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Das Facebook der Arten

Biologie.- Vor gut vier Jahren beschlossen fünf wissenschaftliche Institute in den USA, sich einen lang gehegten Traum zu verwirklichen: ein digitales Nachschlagewerk, in dem Informationen über jede beschriebene Art der Erde frei nachzulesen sind. Ein Jahr später ging die Encyclopedia of Life online. Mittlerweile ist das Projekt weiter gewachsen.

Von Miriam Ruhenstroth | 01.11.2011
    Ein umfassendes Nachschlagewerk ist sie schon jetzt. Mit mehr als 750.000 Einträgen ist die Enzyklopädie des Lebens, kurz EOL, die größte Internetsammlung ihrer Art. Für jede eingetragene Spezies findet man hier nicht nur Name und Stammbaum, sondern auch eine Artbeschreibung, fast immer ein Bild und noch viele weitere Informationen. Die Inhalte kommen aus verschiedenen Quellen - die meisten davon sind wissenschaftliche Datenbanken.

    "Im Augenblick haben wir 180 sogenannte Content-Partner, das sind Organisationen und Einzelpersonen, von deren Datenbanken wir automatisiert Informationen sammeln können. Diese Daten existieren alle schon, aber sie liegen in vielen verschiedenen Formaten vor. Es ist ziemlich schwierig für einen Einzelnen, all diese Informationen im Internet zu finden",

    sagt Bob Corrigan, Direktor der EOL. Aber die Enzykloädie des Lebens bringt nicht nur weit verstreute Informationen zusammen. Wer sich einen Account anlegt, kann selber mitmachen: Informationen kommentieren und bewerten, Bilder, Videos und sogar eigene Texte beisteuern. Für die Richtigkeit dieser Inhalte sorgen sogenannte Kuratoren. Das sind ehrenamtliche Experten, die alle beigetragenen Informationen überprüfen. Das eigentliche Herzstück der Mitmach-EOL ist die Möglichkeit, eine eigene Community und eigene Sammlungen anzulegen.
    "Da ist vielleicht ein Experte, der eine vollständige Liste der gefährdeten Tiere in Costa Rica machen will, oder jemand will einen Pilzlehrpfad im Schwarzwald anlegen. Wir haben heute 655 Sammlungen, es ist der Teil der EOL, der mit am schnellsten wächst. Wir versuchen wirklich, einen Dialog um die Informationen der EOL zu erzeugen."

    Ob das die Forscher, die sich mit Artenvielfalt beschäftigen, wirklich weiterbringt, ist zumindest umstritten. Mark-Oliver Rödel, Sprecher des Forschungsbereiches Taxonomie am Museum für Naturkunde Berlin, ist skeptisch:

    "Einen direkten wissenschaftlichen Nutzen, dass ich jetzt wirklich wissenschaftlich verwertete Daten oder Kooperationsmöglichkeiten rausziehe, das wird es sicherlich geben, aber sicher nicht in gigantischem Umfang. Den Nutzen für die Wissenschaft sehe ich eher indirekt wiederum, dass wirklich eine größere Bevölkerungsgruppe diese Art von Wissenschaft wahrnimmt."

    Er selbst nutzt die Enzyklopädie nicht – keine Zeit. Neben den Wissenschaftlern haben die Initiatoren aber noch eine andere Zielgruppe im Blick:

    "Wir verstehen die EOL als die Quelle, die jeder Lehrer als modernes, interaktives Schulbuch verstehen wird. Wo Schüler nicht nur die Information lesen können, sondern auch teilnehmen können, indem sie ihre eigenen Sammlungen erschaffen. Genauso, wie manche früher echte Sammlungen erstellt haben, zum Beispiel von Insekten."

    Erick Mata, Geschäftsführer der EOL. Fast 50 Millionen Dollar sind bislang in das Projekt geflossen. Teils von den fünf Gründerinstituten, teils von zwei privaten Geldgebern aus den USA – der MacArthur- und der Alfred Sloan Stiftung. Die Grundarchitektur ist damit soweit fertig gestellt – an Details, wie zum Beispiel dem Suchalgorithmus, muss aber noch gearbeitet werden. Zurzeit wird die Enzyklopädie des Lebens ins Deutsche übersetzt. Helfer, so versichert Erick Mata, sind gerne willkommen.

    Link:

    Zur Encyclopedia of Life