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"Das geht eben nicht am Deutschen Bundestag vorbei"

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, pocht bei der Entscheidung über eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms auf das Haushaltsrecht des Bundestags. Schließlich verdoppelten sich die geplanten Garantien nahezu und erreichten ein Volumen, das zwei Dritteln eines Bundeshaushalts entspreche, sagte er.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 01.09.2011
    Tobias Armbrüster: Das Bundeskabinett hat sich gestern in Berlin auf einen Gesetzentwurf zum neu gestalteten Euro-Rettungsschirm verständigt. Dieser Schirm soll nach den Vorstellungen der Staats- und Regierungschefs der EU neue Kompetenzen erhalten und ausgebaut werden. Das bleibt im Bundestag und auch in den Regierungsfraktionen dort vor allem umstritten. Auch gestern nach dem Kabinettsbeschluss gab es Stimmen von Unions- und FDP-Abgeordneten, die diese Pläne ablehnen. Es kommt also möglicherweise Ende dieses Monats bei der Parlamentsabstimmung auf die Opposition an. - Am Telefon ist jetzt Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Trittin, das Bundeskabinett hat sich also auf das weitere Vorgehen geeinigt beim Euro-Rettungsschirm. Können Sie diesen Plänen zustimmen?

    Trittin: Das Bundeskabinett hat sich in einem Punkt überhaupt nicht entschieden und nichts gesagt, nämlich zu der Frage, wie künftig dieser Rettungsschirm im Verhältnis zum Bundestag ausgestaltet werden soll. Man kann auch sagen, das ist gut so, weil das ist die originäre Aufgabe der Fraktionen im Deutschen Bundestag. In der Sache selber kann es keinen Zweifel geben: Man muss alles dafür tun, dass man jetzt sehr schnell dahin kommt, die neuen Mechanismen des europäischen Stabilisierungsfonds in Kraft zu setzen. Das ist notwendig, um die Krise zu beherrschen. Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass der EFSF Anleihen von kriselnden Staaten aufkauft. Es muss die Möglichkeit gegeben werden, auch Banken, die von Kapitalschwäche geprägt sind, zu rekapitalisieren. All dieses wartet eigentlich seit dem 21. Juli darauf, umgesetzt zu werden. Aber dies geht nur, wenn die Rechte des Haushaltsgesetzgebers und des Bundestages auch ausdrücklich gewahrt sind.

    Armbrüster: Und ist es da nicht sehr entgegenkommend von der Bundesregierung, wenn sie den Parlamentariern sagt, über die Mitbestimmung entscheidet ihr?

    Trittin: Das ist gestern in einem Gespräch zwischen den Fraktionsvorsitzenden aller Fraktionen, Ausnahme FDP, mit der Kanzlerin so besprochen worden. Wir sind übereingekommen, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klagen zum Euro-Rettungsschirm es einen Versuch geben soll einer interfraktionellen Einigung, also zwischen den Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Aber man muss an der Stelle eines ganz klar sagen: Jede Frage, ob ein Land unter den Rettungsschirm kommt, die Frage, nach welchen Richtlinien hier gearbeitet wird und welchen Umfang dieser Rettungsschirm hat, das muss durch Gesetz und damit durch ein positives Votum des Deutschen Bundestages bestimmt werden. Wir entscheiden ja dieser Tage darüber, dass das, was Deutschland an Garantien für diesen Fonds zur Verfügung stellt, faktisch verdoppelt wird auf fast 211 Milliarden Euro Garantien. Das ist zwei Drittel eines Bundeshaushaltes und das geht eben nicht am Deutschen Bundestag vorbei. Das würde mit der Verfassung und auch mit unserem Selbstverständnis nicht in Übereinstimmung stehen.

    Armbrüster: Ja, Herr Trittin, macht das nur nicht solche Entscheidungen sehr schwierig, wenn in allen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten erst einmal das Okay eingeholt werden muss für eine solche Rettungsaktion?

    Trittin: Nein. Wir reden hier darüber, ob ein Fonds aufgestockt wird, ob ein Land unter diesen Schirm kommt. All dieses sind Dinge, über die in der Regel Wochen und Monate verhandelt wird. Ich will Sie darauf hinweisen, dass die Beschlüsse des Rates vom 21. Juli zwischen den Mitgliedsstaaten, also zwischen den Regierungen, bis heute, im Grunde genommen bis letzte Woche, schlussverhandelt worden sind, und nun kommt der Deutsche Bundestag und wäre eigentlich in der Lage, wenn die CDU und die FDP nicht so zerstritten wären, nächste Woche zu entscheiden. Das Argument der parlamentarischen Beteiligung, das würde verzögern, gilt bei diesen Dingen nicht.

    Armbrüster: Aber haben denn nicht gerade die Entscheidungen der vergangenen Monate oder des vergangenen Jahres gezeigt, dass es schädlich ist, wenn es nicht schnell genug geht?

    Trittin: Ich würde Ihnen ja gar nicht widersprechen. Nur muss man wissen, um welche Entscheidungen es geht. Bei der Frage, ob ein Land unter den Rettungsschirm kommt, ob ein breites Paket von Maßnahmen, was ja damit verbunden ist, in diesem Land beschlossen wird - übrigens auch dort in der Regel vom Parlament -, all dieses sind keine zeitkritischen Entscheidungen. Zeitkritisch wäre eine Entscheidung, die sagt, wir stellen kurzfristig eine Kredithilfe für ein Land zur Verfügung oder wir gehen daran, weil gerade an diesem Wochenende mal wieder gegen Italien oder Spanien spekuliert wird, Anleihen vom Markt wegzukaufen. Das sind Entscheidungen, die muss schnell der Fonds treffen, da muss es eine umfassende Unterrichtung und Rechnungslegung geben. Aber da wird das einzelne Parlament und das einzelne Land vorher nicht einen parlamentarischen Prozess auf den Weg bringen können. Und das ist genau dieser Mix, für den wir streiten, nämlich einen handlungsfähigen Krisenmechanismus zu haben, der aber sicherstellt, dass die Haushaltsrechte und die Verantwortung, die wir als Abgeordnete gegenüber dem Geld der Steuerzahler haben, auch wahrgenommen wird.

    Armbrüster: Der FDP-Politiker Otto Fricke hat jetzt in der "Süddeutschen Zeitung" vorgeschlagen, dass so ein Votum, das man dann möglicherweise nur mit dem Haushaltsausschuss treffen kann, notfalls auch bei den Abgeordneten über Handy eingeholt werden kann. Wäre das eine Lösung?

    Trittin: Ich glaube, hier wird ganz viel über Technik und Ähnliches spekuliert. Man muss im Grundsatz klar sein. Im Grundsatz heißt das: Alles, wo Geld zur Verfügung gestellt wird, muss der Bundestag entscheiden. Über operatives Geschäft, was schnell gehen muss, das ist Sache der jeweiligen Regierung. Und dann kann auch mal etwas unterrichtet werden. Nichtsdestotrotz: Auch der Haushaltsausschuss - bei allem Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen - ist nicht der Bundestag, sondern ein Organ des Bundestages, und eine Beteiligung des Haushaltsausschusses könnte eine echte gesetzgeberische Haltung des Bundestages nicht ersetzen.

    Armbrüster: Herr Trittin, Sie waren selbst Minister in der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Das war eine Koalition, die zurzeit, sagen wir mal, keine besonders gute Presse hat, vor allem, weil es heißt, Rot-Grün habe die Stabilitätskriterien aufgeweicht. Warum haben Sie das damals zugelassen, dass die Schuldengrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschritten wurde?

    Trittin: Wir haben damals schon in der Situation gestanden, dass in einer Währungsunion ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik die Frage, ob man zu einer Revitalisierung der Wirtschaft kommt und dieses in einen Widerspruch geraten war. Es ist damals übrigens nicht von Rot-Grün, sondern von damals allen 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschlossen worden, dieses zu verändern. Das war, um den vormaligen Bundeskanzler zu zitieren, nämlich Helmut Kohl, ein Problem, aber damit kann man umgehen, wie er das erst neulich gesagt hat. Das, worauf niemand von uns sich wirklich einstellen konnte, war, dass eine Regierung, zumal eine konservative Regierung, eine Regierung der Schwesterpartei von CDU und CSU, nämlich die Nea Dimokratia in Griechenland, daran gehen würde, diese Vorgaben dann tatsächlich vorsätzlich und planmäßig zu hintergehen und nichts anderes zu betreiben als einen Betrug der europäischen Institutionen. Dass nun ausgerechnet Konservative in Deutschland meinen, dieses Vorgehen einer damaligen Bundesregierung anzulasten, verwundert denn doch.

    Armbrüster: Aber der Vorwurf bleibt doch, Herr Trittin: Sie waren die Ersten, die es gemacht haben.

    Trittin: Noch mal: Die kriminellen Handlungen, die da stattgefunden haben, die waren nicht vorhersehbar und sind von niemandem vorhergesehen worden. Das gilt für alle und ich finde, das muss an dieser Stelle dann auch so bleiben, dass derjenige, der die europäischen Institutionen in diesem Ausmaß hintergangen hat, dafür verantwortlich ist und nicht diejenigen, die damals betrogen worden sind.

    Armbrüster: Aber es war dann doch sehr vorhersehbar, wie Sie anschließend im Ministerrat auch noch Sanktionen gegen Deutschland und auch gegen Frankreich gemeinsam blockiert haben.

    Trittin: Noch mal: Es ist überhaupt nichts blockiert worden. Es gibt in dieser Frage nur einstimmige Entscheidungen, und diese einstimmigen Entscheidungen sind damals in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage getroffen worden, als in allen Ländern der Europäischen Union es zu massivem Anstieg von Arbeitslosigkeit gekommen ist und weil schon damals offensichtlich war, was bis heute nicht gelöst ist, nämlich dass es keine gemeinsame Währung geben kann ohne eine gemeinsame Wirtschaftsregierung. Und genau diejenigen, die sich heute gegen diese gemeinsame Wirtschaftsregierung aussprechen, werfen genau dieses den damaligen europäischen Regierungen, konservativen wie grünen und roten, vor. Das ist nicht logisch. Wir müssen in einer Währungsunion zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik kommen und da passt es eben nicht, dass es Oasen mit Steuerdumping gibt, dass es Oasen mit Regulierungsdumping gibt, wie es das in Irland gab, und dazu passt es schon gar nicht, dass konservative Regierungen die europäischen Institutionen und ihre Partnerstaaten bescheißen.

    Armbrüster: Jürgen Trittin war das, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Herr Trittin, und einen schönen Tag noch.

    Trittin: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.