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Das Geschäft mit der Hoffnung

Für ein klein wenig Hoffnung zahlen Schwerkranke bis zu 20 000 Euro. Sie fahren dafür bis ans Ende der Welt. Lassen sich in Aserbaidschan operieren oder unterziehen sich in Peking einer Zelltherapie. Stammzelltouristen können auch in der Dominikanischen Republik, in Indien oder in Kiew einen hohen Preis für eine aussichtslose Behandlung bezahlen. Seit Januar 2007 sind solche weiten Reisen nicht mehr notwendig. Denn in Köln-Deutz hat das Xcell-Center eröffnet.

Von Kristin Raabe | 04.11.2007
    Das geschmackvolle, orange-braune Ambiente verleiht der Privatklinik auf der zweiten Etage des Eduardus-Krankenhauses den Anschein von Seriosität. Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten waren der Kölner Bürgermeister Josef Müller und Vertreter der katholischen Kirche anwesend. Die medizinischen Geräte der Klinik entsprechen dem neuesten Stand der Technik. Und dennoch: Was leere Versprechungen angeht, steht das Kölner Xcell-Center seinen Konkurrenten in diversen Entwicklungsländern in nichts nach. Zitat:

    "Mit Stammzellen behandeln unsere Mediziner Sie, wenn Sie an einer schweren Erkrankung leiden, bei der die herkömmlichen Therapien versagt haben. Dies bedeutet für Sie eine Chance, denn sogar stark beeinträchtigte oder ausgefallene Körperfunktionen lassen sich mit Hilfe dieser Behandlung verbessern. Dabei arbeiten wir ausschließlich mit ihren eigenen adulten (erwachsenen) Stammzellen."

    Egal ob Schlaganfall, Diabetes, ALS, Querschnittlähmung oder Multiple Sklerose - die Stammzellbehandlung des Xcell-Centers kann angeblich bei den unterschiedlichsten Arten von Krankheiten funktionieren. Das liegt nach Meinung der Ärztin Angy Etou, Neurochirurgin am Xcell-Center, an dem besonderen Potential dieser Zellen, die bei Diabetes genauso helfen können, wie bei ALS:

    "Es ist die Besonderheit der Stammzellen, dass sie in der Lage sind, sich in alle möglichen Körperzellen zu entwickeln, so dass man eben die unterschiedlichsten Krankheiten damit behandeln kann."

    Die Ärzte des Xcell-Centers entnehmen Knochenmark aus dem Becken ihres Patienten. Aus dieser Probe isoliert ein Labor in England die Stammzellen, die dann dem Patienten zurückgegeben werden. Bei Diabetes kommen die Stammzellen in den Blutkreislauf, bei neurologischen Erkrankungen erfolgt eine Injektion ins Rückenmark. Etou:

    "Es sind in aller Regel sehr unterschiedliche Patienten, die meistens die konventionellen Therapiemöglichkeiten einigermaßen erschöpft haben. Zum Beispiel im Bereich neurologischer Erkrankungen zusätzlich nach einer Möglichkeit suchen, diese Erkrankung in irgendeiner Weise positiv zu beeinflussen, sei es die Symptome zu verbessern, sei es den Krankheitsverlauf zumindest zu verlangsamen."

    Häufig stoßen die Patienten im Internet auf das Xcell-Center. So auch Bernd Niereisel. Er suchte nach einer Therapie für seine Lebensgefährtin Doris Kahns. Sie leidet seit zwanzig Jahren an Multipler Sklerose. Bei dieser sehr häufigen neurologischen Erkrankung zerstört das eigene Immunsystem die Nervenbahnen. Nach dem Beratungsgespräch im Xcell-Center fasste Bernd Niereisel wieder Hoffnung.

    "Herr Ludemann ist ja Patientenbeauftragter vom Xcell-Center und Herr Nitsche, die beiden waren bei dem Gespräch dabei. Man konnte also alle Fragen stellen, wobei man also sagen muss, wir sind medizinische Laien, wir können also diese Fragen in der Tiefe können wir also nicht so fragen. Wir haben dann mehr so die Frage gestellt, ob diese Therapie was bringt für sie. Daraufhin hat also dieser Herr Ludemann gesagt: OK, bei ihrer Lebensgefährtin können wir eine 60-Prozent-Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustandes machen, wenn sie das macht, diese Therapieform."

    Leo Ludemann berät die Patienten des Xcell-Centers. Dr. Peter Nitsche ist dort Arzt für Innere Medizin und Diabetologie. Über eine Zusatzqualifikation im Bereich Neurologie/Multiple Sklerose verfügt er nicht. Die sei für seine Arbeit aber auch nicht erforderlich, erklärte das Xcell-Center gegenüber dem Deutschlandfunk. Auch würden die Patienten stets darüber aufgeklärt, dass die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Therapie nicht zugesagt werden könne. Bernd Niereisel allerdings erinnert sich nur noch daran, wie ihm versprochen wurde, dass die Stammzellbehandlung seiner Lebensgefährtin helfen würde. Vor neun Jahren hatte er sich in Doris Kahns verliebt. Seitdem musste er mit ansehen, wie sie körperlich und geistig abbaute. Die promovierte Mathematikerin kann sich an vieles, was im Xcell-Center geschah, nicht mehr erinnern. Hoffnungen hatte aber auch sie. Kahns:

    "Vielleicht dass ich doch mal gehen könnte, wieder. Na ja, ein Wunsch war da."

    6500 Euro hat die Behandlung von Doris Kahns gekostet. Soviel Geld hatten weder sie noch ihr Lebensgefährte auf dem Konto. Die beiden nahmen einen Kredit auf, denn die Broschüre im Xcell-Center versprach viel. Dort berichtete eine andere MS-Patientin über einen beeindruckenden Behandlungserfolg. Gleichzeitig stellte die Broschüre eine umfassende Betreuung in Aussicht. Zitat:

    "Ob eine Stammzelltherapie in Ihrem Fall möglich, sinnvoll und erfolgversprechend ist, entscheidet unser multidisziplinäres Team in einer ...Beratungskonferenz. Wird die Stammzelltherapie befürwortet, arbeiten wir einen genau auf Sie zugeschnittenen Behandlungsplan aus."

    Dass dies nicht ganz der Wahrheit entspricht, merkte Bernd Niereisel recht schnell. Zu seiner Überraschung wollte kein Neurologe des Xcell-Centers seine Freundin untersuchen. Die Ärzte dort verlangten auch kein MRT. So ein Bild eines Magnetresonanztomographen hätte zeigen können, in welchem Ausmaß die Krankheit das Nervensystem von Doris Kahns bereits zerstört hat. Eine gründliche Voruntersuchung blieb also aus, auch einen "individuellen Behandlungsplan" hat Bernd Niereisel nie gesehen. Niereisel:

    "Was man feststellen muss, ist, dass die ganze Behandlung in dem Center nicht dem entspricht, was die in ihrer Broschüre beschrieben haben."

    Auf Rückfrage räumt das Xcell-Center ein, dass alle Patienten nur aufgrund ihrer Krankenakte beurteilt und behandelt werden, also aufgrund von Diagnosen, die deren eigene Ärzte vorab gestellt haben. Von Doris Kahns haben die Mediziner des Xcell-Centers allerdings keine Krankenakte eingefordert. Ihrem Lebensgefährten Bernd Niereisel zufolge erhielten sie lediglich ein Schriftstück, in dem er den Verlauf der Erkrankung von Doris Kahns dargestellt hatte. Er habe sich gewundert, dass das ausreichte, vertraute aber auf das, was ihm der Patientenberater des Xcell-Centers, Leo Ludemann, versprochen hatte. Niereisel:

    "Ich habe ihm dann eine Email geschrieben und habe ihn schon mal gefragt, wie sieht denn das aus, was wird denn nun mit dem Behandlungsplan? In ihrer Broschüre steht ja, sie kümmern sich um einen, nach dieser Implantation. Und im Grunde genommen erfolgt ja gar nichts. Und dann hat der Herr Ludemann sie angerufen und gefragt: ‚Na, Frau Kahns, wie geht es Ihnen denn?’ Aber dann sagen wir mal, ist nichts mehr gekommen, gar nichts, überhaupt nichts."

    Zur Nachbetreuung heißt es in der Broschüre wörtlich. Zitat:

    "Nach ihrer Entlassung können Sie sich, falls erforderlich, bei unserer 24stündigen besetzten Notfall-Hotline Rat und Hilfe holen. Außerdem bleiben Sie noch eine Weile in enger Verbindung mit ihrem behandelnden Arzt im Xcell-Center. Er gibt Ihnen auch Empfehlungen für den Fortgang Ihrer Rehabilitation und Ratschläge zu Ernährungs- und Lebensgewohnheiten, die für Ihre Gesundung vorteilhaft sind."

    Empfehlungen für eine Rehabilitation, eine Physiotherapie etwa, hat Doris Kahns nie bekommen, hat sie allerdings auch nicht eingefordert. Nachdem die 6500 Euro für die Behandlung überwiesen worden waren, interessierte sich am Xcell-Center niemand mehr für die schwerkranke Frau. Der Zustand von Doris Kahns verbesserte sich indes nicht. Bernd Niereisel:

    "Erstmal passierte gar nichts, im zweiten Monat passierte auch nichts und im dritten Monat passierte dann auch nichts, und daraufhin habe ich den Herrn Ludemann angerufen und gefragt, was denn nun mit den 60 Prozent wäre, die er uns da versprochen hat. Also daraufhin hat er ihr dann gesagt: Also Frau Kahns, Sie müssen auch in Betracht ziehen, dass aus dieser Therapie nichts wird."

    Tatsächlich gibt es bislang keinen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit einer Stammzelltherapie bei MS-Patienten. Dabei ist sich Angy Etou durchaus der Verantwortung bewusst, die ein behandelnder Arzt seinen Patienten gegenüber hat. Etou:

    "Es ist natürlich oft so, dass die Patienten sozusagen nach dem Strohhalm greifen, und um so wichtiger ist es, dass man den Patienten auch offen und ehrlich darüber informiert, dass man eben nicht irgendwelche Aussichten oder Hoffnungen machen kann. Er muss ganz klar wissen, dass wir keine Garantie auf Besserung geben können, dass in der Medizin keine Therapie 100 Prozent Erfolge hat. Ich denke, wenn wir langfristig 60 oder 70 Prozent Erfolge haben, dann wäre das fantastisch."

    Aber so, wie es die Xcell-Broschüre verspricht, kann die Therapie dem heutigen Wissenstand zufolge kaum funktionieren. Zitat:

    "Adulte Stammzellen werden nach der Entnahme und Aufbereitung teilweise direkt ins Zielgewebe injiziert. Führt man sie dem Organismus an einer anderen Stelle zu, wandern die Stammzellen zu dem Zielgewebe; hier werden sie dann zu spezialisierten, gesunden Zellen."

    Etou:

    "Dabei geht es darum, dass sich aus den Stammzellen letzten Endes Nervenzellen entwickeln, um die geschädigten zu ersetzen und bei Diabetes geht es darum, die zugrunde gegangen Insulinproduzierenden Zellen im Pankreas zu ersetzen."

    Die Xcell-Ärzte sind also überzeugt, dass die Stammzellen, die ursprünglich aus dem Knochenmark stammen, einfach dorthin wandern, wo sie gebraucht werden, und dort dann die geschädigten Zellen ersetzen. Bei Doris Kahns wurden die Zellen ins Rückenmark injiziert. Von da hätten sie ins Kleinhirn wandern müssen, wo die Krankheit viele Nervenzellen zerstört und ihr die Bewegungsfähigkeit genommen hat. Ob adulte Stammzellen zu solchen und anderen Kunststücken überhaupt fähig sind, hat Axel Zander am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf untersucht. Zander:

    "Die Zellen können unter entsprechender Stimulation sich im Labor in Zellen mit Charakteristika verwandeln, die Herzzellen ähnlich sind, die Nierenzellen ähnlich sind, die Hirnzellen ähnlich sind. Im Labor! Aber die meisten Studien haben dann ergeben, wenn das im Tierexperiment durchgeführt wurde, dass wenn diese Zellen dort nicht nachgewiesen werden konnten, dass diese Zellen nicht im Hirn waren, nicht neues Hirn aufgebaut haben und nicht in der Niere waren und wahrscheinlich auch nicht im Herzen waren."

    Im Knochenmark gibt es zwei Arten von Stammzellen: Die einen bilden fortwährend neue Blutzellen, die anderen sind die so genannten mesenchymalen Stammzellen. Sie kommen viel seltener vor und bilden Fettzellen, Knorpelzellen und Knochen. Nervenzellen gehören eindeutig nicht in ihr natürliches Repertoire. Werden diese Stammzellen einfach in eine Körperregion gespritzt, in der sie normalerweise nicht vorkommen, sterben sie in aller Regel schnell ab. Wenn sie das nicht tun, kann das mitunter verheerende Folgen haben. Aber davon wissen die Mediziner des Xcell-Centers offenbar nichts. Bernd Niereisel:

    "Ich habe die Frage ja auch gestellt. Gibt es da ein Risiko? Es geht ja um Stammzellen, die ja in das Rückenmark implantiert werden. Die einzige Antwort, die sie gegeben haben war: das sind ja körpereigene Stammzellen, die kein Risiko bedeuten."

    Gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigt das Xcell-Center diese Ansicht: Die Transplantation körpereigener adulter Stammzellen stelle für die Patienten eine Chance und kein Risiko dar. Axel Zander leitet in Hamburg-Eppendorf das Zentrum für Blutstammzelltransplantationen und kennt die möglichen Nebenwirkungen aus Tierexperimenten. Zander:

    "Es kann immer noch Nebenwirkungen geben, auch der adulten Stammzelle, die auch schon beschrieben sind, wir wissen nur nicht wie häufig die sind. Dass diese Zellen eben doch mal landen können und sich eben anders in den Körper einordnen, als man das wünscht, dass zum Beispiel im Herzen Knochen gebildet werden kann, das ist ein sehr schädigender Effekt, der zum Beispiel in Tierexperimenten nachgewiesen wurde. Und solche Sachen können theoretisch auftreten und dafür bedarf es eben Langzeit angelegter Studien, um eben auch die Nebenwirkungen vernünftig einschätzen zu können."

    Manchmal bilden die Stammzellen in Tierversuchen auch Fettzellen in der Niere. Auch bei "Cells4Health", der niederländischen Firma, die hinter dem Xcell-Center steht, scheint die Stammzelltransplantation schon verheerende Auswirkungen gehabt zu haben. Vor der Eröffnung des Kölner Xcell-Centers operierte die Firma bereits in den Niederlanden, der Türkei und in Aserbaidschan. Die selbst querschnittsgelähmte Niederländerin Corinne Jeanmaire hat über verschiedene Patientenorganisationen und Internetforen Kontakt zu einigen querschnittsgelähmten Patienten von "Cells4Health" aufgenommen. Ihr Fazit: Vier der 18 "Cells4Health"-Patienten, die sie ausfindig machen konnte, geben an, nach der Stammzellbehandlung zusätzliche Teile ihrer Bewegungs- oder Empfindungsfähigkeit verloren zu haben. Theo Bruijnzeel etwa wirft der Firma "Cells4Health" vor, deren Therapie habe 2005 dazu geführt, dass er seine Hand nicht mehr bewegen kann. Er berichtete darüber am 8. Juli 2006 im ersten Programm des niederländischen Fernsehens in der Sendung "Twee Vandaag":

    "Ich hatte vor meiner Operation im rechten Arm Kontrolle über den Trizeps, die habe ich komplett verloren. Vorher konnte ich mit meinem Handgelenk ein Bierglas festhalten, um zu trinken. Diese Fähigkeit habe ich jetzt verloren. Langsam kommt der Muskel zurück, aber die ganze Kraft ist da raus. Das beinhaltet, dass ich im täglichen Leben mehrere praktische Fähigkeiten verloren habe."

    Das Xcell-Center klärt seine Patienten nach eigenem Bekunden nur über die Risiken des operativen Eingriffs auf, die mit der Transplantation einhergehen. Auch Bernd Niereisel und Doris Kahns haben diese Information bekommen und sie als das übliche Prozedere bei Operationen akzeptiert. Sie wollten an ihre neue Chance glauben. Schließlich hatte sogar der Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, der Arzt Jan Leidel, zur Eröffnung des Xcell-Centers im Januar 2007 eine feierliche Ansprache gehalten.

    "Das strahlt schon eine gewisse Seriosität aus für so ein Center. Da wird man schon positiv beeinflusst, und sagt nicht gleich also, das ist was, was nichts ist."

    In einer Email erkundigte sich Bernd Niereisel bei Jan Leidel nach dem Xcell-Center und erhielt eine überraschende Antwort. Zitat:

    "Bei meinem Grußwort zur Eröffnung, das ich nicht gerne gesprochen habe, musste ich eine Gratwanderung zwischen meiner Skepsis und der formalen Rechtmäßigkeit des Centers unternehmen. (....) Nun aber zu ihrer eigentlichen Frage: Ich bin alles andere als sicher, dass die Betreiber dieses Centers ihren Patienten tatsächlich helfen.(...)Ihrer Lebensgefährtin sollten Sie meiner Ansicht nach eher von der Nutzung dieses Centers abraten, ihr zumindest deutlich sagen, dass die dort gemachten Versprechen einer seriösen wissenschaftlichen Grundlage nach heutiger Kenntnis entbehren."

    Bernd Niereisel und Doris Kahns hörten nicht auf den Rat von Jan Leidel. Lieber vertrauten sie den vielen positiven Patientenberichten in der Broschüre des Xcell-Centers: Dort berichtet etwa die Niederländerin Gia van Stijn über ihren Behandlungserfolg mit der Stammzelltherapie. Angeblich konnte sie nach der Behandlung wieder längere Strecken gehen. Solche Patientenberichte haben für den niederländische MS-Experten Rogier Hintzen vom Erasmus Zentrum für Medizin allerdings keine Bedeutung. Hintzen:

    "”Wir müssen uns darüber klar sein, dass Multiple Sklerose für die Behandlung mit alternativen Heilmethoden ideal ist. Sie können einer Gruppe von MS-Patienten Bonbons geben und würden bei 80 Prozent der Patienten kurze Zeit später einen Behandlungserfolg verzeichnen. Das liegt daran, dass diese Erkrankung fluktuiert, es kommen Schübe. Und natürlich gehen die Patienten dann zum Arzt wenn sie so einen aktiven Krankheitsschub erleben. Danach geht die Krankheit aber wieder zurück und bei einem Großteil der Patienten kehren auch Funktionen des Nervensystems zurück, die sie während des Schubs verloren hatten. Für einen Arzt ist es dann natürlich sehr leicht zu sagen. Man selbst habe das bewirkt, in dem man dem Patienten etwas gegeben hat, was ihm hilft.""

    Doris Kahns gehört zur Minderheit der Patienten, bei denen die Krankheit nicht in Schüben verläuft. Deswegen gibt es bei ihr auch keine Erholungsphase nach einem Schub. Kein Arzt könnte bei ihr einen Behandlungserfolg vortäuschen, auch nicht die Ärzte des Xcell-Centers. Rogier Hintzen hat ernste Zweifel, ob überhaupt je ein MS-Patient von einer Stammzelltherapie profitiert hat. Hintzen:

    "”Ich habe Patienten gesehen, die so eine Behandlung erfahren haben. Manchmal fragen sie mich vorher. Ich sage, ihnen dann, dass ich das nicht unterstütze, aber es letztlich ihr Körper sei und ich sie deswegen hinterher auch nicht fallen lassen werde. Auf diese Weise habe ich einige solcher Patienten getroffen. Noch nie ist mir dabei jemand begegnet, der wirklich froh und glücklich über die positiven Resultate der Stammzelltherapie war. Außer vielleicht kurz nach der Behandlung. Wochen, Monate später sind immer alle total überzeugt, aber langfristig, hat meines Wissens noch niemand einen echten Behandlungserfolg erlebt.""

    Die besten Behandlungserfolge hat das Xcell-Center nach eigenen Angaben bei Diabetikern. Sven Falkenhagen aus Frankfurt leidet seit 2002 unter Diabetes Typ I und ließ sich im Mai 2007 mit Stammzellen aus seinem Knochenmark behandeln. Noch knapp vier Monate später war er begeistert von der Veränderung. Falkenhagen:

    "Mittlerweile ist es so, dass ich mein Langzeitinsulin um die Hälfte reduziert habe und jetzt vor kurzem gänzlich reduziert habe, aber zu den Mahlzeiten nehme ich noch weiterhin Insulin."

    Zwei weitere Monate später, Mitte Oktober 2007 muss der 39jährige allerdings wieder fast genauso viel Insulin spritzen wie vorher. Auch bei Diabetikern vom Typ 1 kann die Erkrankung fluktuieren und so ein Behandlungserfolg vorgetäuscht werden. Heute weiß Sven Falkenhagen, dass noch viel Forschung nötig ist, um die Stammzelltherapien zum Erfolg zu bringen. Rogier Hintzen in Rotterdam befürchtet allerdings, dass der Ruf der Stammzelltherapien bis dahin von Firmen wie "Cells4Health" ruiniert sein wird. Hintzen:

    "”Wir alle hoffen, dass in zehn, zwanzig Jahren die Stammzellforschung soweit ist, dass wir tatsächlich Defizite im zentralen Nervensystem oder im Herzen oder anderen Organen reparieren können. Und wenn es jetzt bei diesen kommerziellen Anbietern von Stammzellbehandlungen zu Komplikationen kommt, dann denkt jeder schlecht über Stammzelltherapien, auch über die fundierte Forschung, die in akademischen Institutionen betrieben wird.""

    Nach Außen erweckt das Xcell-Center gerne den Anschein, als bilde es eine Front mit den seriösen Stammzellforschern. Es veröffentlicht auf seiner Website gerne Erfolgsmeldungen dieser Wissenschaftler. Der medizinische Laie kann so schnell einen falschen Eindruck bekommen. Rogier Hintzen:

    "”Die Leute haben das durcheinandergebracht. Und sie bringen es immer noch durcheinander. Es gibt wirklich sehr gute Wissenschaft in dem Feld der seriösen Stammzellforschung, aber die Fortschritte passieren im Moment noch hauptsächlich im Tiermodell, in der Maus.""

    In den Datenbanken der medizinischen Fachliteratur finden sich in Sachen Stammzellforschung keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen von den Ärzten des Xcell-Centers. Die Klinik verweist auf ihren wissenschaftlichen Beirat, dessen Mitglieder angeblich zu Stammzelltherapien forschen und publizieren. Tatsächlich findet sich aber kein einziger Fachmann für Stammzelltherapien beim Menschen darunter. Auch der Gründer der Firma "Cells4Health", die hinter der Kölner Privatklinik steckt, der Pharmakologe Cornelis Kleinbloesem, ist kein anerkannter Stammzellexperte. Seine Firma hat in den Niederlanden und in Belgien zweimal Anträge für die Durchführung klinischer Studien gestellt. Beide Male wurde das abgelehnt.

    "”Wir müssen uns mal vor Augen halten, wie viel Aufwand ein Wissenschaftler in einem akademischen Institut oder selbst auch in einem normalen Krankenhaus betreiben muss, wenn er eine klinische Studie plant. Und dafür gibt es gute Gründe. Selbst wenn ich eine Zuckerwassertherapie erproben will, muss ich dafür einen Berg an Papierkram in 16facher Ausführung bewältigen und unserer Medizinethik-Kommission zu Verfügung zu stellen… Wenn man also kommerzielle Anbieter unkontrolliert eine so komplexe Therapie wie eine Stammzelltherapie durchführen lässt, ist das auf jeden Fall gefährlich. Da gibt es ganz praktische Risiken: Was passiert mit den Stammzellen? Werden sie sich zu sehr vermehren? Werden sie sich in etwas anderes verwandeln, als geplant ist? Werden Infektionen eingeschleppt? Wenn wir die Stammzellen in die Nähe des zentralen Nervensystems geben, kann das Schäden im Gehirn oder Rückenmark verursachen? Jedem sollte klar sein, dass in der medizinischen Forschung nirgendwo auf der Welt für experimentelle Therapien bezahlt wird. Wenn ihnen die Teilnahme an einer klinischen Studie angeboten wird, sollte das nichts kosten, weil der Organisator der Studie für die Kosten aufkommt. Wenn die Teilnahme an einer Studie Geld kostet, dann ist das keine Wissenschaft, sondern Kommerz. Manchmal geben solche Firmen vor, klinische Studien zu betreiben. Sie sagen, wir machen einen Kernspin und überwachen ihre Entwicklung ganz genau, aber das ist letztlich Betrug.""


    Neben Cells4Health machte in den Niederlanden auch das so genannte "Preventive Medicine Center", kurz PMC Werbung für eine Stammzelltherapie. Dass immer mehr Patienten ihr Erspartes für eine aussichtslose Therapie verschwenden, wollten Rogier Hintzen und einige andere Ärzte unbedingt verhindern. Hintzen:

    "”Wir haben auf diese verzweifelten Patienten hingewiesen und auf die aggressive Art, mit der solche Firmen diese Patienten umwerben. Und dann hatten wir unsere nationale Gesundheitsbehörde gewarnt, dass das was dort vor sich geht nichts mit seriöser Forschung zu tun hat. Daraufhin ergriffen sie Maßnahmen und kontrollierten diese Kliniken.""

    Diese Untersuchung ergab, dass die Firma PMC keinen Nachweis über den Ursprung, die Qualität und die Reinheit ihrer Stammzelltransplantate erbringen konnte. Die Gesundheitsbehörde befürchtete sogar, einige Patienten könnten sich mit HIV oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infizieren. Auch wenn bei "Cells4Health" etwas professioneller mit Stammzellen hantiert wird, anwenden darf auch diese Firma ihre Therapie in den Niederlanden nicht mehr. Hintzen:


    "”Als wir letztes Jahr unsere Beschwerde gegen diese kommerziellen Stammzellkliniken formuliert haben, hat unsere Regierung ein Gesetz verabschiedet, dass die Anwendung von Stammzellbehandlungen außerhalb von akademischen Zentren verbietet. Das ist wirklich sehr gut, dass das so schnell geschah.""

    Damit erschien für Rogier Hintzen das Problem der dubiosen Stammzelltherapien so gut wie erledigt. Aber da hatte er sich getäuscht. Schließlich hatte "Cells4Health" im Januar 2007 das Xcell-Center in Köln eröffnet. Die Rheinmetropole ist von den Niederlanden aus leicht zu erreichen. Hintzen:

    "”Letzte Woche hörte ich zum ersten Mal von einer Patientin von mir mit Multipler Sklerose, die verwirrt war, weil jemand aus Deutschland, der aber niederländisch sprach, sie angerufen habe. Sie war sehr verzweifelt an diesem Abend, weil sie einen aktiven Krankheitsschub hatte, und dann kam plötzlich dieser seltsame Anruf. Der Anrufer bot ihr eine Stammzelltherapie an. Sie musste dann wirklich noch mit diesem Menschen streiten. Sie stellte kritische Fragen nach den Daten. Der Mann am Telefon sagte ihr einfach nur: Das ist eine Therapie, die ihnen helfen wird, die gut ist für sie. Sie fühlte sich danach beinah schuldig, weil sie so gezweifelt hatte. Sie fragte sich, ‚Was, wenn das wirklich wahr ist, was diese Leute mir da erzählen.’""

    Inzwischen ist Rogier Hintzen klar, dass Stammzelltherapien weltweit angeboten werden. Die strenge Gesetzeslage in den Niederlanden schützt seine MS-Patienten nicht vor solchen Angeboten. Hintzen:

    "”Für mich ist das eine neue Entwicklung, dass jetzt auch in Nachbarländern solche Stammzellkliniken auftauchen. Ich bin von ausländischen Journalisten daraufhin gewiesen worden, dass es Stammzellkliniken in Südamerika, Osteuropa und anderen Ländern gibt, die nicht unbedingt dem höchsten wissenschaftlichen Standard entsprechen. Ich hätte allerdings nie gedacht, das andere westeuropäische Länder ebenfalls in diesen Club eintreten.""

    Bernd Niereisel und Doris Kahns haben nichts von den Vorkommnissen in den Niederlanden gewusst. Dort berichtete die Presse sehr kritisch über "Cells4Health" und andere Stammzelltherapie-Firmen. Kahns:

    "Das hätte ich nicht gemacht, wenn ich das gewusst hätte."

    In Deutschland erschienen in Presse und Fernsehen dagegen bislang vor allem positive Berichte über das Xcell-Center. Die ZDF-Sendung "Drehscheibe" brachte einen Beitrag. Die "Deutsche Apothekerzeitung" veröffentlichte ein Interview mit den Xcell-Center Ärzten Dirk Happich und Peter Nitsche. Die "Kirchenzeitung" sprach sogar vom "Wunder von Köln". Und so verschwenden immer mehr Patienten sinnlos ihr Geld für eine Therapie mit zweifelhafter Wirkung. Hintzen:

    "Nun wird es immer ernster, weil sich das in ganz Europa auszubreiten scheint. Das hat mit der Gesetzeslage zu tun. Die einzige Lösung für dieses europaweite Problem wäre, dass sich die Europäische Kommission damit beschäftigt und vor allem ihre rechtlichen Berater. Denn was ich in den letzten Jahren gesehen habe ist, dass kommerzielle Stammzellkliniken über alle Grenzen hinweg operieren. Sie verstecken sich in einem Land, während sie in einem anderen aktiv sind. Alle verschiedenen Schritte wie das Anwerbung der Patienten bis zur Injektion der Zellen finden manchmal in verschiedenen Ländern statt. Selbst wenn die Leute in Deutschland aktiv gegen diese Klinik vorgehen, wird das letztlich nichts nützen. Die werden sich einfach im nächsten Land verstecken und dann von dort aus auf deutsche Patienten zugehen."

    Aber gerade die Europäische Gesetzeslage erlaubt die Stammzellbehandlung von Firmen wie "Cells4Health" mit seinem Xcell-Center. Die Therapien in der Kölner Klinik können ohne offizielle Überprüfung als Heilversuche durchgeführt werden. Denn für den Bereich der Gewebezüchtung oder Tissue-Engineering gibt es Sonderregelungen. Claus Cichutek vom Paul Ehrlich Institut, dem Bundesamt für Sera und Impfstoffe:

    "Der Gesetzgeber hat hier bewusst im Bereich des Tissue Engineering übergangsweise eine Ausnahme von der Zulassungspflicht geschaffen. Wir haben jetzt gerade über das Europäische Parlament und den Rat eine Gesetzgebung, die eine Übergangszeit von weiteren fünf Jahren definiert, nach der dann auch solche Arzneimittel tatsächlich zugelassen werden müssen über die Europäische Arzneimittelagentur, so dass das eine Übergangszeit ist, die irgendwann vorbei sein wird."

    Zumindest die nächsten fünf Jahre darf das Xcell-Center in Köln also noch praktizieren.