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Das Erbe des Grafen Zeppelin

Graf Ferdinand von Zeppelin übt mit seinen Luftschiffen eine große Faszination aus. In Friedrichshafen, dem Ort seiner Luftschiffwerke, erinnert ein großes Museum an seine Arbeit. Aber auch abseits gibt es viele Spuren zu entdecken.

Von Thomas Wagner | 07.07.2013
    Eine Hotelterrasse im Hafen von Konstanz: Das Gebäude mit seinen riesigen Torbogenfenstern war in früheren Jahrhunderten erst mondänes Kloster, dann ab dem 17. Jahrhundert Fabrik, schließlich das erste Fünf-Sterne-Hotel am Bodensee. Hoteldirektor Peter Martin kommt zum Tisch, liest auf einer in großer, verschnörkelter Schrift gehaltenen Karte eine Menüfolge vor, die nicht jeden Tag serviert wird:

    "Also wir machen ein kleines Geburtstagsessen anlässlich des 175. Geburtstages des Graf Zeppelins. Das sind alles Gerichte, die aus einem Rezeptbuch von den Zeppelins kommen. Wir fangen an diesem Abend an mit einer Krebsschaumsuppe. Dann bleiben wir lokal mit Saiblings-Sulz, mit Meerrettich-Apfel."

    Na, wem da nicht das Wasser im Munde zusammenläuft. So hat die feine Gesellschaft eben getafelt, damals, vor 175 Jahren, als Graf Ferdinand von Zeppelin geboren wurde. Und zwar genau in jenem ehemaligen Klostergebäude, in dem sich die Köche nun um Krebsschaumsuppe und Saibling-Sulz bemühen.

    "Wir befinden uns hier im alten Kreuzgang im alten Dominikanerinnen-Kloster in Konstanz. Dieses Kloster hat Zeppelins Urgroßvater, ein Genfer Fabrikant, im 18. Jahrhundert, übernommen und hat daraus eine Textilfabrik gemacht. Und Zeppelin ist in diesem Gebäude auf die Welt gekommen."

    Tobias Engelsing ist auf die Terrasse gekommen, nimmt an einem der freien Tische Platz. Der Chef der Konstanzer Museen ist ein bekannter Historiker und gilt als exzellenter Zeppelin-Kenner. Sein Blick richtet sich erst auf die Hafeneinfahrt, dann auf einen Steg am Hotel.

    "Vor dem Hotel direkt am Ufer des Bodensees befindet sich ein alter Holzsteg. An diesem Steg landete Graf Zeppelin, wenn er von Friedrichshafen abends nach Konstanz gefahren kam, um hier im Hotel bei seinem Bruder schön Abend zu essen und im Kreise seiner Familie einen schönen Abend zu erleben."

    In diesem Fall geht die Fahrt anders herum – von Konstanz, dem Geburtsort, nach Friedrichshafen, seiner Wirkungsstätte. Graf Ferdinand von Zeppelin – nach seiner Jugend, die er auf dem Schweizer Schlösschen Giersberg oberhalb von Konstanz verbracht hat, trat er in den württembergischen Militärdienst ein. Dort zeigte sich der Graf reiselustig, fuhr mit dem Schiff als Kriegsberichterstatter nach Amerika, beobachtete dort die blutigen Kämpfe zwischen Süd- und Nordstaaten. Und dabei sah er etwas, was sein ganzes weiteres Leben prägen sollte: einen steuerbaren Heißluftballon.

    Zurück in Deutschland war er von der Idee dieses Luftfahrzeuges wie besessen: Nicht einen Heißluftballon wollte er bauen, sondern ein richtiges großes Luftschiff, das von der Form her einer fliegenden Zigarre ähneln sollte. Zeppelin kehrte zurück an den Bodensee. Nicht in seine Geburtsstadt Konstanz, sondern an das gegenüberliegende Ufer, in das kleine Örtchen Manzell bei Friedrichshafen.

    "Als sich Graf Zeppelin damit auseinandersetzte, wo man große lenkbare Luftschiffe bauen konnte, stellte sich bald heraus, dass die Stadt Konstanz zu eng ist. Vor allem, dass sie von allen möglichen Grenzen umgeben ist und auf der Schweizer Seite konnte er natürlich kein Gerät bauen, das letztlich militärischen Zwecken dienen sollte. Zudem war der württembergische König Wilhelm II. ein enger Vertrauter und ein großer Förderer Zeppelins. Und der hat ihm angeboten: Komm zu mir, in Manzell, das ist eine große Fläche. Und die kannst du nutzen, um da davor seine Luftschiffe zu bauen. Und so hat Konstanz seinen Grafen verloren."

    Von der Friedrichshafener Anlegestelle des von Konstanz kommenden Bodensee-Katamarans sind es keine fünf Gehminuten bis zum Zeppelin-Museum – ein riesiges, in den 30er-Jahren im Bauhausstil errichtetes Gebäude, das, wie die darauf hinführenden Bahngleise bezeugen, bis Anfang der 90er-Jahre ein Bahnhof war und danach zum größten Zeppelin-Museum der Welt umgebaut wurde. Museumsführerin Gabriele Lamparski erzählt am Rande einer historischen Zeppelin-Maschinengondel aus dem Jahr 1927, wie das so war, damals, in der großen Ära der Zeppeline, die Ende der 20er- und Anfang der 30er-Jahre mit Längen von bis zu 245 Metern ein imposantes Bild am Himmel abgaben. Die Museumsbesucher sind fasziniert.

    "- "Zeppelin erst mal, das Luftschiff selber, diese Größenordnung, dass man in der Lage war, in den Jahren technisch schon so einen Zeppelin zu bauen."
    - Wir kommen aus Brandenburg. Bei uns in Brandenburg wollten sie ja auch mal so ein Zeppelin bauen. Das ist schon beachtlich."
    - "Dieses ruhige Fliegen, der Zeppelin selber – der ruhige Flug. Also ich würde schon mal mitfliegen.""

    Warum nicht? Fünf Kilometer weiter, am Rande des Friedrichshafener Flughafens, ragt eine Art Riesengarage am Rande der Landebahn in die Höhe – der Luftschiffhangar. Davor, an einem Haltemast, der Zeppelin neuer Technologie – ein 75 Meter langes Luftschiff, das seit Mitte der 90er-Jahre nach den Ideen des alten Luftschiffgrafen Ferdinand von Zeppelin wieder gebaut wird. Ja, das ist wirklich ein unvergessliches Erlebnis – fliegen mit dem Zeppelin über dem Bodensee:

    "Sie haben ja keinerlei Beschleunigungskräfte. Sie spüren also nicht, dass sie steigen oder sinken oder schneller oder langsamer. Es gibt keine Luftlöcher. Sie schweben. Und dann findet das Ganze sehr langsam statt. Sie haben Zeit zum Gucken. Sie haben riesige Fenster. Also schöner kann man nicht reisen. Ich behaupte immer: Im Flugzeug wird man transportiert. Im Luftschiff reist man."

    Schweben statt fliegen, sehr langsam, ohne Luftlöcher – der, der so schwärmt, tut dies sozusagen aus alter Familientradition: Wolfgang von Zeppelin, Vorsitzender des Fördervereins Zeppelintouristik und weitläufiger Verwandter des großen Grafen, war schon viele Male mit dem neuen Luftschiff unterwegs, der an die Tradition der riesigen "fliegenden Zigarren" von Ferdinand Graf von Ferdinand anknüpft. Doch an die Erlebnisse, die Passagiere und Besatzung in den Großluftschiffen der 30er-Jahre hatten, kommt das nicht ran. Eugen Bentele war Obermaschinist auf der LZ 129 "Hindenburg".

    "So fuhren wir dann einmal nach Rio, als plötzlich der Telegraf klingelte und der Befehl kam: Maschine Leerlauf voraus. Was sehen wir: Ein Riesenwalschiff, der von einem ganzen Rudel von Haien angegriffen wurde. Es gab eine riesige Blutlache drum herum. Die Haie bissen sich fest. Und mit der Schwanzflosse gab es ganze Wasserfontänen, die hochspritzten. Das konnten wir aus der geringen Höhe gut beobachten."

    Die Erlebnisse der Zeppelin-Pioniere, wie es Eugen Bentele einer war, können die Besucher heute noch im Zeppelin-Museum nachhören – Dokumente, die die Besucher in die Zeit der großen Zeppeline zurückversetzen und an die Arbeit des Luftschiff-Grafen erinnern.

    Dessen Spuren finden sich, häufig unbemerkt, überall in Friedrichshafen, durchaus auch fernab des großen Luftschiffhangars am Flughafen. Unterwegs auf einem Kiesweg durch eine Siedlung im Nordosten Friedrichshafens: Die Häuser links und rechts sehen alle irgendwie gleich aus: eingeschossig mit Dachausbau, hölzerne Fensterläden, gelblich-beige, manchmal weiße Fassaden – das sogenannte Zeppelin-Dorf.

    "Das ist das Zeppelin-Dorf der Zeppelin-Wohlfahrt GmbH. Die wurde ja gegründet im Jahr 1913."

    Manfred Sauter ist Mitte 70 – und Zeppelin-Fan durch und durch. Sein Vater arbeitete im Luftschiffbau, er selbst in den Nachfolgebetrieben. Seit über 40 Jahren lebt er im Zeppelin-Dorf, das abseits der großen Industriebetriebe in Friedrichshafen ein hohes Maß an Beschaulichkeit widerspiegelt: Grüne Wiesen vor den Häuschen, überall Gärten.

    "Friedrichshafen ist damals über die Maßen gewachsen durch die Zeppelin-Geschichte und Grundstücke waren sehr teuer. Und deshalb hat Zeppelin damals die Wohlfahrt gegründet, hat Grundstücke aufgekauft, hat hier im Zeppelin-Dorf die Häuser gebaut. Es war erschwinglicher Wohnraum. In den Häusern waren auch Kleintierställe eingebaut. Sie haben auch Ziegen gehabt und Hasen und haben im Garten Beete zum Gemüseanbau gehabt und alles. Und konnten zum Teil noch auf Kosten der Zeppelin-Wohlfahrt noch Gras holen und heuen."

    Heute noch wohnen die Mitarbeiter der Nachfolgebetriebe aus dem Luftschiffbau in den pittoresken Häusern. Und diese Häuschen dürfen heute noch, 175 Jahre nach Zeppelins Geburt, immer noch nicht verkauft werden – die soziale Idee von Ferdinand Graf von Zeppelin, erschwinglichen Wohnraum für die Mitarbeiter bereitzustellen, hat sich bis heute erhalten.

    6. Mai 1937: Das war das Ende der legendären Zeppelin-Ära. Die Reportage des US-amerikanischen Radioreporters Herbert Morrison ging um die ganze Welt. Herbert Morrison musste bei der Landung der LZ 129 "Hindenburg" in Lakehurst bei New York mit ansehen, wie der Riesen-Zeppelin in Flammen aufging. Wer allerdings heute durch Friedrichshafen spaziert, der läuft an riesigen, modernen Fabrikgebäuden vorbei – Weltkonzerne wie ZF, Zeppelin Metallbau oder MTU-Tognum haben sich aus dem ehemaligen Luftschiffbau entwickelt. Auffallend aber auch die dominierende Flachdacharchitektur der 50er-Jahre – auch dies ein Erbe Zeppelins: Denn aus den ehemaligen Luftschiffproduktion wurde im Zweiten Weltkrieg eine hoch effiziente Militärindustrie. Panzermotoren ja selbst Kampfflugzeuge entstanden in Friedrichshafen. Tragische Folge: Die Alliierten machten in mehreren Bomberangriffen Friedrichshafen und die gesamte Militärindustrie dem Erdboden gleich. Die Stadt musste in den 50er-Jahren nahezu vollständig aufgebaut werden. Das prägt das Stadtbild bis heute. Diesen Teil der Zeppelin-Geschichte möchte Historiker Tobias Engelsing nicht verdrängen:

    "Graf Zeppelin hat a la longue sicherlich auch seinen Anteil an der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Aber in der Gesamtschau ist es sicherlich ein bedeutender Mensch, den wir in allen Facetten seines Lebens sehen und beurteilen müssen. Wir müssen ihn heute nicht mehr bewundern. Aber wir können immer noch staunen über die Lebensleistung dieses Mannes."