Freitag, 19. April 2024

Archiv


Das Fanal des Niederländers

Am Abend des 27. Februar 1933 legte der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe das Feuer im Berliner Reichstag. Er habe ein Fanal gegen die aufziehende Katastrophe in Deutschland setzen wollen, betonte er später in den Gerichtsverhandlungen. Das kriminelle Delikt zog ungeheure politische Wirkungen nach sich: Die Hitlerregierung nutzte den Brand als Vorwand, um die Diktatur zu errichten.

Von Rainer Burchardt | 27.02.2008
    "Noch steht ganz Berlin unter dem gewaltigen und furchtbaren Eindruck des riesenhaften Reichstagsbrandes, der am Montagabend die ganze deutsche Bevölkerung in Panik und in Schrecken versetzt hat. Aber das weiß nun auch ein jeder: Die Regierung, die sich dieses Mal der kommunistischen Weltpest entgegenstellt, die lässt nicht mit sich spaßen. Diese Regierung fackelt nicht, und sie ist entschlossen, mit drakonischen Gesetzen erbarmungslos gegen die kommunistische Weltgefahr vorzugehen."

    Reichspropagandaminister Josef Goebbels wenige Tage nach dem Reichstagsbrand in Berlin. Noch einmal wird in diesen Worten deutlich, mit welcher Entschlossenheit die Nazis die Feuersbrunst vom 27. Februar 1933 zum Vorwand nahmen, um ihre beispiellose Hatz auf Kommunisten und Sozialdemokraten zu eröffnen.

    Schon am Abend dieses Februartages, als die ersten Löschzüge anrückten, hatten Hitler, Göring und Goebbels sich vor Ort einen ersten Eindruck über das Ausmaß des Feuers im Parlamentsgebäude gemacht - ein Ort, der von ihnen ohnehin schon immer als überflüssige Quatschbude denunziert worden war. Und schon hier realisierten sie, dass ihnen diese Tat des niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe wie gerufen kam.

    Der verwirrt wirkende 20-jährige war noch am Tatort festgenommen worden, Teile seiner Kleidung hatte er offenbar zum Zündeln benutzt, halbnackt und sich kaum wehrend soll er "Protest, Protest, Protest" gerufen haben. Später im Gerichtsverfahren wird er sagen, er habe ein Fanal setzen wollen, gegen die aufziehende Katastrophe in Deutschland.

    Doch der Brand wurde stattdessen zum willkommenen Anlass für die Nazis, nun endgültig - wenige Tage vor der von Hitler durchgesetzten Reichstagsneuwahl am 5. März - den demokratischen Tarnmantel abzulegen. Hermann Göring, zu dieser Zeit preußischer Innenminister, legte noch einmal nach - dies auch und vor allem wegen des schnell gestreuten Verdachts, van der Lubbe müsse Helfer gehabt haben, denn eine solche Tat mit vielen Brandherden könne nicht einer allein begehen. Eine kommunistische Komplotttheorie wurde entworfen.

    Und weil es so gut passte, wurden auch einige sozialdemokratische Publikationen, wie etwa die Parteizeitung "Vorwärts" sofort verboten. Keine Frage: Die Nazis hatten die Gunst der Stunde erkannt und die Gelegenheit genutzt, alles was sich ihnen noch in den Weg stellen könnte, beiseite zu räumen.

    "Es unterliegt keinem Zweifel, dass hier in irgendeiner Form ein Komplott stattgefunden hat, dessen Aufklärung zur Zeit noch durch Staatsanwaltschaft und Polizei aufs Eifrigste betrieben wird. Der Umfang dieses Feuers, das Anliegen desselben, ergibt deutlich, dass es sich hier um einen wohl vorbereiteten Plan handelt. Allein die Tatsache, dass bereits am Morgen auch ein Brand im Schloss versucht worden war, beweist und zeigt, dass mehrere solcher Attentate gedacht gewesen sind.

    Und glauben Sie mir, wenn nicht am selben Abend mit jener eisernen Energie durchgegriffen worden wäre, wenn nicht gleichzeitig die gesamten Machtmittel des Staates eingesetzt worden wären, wenn man nicht in der gleichen Sekunde der kommunistischen Bewegung gezeigt hätte, dass dieser Staat nicht eine Minute mit sich spielen lässt, so wären wir heute in der Lage, noch über solch manch anderen Brand und manch anderes Attentat sprechen zu können."

    Die Offensive der Nationalsozialisten gegen die Kommunisten sollte zudem den naheliegenden Verdacht zerstreuen, sie selbst hätten den Reichstag in Brand gesteckt. Und so lässt Göring noch am selben Abend neben van der Lubbe die kommunistischen Funktionäre Wassil Taneff, Blagoi Popoff und den Bulgaren Georgi Dmitroff verhaften. Zudem wird der Fraktionschef der KPD im Reichstag, Ernst Torgler festgenommen, der sich in einem Lokal in der Nähe des Tatorts aufhielt.

    Bis auf den heutigen Tag streiten sich noch immer einige Geschichtswissenschaftler über den oder die wahren Verursacher. Der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff indes ist fest davon überzeugt, dass van der Lubbe Alleintäter war. In seinem jetzt erschienen Buch mit dem Titel "Der Reichstagsbrand-Karriere eines Kriminalfalls" weist er diese These anhand einer Vielfalt von Quellen und Indizien nach. Ein kriminelles Delikt also, das ungeheure politische Wirkungen nach sich zog:

    "Der Reichstagsbrand war als Brandstiftung am Abend des 27. Februar 1933 ursprünglich natürlich ein Kriminalfall, ein politisch gemeinter, aber ein Kriminalfall. Und die Karriere dieses Kriminalfalls zum Politikum hat am selben Abend bereits begonnen und setzt sich bis ins Jahr 2008, bis in unsere Gegenwart fort, wenn man sich anschaut, wie erbittert um die Täterschaft am Reichstagsbrand auch heute noch gerungen wird."

    Unterdessen erlässt Hitler sofort eine "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat", ein spontaner Vorgriff auf das sogenannte Reichsermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, mit dem praktisch alle demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt werden. Der Reichskanzler lässt keinen Zweifel an seinem festen Willen, sämtliche politische Gegner so schnell wie möglich auszuschalten:

    "Die Regierung der nationalen Erhebung ist entschlossen, ihre vor dem deutschen Volk übernommene Aufgabe zu erfüllen. Sie tritt daher heute hin vor den deutschen Reichstag mit dem heißen Wunsch, in ihm eine Stütze zu finden für die Durchführung ihrer Mission."

    Bis auf den heutigen Tag ist unklar geblieben, warum der Überzeugungstäter van der Lubbbe diese kontraproduktive Wirkung seiner Tat nicht einkalkuliert hat. In Holland hatte der aus einfachen Verhältnissen stammende Van der Lubbe sehr schnell Kontakt zu anderen kommunistischen Gruppierungen gefunden. Bei einem Arbeitsunfall hatte er Kalkstaub in die Augen bekommen und war seither halblind. Als kommunistischer Aktivist produzierte und verteilte er Flugblätter mit dem Titel "De roode Arbeiter". Und er betrachtete sehr früh das bolschewistische Russland als seine politische Heimat, versuchte auch dorthin zu gelangen, aber mäanderte vorerst durch verschiedene europäische Staaten.
    Van der Lubbe hatte sogar geplant, Adolf Hitler zu erschießen, doch ein Freund riet ihm von dem Attentatsversuch wegen seines schlechten Augenlichts ab. Erst zwei Tage vor dem Reichstagsbrand entschloss er sich, öffentliche Gebäude in Berlin anzustecken. Nach mehreren gescheiterten Versuchen gelangte er am Abend des 27. Februar 1933 schließlich über einen Mauersims durch ein Fenster in den Reichstag und legte die Brandherde. Stets versicherte van der Lubbe in späteren Vernehmungen, Alleintäter zu sein, und bekannte sich ohne Zögern zu seiner Tat.
    Da an dieser Alleintäter-These bis auf den heutigen Tag Zweifel geäußert werden, recherchierte der Historiker Sven Felix Kellerhoff den Ablauf sowie Methode und Wirkung ganz genau:

    "Im Reichstag sind verschiedene Brandherde gesichert worden. Der größte und am meisten erklärungsbedürftigste Brandherd ist natürlich der Plenarsaal, der komplett ausgebrannt ist. Nun kann man verschiedene Vermutungen haben, aber es gibt keine gesicherten Beweise aus dem Plenarsaal. Dort sind keine Brandmittelspuren gefunden worden, keine Reste von Zündern. Man steht vor einem Rätsel.

    Wenn man sich nun aber die Originalaussagen der damals vor Ort befindlichen Feuerwehrleute, des Hausinspektors Alexander Scranowitz, und der Polizeibeamten anschaut, die an diesem Abend dort waren, und das ganze im Lichte moderner Brandforschung der letzten Jahre liest, dann biete sich die Lösung ganz natürlich an. Es hat ein chemisches Phänomen gegeben, dass heutzutage unter dem Begriff Backkraft bekannt ist: eine Rauchgasexplosion, die Zündung noch nicht verbrannter aber oxydierbarer Gase, die durch die hohen Temperaturen bei den ersten Bränden aus den Gegenständen ausgegast wurden. Und als dann Sauerstoff hinzukam, und eine entsprechende Mischung von Sauerstoff und diesen noch nicht oxydierten Gasen entstanden war, kam es zur Explosion.

    Van der Lubbe hat mit Sicherheit ein solches Phänomen überhaupt nicht im Kalkül haben können. Selbst für die Feuerwehrleute, die vor Ort waren, die also Brandpraktiker waren, war diese Art von Stichflamme völlig überraschend. Wir haben Aussagen von ungefähr sechs, sieben Feuerwehrleuten in den Akten, teilweise mehrfach. Und wenn man die liest, dann sieht man, dass diese Leute am nächsten Tag, aber auch mehrere Tage danach, noch einfach überwältigt waren von dieser Stichflamme, von dieser Explosion, die sie erlebt hatten."

    Und dennoch: Immer wieder propagierten bis auf den heutigen Tag auch durchaus seriöse Wissenschaftler die These, van der Lubbe sei kein Einzeltäter gewesen oder auch, die Nazis hätten das Parlament selbst in Brand gesteckt. Ein ominöser unterirdischer Gang, durch den Hermann Göring ungesehen ins Plenum hätte gelangt sein können, musste unter anderem für diese These herhalten.

    Dabei hatte der Historiker Fritz Tobias schon Anfang der 60er Jahre anhand vieler Dokumente schlüssig nachgewiesen, dass an der Alleintäterschaft van der Lubbes kein Zweifel bestehen könne. Auch wenn nach dem Grundsatz "cui bono" – also: wem nützt die Tat - die Brandstiftung, wie Goebbels formulierte, "wie ein Geschenk des Himmels" kam, so gibt es weder Belege für ein kommunistisches Komplott noch für eine Aktion der Nazis.

    Der Historiker Hans Mommsen schreibt im Vorwort zur neuesten Reichstagsbrandpublikation von Sven Felix Kellerhoff:

    "Der eigentliche und bis heute noch immer nicht hinreichend wahrgenommene Skandal entsteht freilich im Versagen der Fachwissenschaft in Deutschland (…), die sich immer wieder zum Kumpan der Fälscher-Mafia machte und sich nicht scheute, Fälscher zu decken."

    Tatsächlich gab und gibt es eine Reihe von Wissenschaftlern in Deutschland, die mit dubiosen Dokumenten entweder ein Komplott der Kommunisten oder die Urheberschaft bei den Nazis zu belegen versuchen. Natürlich war es der NSDAP willkommen, dass einige Kommunisten direkt in Tatortnähe dingfest gemacht werden konnten. Vor allem der KPD-Fraktionschef Ernst Torgler, der sich freiwillig stellte und zugab, in der Nähe des Reichstags gewesen zu sein, geriet in arge Erklärungsnot. Hitler soll noch in den schwelenden Trümmern geäußert haben:

    "Es gibt jetzt kein Erbarmen mehr, wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr."

    In den folgenden Tagen wurden rund 1500 Kommunisten festgenommen, darunter nahezu die gesamte Reichstagsfraktion. Und nachdem die Nazis schon am Tag nach dem Brand die Notverordnung "zum Schutz von Volk und Staat" erlassen hatten, begann die faktische Gleichschaltung des öffentlichen Lebens in Deutschland. Das Ende des Rechtsstaates war gekommen.
    Binnen zweier Monate wurden über 100.000 politische Gegner der Nazis, vor allem Kommunisten, aber auch linksintellektuelle Schriftsteller und Journalisten wie Carl von Ossietzky, Egon Erwin Kisch oder Erich Mühsam, verhaftet und in Konzentrationslager gebracht.

    Mit einer geradezu religiös anmutenden Kampfesrede ließ Adolf Hitler vor begeisterten Anhängern im Berliner Sportpalast keinen Zweifel an seinen Vernichtungszielen der
    Politischen Gegner:

    "Ich bin felsenfest der Überzeugung, dass eben doch einmal die Stunde kommt, in der Millionen, die uns heute verfluchen, hinter uns stehen und dann mit uns begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpfte, bitter erfahrene, Neue Deutsche Reich, der Größe, und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen."

    In der Krolloper schließlich brachte Hitler dann am 23. März 1933 das so genannte Reichsermächtigungsgesetz ein, das ihm uneingeschränkte Handlungsfreiheit auf allen Felder des politischen Lebens sicherte.

    "Die Regierung der nationalen Revolution sieht es grundsätzlich als ihre Pflicht an, entsprechend dem Sinn des ihr gegebenen Vertrauensvotums des Volkes, diejenigen Elemente von der Einflussnahme auf die Gestaltung des Lebens der Nation fernzuhalten, die bewusst und mit Absicht dieses Leben negieren.

    Sie werden nicht die Erkenntnis aus dem Auge verlieren, dass es sich dabei nicht nur um das negative Problem der Bekämpfung dieser Lehre und ihrer Organisationen handelt, sondern um die Durchführung der positiven Aufgabe der Gewinnung des deutschen Arbeiters für den nationalen Staat."

    Und Hitlers Sprachrohr, Josef Goebbels, legte noch einmal nach, indem er jedermann drohte, der dieser angeblich nationalen Revolution kritisch gegenüberstand:

    "Diese Regierung fackelt nicht, und sie ist entschlossen, mit drakonischen Gesetzen erbarmungslos gegen die kommunistische Weltgefahr vorzugehen."

    Es vergingen noch neun Monate, bis der Reichstagsbrandprozess in Leipzig beginnen konnte. Unter dem Vorsitz des Richters Wilhelm Bünger, eines ehemaligen DVP-Politikers, der eine zeitlang auch sächsischer Ministerpräsident gewesen war. Zur Eröffnung sagte Bünger, der durchaus kein Freund der NSDAP war, im Hinblick auf die vielfältigen öffentlichen Spekulationen:

    "Das deutsche Gesetz will, dass Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat sein soll, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlungen darstellt. Nur was in diesem Saale zur Verhandlung kommt, nicht was von unberufener Seite außerhalb geschieht, hat für die deutsche Rechtsprechung Bedeutung."

    Angeklagt waren neben Van der Lubbe und Ernst Torgler die drei Bulgaren, von denen vor allem Georgi Dimitroff einen bemerkenswerten Auftritt hatte. Er ließ sich nicht nur nichts gefallen, sondern wurde quasi zum Ankläger, als er von seinem Fragerecht an Göring Gebrauch machte. Göring antwortete mit wüsten Tiraden, als Dimitroff ein Loblied auf die Sowjetunion anstimmte.

    "Jetzt will ich Ihnen sagen, was dem deutschen Volk bekannt ist, dass Sie sich unverschämt benehmen und hierher gelaufen kommen und den Reichstag anstecken und dann mit dem deutschen Volk sich noch solche Frechheiten hier erlauben. Ich bin nicht hierher gekommen, um mich von Ihnen anklagen zu lassen. Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der längst an den Galgen gehört."

    Schließlich intervenierte Richter Bünger, dem die Prozessführung aus den Händen zu gleiten drohte.

    "Ich habe Ihnen schon gesagt, wenn Sie jetzt noch ein Wort sprechen, dann werden Sie wieder hinaus getan, dass Sie keine kommunistische Propaganda zu treiben haben. Sie haben das zum zweiten Mal jetzt getan und können sich dann nicht wundern, wenn der Herr Zeuge derartig aufbraust wie eben. Ich untersage Ihnen jetzt aufs Strengste: Sie haben, wenn Sie überhaupt Fragen zu stellen haben, rein sachliche und nichts weiter. Ob Sie zufrieden sind oder nicht, das ist mir völlig gleichgültig."

    "Ich bin zufrieden, Herr Präsident, ich stelle nur Fragen, nur Fragen…"

    "Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort, nach diesen letzten Äußerungen. Ich entziehe Ihnen das Wort. Setzen Sie sich hin. Ich entziehe Ihnen das Wort, nach diesen Fragestellungen."

    "Haben Sie Angst vor diesen Fragen, Herr Ministerpräsident?"

    "Sie Gauner, Sie!"

    Gauner, Galgen, et cetera. Deutsche Rechtssprechung unter dem Hakenkreuz. Dimitroff, der trotz alledem ebenso freigesprochen wurde wie Taneff, Popof und Torgler, emigrierte in die Sowjetunion und wurde dort als "Held von Leipzig" führender Funktionär der kommunistischen Internationale. Doch noch ein Hauch von Rechtstaat. Buchautor Sven Felix Kellerhoff:

    ""Der Prozess gegen Marinus van der Lubbe und die vier Mitangeklagten Popow, Dimitroff, Torgler und Taneff ist kein rechtstaatlicher Prozess mehr. Das Gesetz, auf dessen Grundlage dieser Prozess stattfindet, entspricht schon nicht mehr rechtstaatlichen Kriterien. Trotzdem hat der Vorsitzende Richter des entsprechenden Strafsenats durchaus versucht, seinen Kriterien zu folgen und ein halbwegs formal rechtstaatlichen Prozess durchzuziehen. Und deshalb hat er auch versucht, die Formalien einzuhalten.

    Er war der festen Überzeugung, als Richter müsse er das Recht, das gilt, das vom Staat erlassen wird, anwenden. Wir sind heute in unserem Rechtstaat nicht mehr dieser Überzeugung. Wir billigen heute Richtern zu, dass sie Gesetze auch für nicht mehr anwendbar erklären können und sie auch dann dem Bundesverfassungsgericht vorlegen können. Das gab es damals noch überhaupt nicht."

    Allein der geständige Van der Lubbe wurde zum Tode verurteilt und wenige Wochen nach Prozessende auf dem Schafott geköpft. Ohne dass der geständige Brandstifter voll rehabilitiert worden ist, wurde im vergangenen Jahr das Todesurteil von der Generalbundesanwältin endgültig aufgehoben. Es war schon im Jahre 1967 vom Berliner Landgericht in eine Zuchthausstrafe umgewandelt worden.

    Der Grund ist formal, weil das Todesurteil gegen den Holländer ausschließlich aus politischen Motiven und auf der Grundlage nachträglich erlassener Gesetze gefällt wurde. An seiner Alleintäterschaft als Reichstagsbrandstifter besteht inzwischen kein Zweifel mehr.