8 Millionen Liter Dispergiermittel ausgebracht, um den Abbau des Öls zu beschleunigen. Schon damals warnten einige Experten davor, dass diese Kombination von Öl und Dispergiermittel wesentlich giftiger sein könnte, als das Öl allein. Zumindest für die Blaukrabben hat sich diese Sorge bewahrheitet, und für einige andere Arten ebenfalls."

    Forscher der Universität von Southern Mississippi fanden nach dem Ölunfall in Larven der Blaukrabbe eine orangene Flüssigkeit. Analysen zeigten, dass diese Tröpfchen aus Erdöl und Corexit bestanden, dem eingesetzten Dispergiermittel. In den Wochen und Monaten nach der Ölkatastrophe sammelten Helfer viele tausend toter Seevögel, Hunderte Delfine und andere Meeressäuger sowie zahlreiche ölverschmierte Schildkröten ein. Der Unfall passierte während der Laichsaison vieler Fischarten, wie dem Roten Thun oder dem Nördlichen Schnapper. Ein Jahr nach dem Ölunfall, im Sommer 2011, entdeckten Forscher zahlreiche Nördliche Schnapper mit Flossenfäule, Geschwüren auf der Haut, krankhaft veränderten Lebern und anderen Missbildungen.

    "Für diese eine Art sind die Schäden dokumentiert, aber wir wissen nicht wie viele andere Arten von ähnlichen Problemen betroffen sind. Zum Beispiel haben wir keine Informationen darüber, inwieweit etwa der Atlantische Menhaden vom Ölunfall betroffen war. Menhaden sind Futterfische mit einer enormen Bedeutung für das gesamte Ökosystem. Ein Einbruch ihrer Population hätte gewaltige Auswirkungen. Aber wir kennen die Antwort noch nicht."

    Einer der wenigen Forscher, die schon über ihre Ergebnisse reden dürfen, ist Deepak Mishra. Er untersucht an der Universität von Georgia Satellitenbilder der Salzwiesen am Golf von Mexiko. 2010 war die Vegetation dort durch das angeschwemmte Öl an vielen Stellen abgestorben. 2011 zeigten die Satellitenbilder schon wieder viele grüne Flächen und 2012 scheinen sich die Pflanzen komplett erholt zu haben. Eine endgültige Entwarnung will Deepak Mishra aber nicht geben.

    "Wir wissen noch nicht, wie sich das Öl im Boden langfristig auf die Wurzeln und die gesamte Pflanze und damit auf die Primärproduktion der Salzwiesen auswirken wird. Um diese Frage beantworten zu können, brauchen wir sicherlich noch fünf bis zehn Jahre."