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Das Fest des Ziegenbocks

Am Anfang der beeindruckenden Reihe lateinamerikanischer Diktatorenromane von Miguel Ángel Asturias, Augusto Roa Bastos, Alejo Carpentier, García Márquez und Vargas Llosas Fest des Ziegenbocks steht der eines Spaniers: Tyrann Banderas. Roman des tropischen Amerika von Ramón María de Valle-Inclán(erschienen zuerst in Madrid 1926/ deutsch 1961). Valle-Incláns Tyrann Sántos Banderas ist der typische Caudillo, ein spanisches Erbübel Amerikas, der in einem lateinamerikanischen Land skrupellos mit den Großgrundbesitzern und der Geldkaste paktiert, doch am Ende, von allen verraten und verlassen, von Kugeln durchsiebt wird. Was bei Valle-Inclán als reine Fiktion in einer sehr poetischen Sprache erzählt wird, hat in Mario Vargas Llosas Roman Das Fest des Ziegenbocks einen historisch realen Hintergrund. 1961 wurde nach über dreißigjähriger Herrschaft in Santo Domingo Rafael Leonidas Trujillo, einer der finstersten und blutrünstigsten Tyrannen in seinem Auto von Kugeln durchsiebt.

Hans-Jürgen Schmitt | 27.05.2001
    Es gibt heute ganze Bibliotheken, die sich mit Aufstieg und Fall Trujillos befassen. Eine der drei Zeitachsen von Vargas Llosas Roman íst das Attentat, der Tyrannemord, seine politischen und repressiven Folgen. Also ein historischer Roman ? - so könnte man fragen. Ja und nein. Vargas Llosa erklärte dazu in einem Zeitungsinterview:

    Ich habe dokumentarisches Material so weit wie nur möglich studiert, über die Epoche, über die Ereignisse, aber nicht um historisch treu zu sein. Romane sind nicht gezwungen, historisch wahr zu sein, sondern wahr durch Lügen, also durch Erfindung. Dem einzigen Zwang, dem ich mich unterworfen haben, war der, den Personen nicht etwas anzuhängen, was in dieser Epoche nicht möglich gewesen wäre, und zwar aus ethischen und literarischen Gründen. Ich habe Anekdoten ausgesondert, die einfach so exzessiv waren, so daß der Leser sie nicht geglaubt hätte. Ich habe die Realität abgeschwächt, damit sie wahrscheinlich wird.

    Anders als es die bisher bekannten lateinamerikanischen Diktatorenromane zeigen -, ist Vargas Llosas Buch nicht durchgängig nur ein Werk der Imagination. Es ist ein Kondensat aus Historie und Fiktion,aus hunderten von Erinnerungen, recherchierten Details wie Fahrplänen, Nachrichten oder gar Speisekarten aus dem Jahr 1961. Aber entscheidend ist, was er erzählerisch daraus gemacht hat. Wie schon von seinen früheren Romanen gewohnt, konstruiert Vargas Llosa in William Faulkner-Manier eine komplexe Zeitstruktur. Da werden- und dies ist die zweite Zeitachse - etliche Kapitel in der Vergangenheit aus dem Mund eines weiblichen Opfers Trujillos berichtet. Im ersten Kapitel kehrt Urania Cabral nach 35 Jahren aus den USA zurück nach Santo Domingo und konfrontiert ihren inzwischen vom Schlagfluß stummgewordenen alten Vater, der Senatspräsident des Regimes war, mit bitteren Fragen.

    ´Er versteht, denkt sie und verstummt. Ihr Vater hat seine Augen starr auf sie gerichtet; in der Tiefe seiner Pupillen liegt eine stumme Bitte: Schweig, hör auf, diese Wunden aufzureißen, diese Erinnerungen heraufzubeschwören. Sie hat nicht die geringste Absicht, der Bitte Folge zu leisten. Bist du nicht deshalb in dieses Land gekommen, das nie wieder zu betreten du geschworen hast?

    "'Ja, Papa, zu diesem Zweck bin ich wohl gekommen', sagt sie so leise, daß es kaum zu hören ist'Um dir zuzusetzen. Obwohl du mit dem Hirnschlag deine Vorkehrungen getroffen hast. Du hast die unangenehmen Dinge aus deinem Gedächtnis getilgt. Hast du auch die Sache mit mir, mit uns gelöscht? Ich nicht. Nicht einen Tag. Nicht einen einzigen dieser fünfunddreißig Jahre Papa. Ich habe nicht vergessen, dir nie verziehen. Deshalb habe ich aufgelegt, wenn du mich in der Siena Heights University oder in Harward anriefst, sobald ich deine Stimme hörte, ohne dich ausreden zu lassen. 'Kleines du bist es...' klick. 'Uranita hör mir zu...'klick. Deshalb habe ich nie einen Brief von dir beantwortet. Hast du mir hundert geschrieben? Zweihundert? Ich habe sie alle zerrissen oder verbrannt. Sie waren ziemlich heuchlerisch, deine Briefe. Voller Umschweife, voller Andeutungen, sie könnten ja vor fremde Augen gelangen, es könnten ja andere von dieser Geschichte erfahren. Weißt du, warum ich dir nie verzeihen konnte? Weil du es nie wirklich bereut hast. Nach so vielen Jahren im Dienst des Chefs hattest du alle Skrupel, alles Empfindensvermögen, den winzigsten Funken Anstand verloren. Wie deine Kollegen. Wie das ganze Land vielleicht. War das die Voraussetzung dafür, sich an der Macht zu halten, ohne vor Ekel zu sterben? Ein gewissenloser Mensch zu werden, ein Ungeheuer wie dein Chef? Ungerührt und zufrieden zu sein wie Trujillos Sohn Ramfis, der nachdem er Rosalía vergewaltigt, sie halb verblutet im Marión - Krankenhaus abgeliefert hatte?"


    Die Anklage Uranias ist eine zentrale Passage,eine Schlüsselszene, die belegt, daß Vargas Llosa weniger das Phänomen Diktatur interessiert, sondern die Auswirkungen der absoluten Macht auf die Menschen, ihre moralische Verkommenheit.

    Denn Uranias Vater, bei Trujillo in Ungnade gefallen, hatte die damals 14jährige Tochter dem "Chef" überlassen. Das aber enthüllt Urania erst im letzten Kapitel des Romans ihren Tanten, einst braven Anhängerinnen des Diktators. Vargas Llosa entwirft hier in Gegenwart und Vergangenheit sich überlagernden Szenen ein ebenso entlarvendes wie erschütterndes Bild: wie der an Altersimpotenz leidende Machtmensch Trujillo vor dem verführten Mädchen ohnmächtig aufheult.

    Diese Zeitsprünge und Zeitenwechsel steigern erheblich die Spannung und dienen zugleich der grellen Ausleuchtung der Charaktere und Situationen, der Darstellung des Bösen als alltägliches Sakrament.

    Ferner gibt es dynamische Kapitel, die die Erzählgegenwart durch kurze Rückblenden sprengen und gleichsam eine Simultaneität bestimmter, personengebundener Ereignisse suggerieren. Grausame Vergangenheit wird mit der Zeit danach konfrontiert, durch die Gestalten, die jeweils erzählen. All dies zusammen mit wechselndem inneren Monolog und souveräner auktorialer Erzählführung untermischt, schaffen ein dichtes Romangewebe, dessen Thema die verheerenden Folgen dieser exzessiven Macht sind: Kontrolle des Bewußtsein, Angst und Servilität, die bis zur Selbsterniedrigung führen und von Trujillo als Strategie auch für die allernächsten Mitarbeiter eingesetzt werden, z. B. wie er mit dem Senator Chirinos,seinem Wirtschaftsfachmann und alkoholverfallenen Verfassungsrechtler verfährt:

    'Muß ich es dir zum x-ten Mal erklären? Wenn diese Unternehmen nicht der Familie Trujillo gehören würden, gäbe es diese Arbeitsplätze nicht. Und die Dominikanische Republik wäre noch immer das afrikanische Ländchen, das ich mir damals auf die Schultern geladen habe. Du hast es immer noch nicht kapiert.'

    'Ich habe es vollkommen kapiert, Chef.'

    'Bestiehlst du mich?'

    Chirinos fuhr wieder auf seinem Stuhl zusammen, die Aschfarbe seines Gesichts verdunkelte sich. Er blinzelte bestürzt.

    'Was sagen Sie da Chef? Gott ist Zeuge...'

    'Ich weiß, daß du es nicht tust', beschwichtigte Trujillo ihn.'Und warum stiehlst du nicht, wo du doch Vollmachten hast? Aus Loyalität? Vielleicht. Vor allem aber aus Angst. Du weißt, wenn du mich bestiehlst und ich es entdecke, dann würde ich dich Johnny Abbes übergeben, der dich in die Curenta bringen und auf den Thron setzen und dich schön langsam schmoren wird, bevor er dich den Haien vorwirft. So Sachen, die der hitzigen Phantasie des Chefs des Geheimdiensts und seiner kleinen Mannschaft gefallen. Deshalb bestiehlst du mich nicht. Deshalb bestehlen mich auch nicht die Geschäftsführer, Verwalter, Buchhalter, Ingenieure, Veterinäre, Vorarbeiter usw. usw.in den Unternehnem, die du überwachst.Deshalb arbeiten sie pünktlich und effizient, und deshalb waren die Unternehmen erfolgreich und haben sich vermehrt und die Dominikanische Republik in ein blühendes Land verwandelt. Hast du das begriffen?'

    'Natürlich Chef.' Der "Flüssige" Verfassungsrechtler fuhr wieder hoch. 'Sie haben völlig recht.'...

    'Aber ,fuhr Trujillo fort.' versteht dein Hirn jetzt, wozu diese ganzen Geschäfte, der ganze Grundbesitz und der ganze Viehbestand gut sind?'

    'Um dem Land zu dienen, das weiß ich nur zu gut, Exzellenz', beteuerte der Senator Chirinos. Er war nervös, Trujillo konnte es an der Heftigkeit erkennen, mit der er den Dokumentenkoffer gegen seinen Bauch presste, und an der salbungsvollen Art, mit der er sprach.'Ich wollte nichts Gegenteiliges andeuten Chef, Gott bewahre!'...

    Trujillo betrachtete ihn mit dem kriegerischen, direkten Blick, mit dem er die Leute einschüchterte. Der Lebende Dreck sank auf seinem Stuhl zusammen.


    Trujillo erniedrigte seine treuen Gefolgsleute aus machtstrategischen Gründen, indem er nicht nur nach ihren Beziehungen, nach ihrem Liebesleben fragte, sondern sich auch die Frauen seiner Minister zuführen ließ, nicht weil er sie begehrte, sondern um ihnen zu demonstrieren, wie weit auch die engsten Mitarbeiter in seiner Hand waren.

    Vargas Llosa entgeht der Gefahr, Trujillo im Roman zu einer Karikatur zu machen, weil er zugleich das soziale Panorama wie das Psychogramm des Tyrannen und seiner Untergebenen nuanciert zu schildern versteht. Er selbst verwies einmal darauf, wie verschieden man den historischen Trujillo sah:

    Trujillo war herzlich zu seiner Familie, die er über alles stellte, seine Freunde vergötterten ihn, die einfache und uniformierte Bevölkerung sah in ihm einen Halbgott. Für seine Gegner war er ein grausames, unerbittliches Monstrum; einige Leute, darunter sehr intelligente, hielten ihn für den Erbauer des Landes. Ich glaube, er war das alles zugleich; das ist es, was ich versucht habe, zu zeigen.

    Diese Ambivalenzen der Gefühle und Erfahrungen der Menschen, ihre Verstrickung und Einbindung in das Regime reflektieren auch die sieben Verschwörer, die am 30. Mai 1961, Trujillo auflauern; Vargas Llosa schildert diesen Prozeß in folgendem Abschnitt exemplarisch an der Person Tony Imberts:

    Seitdem er begriffen hatte, in was für einem Regime er lebte, was für einer Regierung er seit jungen Jahren gedient hatte und immer noch diente - was tat er anderes als Geschäftsführer einer der Fabriken des Klans?- fühlte er sich als Gefangener. Vielleicht hatte sich der Gedanke, Trujillo zu beseitigen, deshalb so stark in sein Bewußtsein gebrannt, weil er sich von dem Gefühl befreien wollte, daß seine sämtlichen Schritte kontrolliert wurden, daß sämtliche Wege und Bewegungen vorgezeichnet waren. Die Ernüchterung in bezug auf das Regime war in seinem Fall allmählich erfolgt, ein langsamer, unterschwelliger Prozeß, der sehr viel früher begonnen hatte als die politischen Konflikte seines Bruders Segundo, der Trujillo noch mehr verehrt hatte als er. Wer tat das nicht in seiner Umgebung vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren? Alle hielten den Ziegenbock für den Retter des Vaterlandes, denn er hatte den Krieg der Caudillos, der Gefahr einer erneuten Invasion durch Haiti ein Ende gemacht, die demütigende Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten beendet - die die Zölle kontrollierten, eine dominikanische Währung verhinderten und den Etat genehmigten - und im Guten oder Bösen die Köpfe des Landes in die Regierung geholt. Was bedeutete es angesichts dessen, daß Trujillo sich die Frauen nahm, die er wollte? Oder daß er sich mit Fabriken, Landgütern und Viehherden eingedeckt hatte? Hatte er dieses Land nicht mit den mächtigsten Streitkräften der Karibik ausgestattet? Tony Imbert hatte diese Dinge zwanzig Jahre seines Lebens gesagt und verteidigt. Das war es, was ihm jetzt den Magen umdrehte.

    Er konnten sich nicht mehr erinnern, wie alles begonnen hatte, die ersten Zweifel, Ahnungen, Meinungsverschiedenheiten, die ihn veranlaßten, sich zu fragen, ob wirklich alles so gut ging oder ob sich hinter der Fassade eines Landes, das unter der strengen, aber inspirierten Führung eines außergewöhnlichen Staatsmannes im Eiltempo Fortschritte machte, nicht das finstere Schauspiel zerstörter, mißhandelter und getäuschter Menschen anspielte, die feierliche Einsetzung einer ungeheueren Lüge mit Hilfe von Propaganda und Gewalt.


    Diese zu Verschwörern gewordenen engen Mitarbeiter Trujillos bilden die dritte Zeitachse des Romans; während sie dem Diktator auflauern, werden ihre Motive und Beweggründe für den Tyrannenmord erzählt. Für Vargas Llosa war überraschend, daß sich im Schoß der Macht schließlich doch eine Gruppe Verschwörer bilden konnte, die, nachdem sie den Diktator beseitigt hatten, zunächst ihren politischen Plan nicht umzusetzen konnten. Sie erleiden daraufhin einschließlich ihrer Familien grausame Verfolgungen durch die Söhne des Klans, die "Trujillo-Bestien" - wie sie genannt werden. Die Folterszenen sind ob ihres grausamen Realismus die schlimmsten Passagen des Romans. Auch darin ist Vargas Llosa ein Meister.

    In einem Regime wie es auf Santo Domingo bestand, wo nur einer das Gesetz ist, läßt der Tyrann Trujillo den Leibarzt sofort erschießen, nachdem er eine falsche Diagnose gestellt hat; muß der junge Offizier Amadito auf persönlichen Befehl des Diktators auf seine Braut verzichten, weil ihr Bruder angeblich Kommunist ist; Amadito wird gar durch ein Manöver des Geheimdienstes gezwungen, ihn zu erschießen; ein Bürgermeister wird ins Gefängnis geworfen , weil dessen junge Tochter wegen unzüchtiger Annäherung des Diktator diesen ohrfeigt. Als sie dann Jura studiert, wird sie vom Wohltäter des Landes scheinbar gefördert; nur um ihr die Anwaltslizenz in später Rache zu verweigern. Das sind in Vargas Llosas Roman noch die harmlosesten Auswüchse absoluter Macht Trujillos.

    Die interessanteste, weil rätselhafte und widersprüchliche Figur des Romans ist zweifellos die Gestalt des Marionettenpräsidenten Joaquín Balaguer. Der historische und heute noch lebende Balaguer wie der im Roman war Trujillos treuester Paladin, und dennoch für diesen selbst irgendwie undurchschaubar, ein Camäleon. Der Diktator benutzte ihn als die moralische Vorzeigefigur nach außen. Vargas Llosa widmet ihm das 14. Kapitel, konfrontiert ihn dort im Gespräch mit seinem Chef, der ihn als einzigen seiner nächsten Mitarbeiter siezt und ihm vorhält:

    'Es ist etwas Unmenschliches an Ihnen', sinnierte er, als wäre der Gegenstand seines Kommentars nicht anwesend.'Ihnen fehlen die natürlichen Gelüste der Menschen. Soviel ich weiß, haben Sie nichts für Frauen übrig und auch nichts für junge Männer. Sie führen ein keuscheres Leben als Ihr Nachbar auf der Avenida Máximo Gómez, der Nuntius. Abbes García hat keine Geliebte, keine Freundin, keine Ausschweifungen in Ihrem Leben entdeckt. Das Bett interessieert Sie also nicht. Geld auch nicht. Sie haben kaum Ersparnisse; abgesehen von dem kleinen Haus, in dem Sie leben, haben Sie kein Eigentum, keine Aktien, keine Investitionen, zumindest nicht hier. Sie waren nie in Intriguen und heftige Kriege verwickelt, in denen meine Mitarbeiter verbluteten, obwohl alle gegen Sie intrigieren. Ich muß Ihnen die Ministerien, die Botschaften, die Vizepräsidentschaft und sogar die Präsidentschaft geradezu aufdrängen. Wenn ich Sie absetze und auf einen verlorenen kleinen Posten in Montecristi oder Azua schicke, würden Sie genauso froh dorthin ziehen. Sie trinken nicht, sie rauchen nicht, essen nicht, laufen weder Frauen noch Geld, noch der Macht hinterher. Sind Sie so? Oder ist Ihr Verhalten eine Strategie mit einem geheimen Ziel?'

    Das glattrasierte Gesicht von Dr. Balaguer glühte erneut. Seine sanfte kleine Stimme wankte nicht, als er erklärte: 'Seitdem ich Exzellenz an jenem Morgen im April 1930 kennengelernt habe, bestand mein einziges Laster darin, Ihnen zu dienen. Seit jenem Augenblick wußte ich, daß ich meinem Land diente, indem ich Trujillo diente. Das hat mein Leben bereichert...


    Im Moment von Trujilos Tod war dieser in den Worten Balaguers "der beste und glorreichste Wächter des Friedens". Fünf Monate später war er -wieder in Worten Balaguers - "der schlimmste aller Diktatoren".

    Wer war, wer ist dieser Balaguer, den Vargas Llosa hier ausführlich bis zu seiner Machtübernahme porträtiert? Seit der Ermordung Trujillos ist Balaguer aufs engste mit dem Schicksal der Dominikanischen Republik verknüpft, die er zumindest in eine formale Demokratie führte. Viermal war der von Katalanen abstammende Balaguer Regierungschef, und wenn er es nicht war, hat er aus dem Hintegrund die Geschicke zu lenken gewußt.Seit seinem 80. Lebensjahr blind, stellte er sich mit 94 im Frühjahr 2000 abermals zur Wahl; diesmal ohne Aussicht. Für die einen ist Balaguer ein Tyrann, für die anderen der Machiavelli der Karibik. Er kam aus sehr einfachen Verhältnissen, war als Jurist ausgebildet, ein Mann von intellektuellen Fähigkeiten, der immer auch Gedichte schrieb und seine öffentlichen Reden vor den armen, nichtalphabetisierten Massen etwa mit Zitaten Cäsars und Aristophanes versah. Mit Anstrich des Intellektuellen und Humanisten und mit dem funktionierenden Mechanismus demoraktischer Wahlen gelang es ihm, die internationale Öffentlichkeit Jahrzehnte zu täuschen. Santo Domingo galt unter Balaguers Herrschaft als die am besten sich verstellende, sich verbergende Diktatur des 20. Jahrhunderts. Balaguer ist derjenige, der nach der Ermordung Trujillos als einziger des engen Zirkels kühlen Kopf behält. Im Roman ist die Stelle signifikant, mit der der Erzähler Vargas Llosa, die Verwandlung des Marionettenpräsidenten in den Staatsmann in einer einzigen Reaktion festhält. Die Armeeführung will ihn zu sich ins Hauptquartier rufen als Demonstration ihrer Macht. Darauf Balaguer:

    Wenn etwas derart Gravierendes geschehen ist, dann ist mein Platz als Präsident der Republik nicht in der Kaserne, sondern im Regierungspalast. Ich begebe mich dorthin. Ich schlage vor, daß die Zusammenkunft in meinem Amtszimmer stattfindet. Guten Abend.'

    Er legte auf, bevor der Minister der Streitkräfte Zeit hatte zu antworten...

    Sein Amt war dekorativ, gewiß. Aber nach dem Tod Trujillos wurde es real. Es hing von seinem Verhalten ab, ob er aufhören würde, eine bloße Randfigur zu sein, und zum wirklichen Staatschef der Dominikanischen Republik aufzustiege. Vielleicht hatte er, ohne es zu wissen, seit seiner Geburt 1906 auf diesen Moment gewartet. Einmal mehr wiederholte er im stillen die Devise seines Lebens: Nicht einen Augenblick, aus keinem Grund, die Ruhe verlieren.


    Trujillo sah in Balaguer einen Mann ohne Ambitionen, darum machte er ihn zum Marionettenpräsidenten. Doch als Trujillo tot war, entstand ein anderer Balaguer, der genau wußte, was er wollte, der an der Macht festhielt - selbst als er blind wurde. In ihm verkörperte sich der ewige Tyrann als Zivilist in zeitgemäßer Camouflage.

    In den siebziger Jahren waren die Diktatorenromane eine Antwort auf die Verhältnisse in Lateinamerika, auf die absolute Macht und den damit behaupteten alleinigen Anspruch der Tyrannen auf die Wahrheit.

    Das ist heute nicht mehr der Fall. Doch Vargas Llosas Roman könnte durchaus als Reaktion auf die neuen autoritären Regime gelesen werden, Regime , die wie Peru durch Fujimori oder Venezuela durch Hugo Chávez im Gewand manipulierter, verfälschter Demokratien auftreten und ähnlich extremen Machtmißbrauch betreiben wie das Trujillo- und Balaguersystem.

    Insofern müßte man Vargas Llosas Buch einen politischen Roman nennen (das spanische Original verzichtet auf die Gattungsbezeichnung), in dem Sinne auch, daß er die toxischen Effekte beschreibt, die die Diktaturen verursachen.

    Der Triumph der Fiktion ist es, der trotz aller Schrecken, die manche Szenen und Bilder evozieren, Vargas Llosas Roman Das Fest des Ziegenbocks zu einer spannenden Leküre machen und seinen Verfasser einmal mehr als derzeit herausragendsten Romancier Lateinamerikas bestätigen.