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Das Geschäft mit gekauften Zeitungsartikeln in der Ukraine

Im ukrainischen Parlament sitzen zahlreiche Geschäftsleute, die ihr Mandat schamlos für ihre eigenen Geschäftsinteressen ausnutzen. Sie pumpen Geld in den Wahlkampf. Wahlplakate sind legitim – aber Zeitungsartikel zu kaufen nicht. "Jeans" heißen diese im Volksmund.

Von Gesine Dornblüth | 27.10.2012
    Olena Golub blättert in einem Stapel ukrainischer Zeitungen. Überall sind mehrspaltige Artikel über einzelne Politiker zu sehen. Auch Home Storys sind darunter, doppelseitig mit vielen Fotos.

    "Hier haben wir den Direktkandidaten Vasilij Gorbal von der Regierungspartei, er kandidiert in Kiew für das Parlament."

    Wahlwerbung, könnte man meinen. Die Ukraine wählt am Sonntag ein neues Parlament. Doch keiner der Artikel ist als Werbung gekennzeichnet. Olena Golub arbeitet im Institut für Massenmedien, einer Nichtregierungsorganisation in Kiew. Finanziert mit Geldern aus den USA und der EU, wertet das Institut die wichtigsten überregionalen Print- und Onlinemedien der Ukraine aus. Die Mitarbeiter durchforsten sie nach verdeckter Werbung, nach "Jeans", wie solche pseudojournalistischen PR-Artikel in der Ukraine heißen. 20 bis 25 Prozent der Inhalte in den untersuchten Zeitungen seien bestellt, meint Olena Golub.

    "Da bleiben eigentlich nur noch Sport und Unterhaltung."

    Oleksandr Tschernenko teilt diese Einschätzung. Er leitet das Komitee der Wähler der Ukraine.

    "Vor allem in der regionalen Presse haben wir ein sehr großes Problem. Die kleinen Zeitungen sind entweder finanziell von der Regierung abhängig und berichten entsprechend; oder sie stellen ihre Seiten allen zur Verfügung, die dafür zahlen. Das ist eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens. Dementsprechend gibt es in der Berichterstattung ein Übergewicht zugunsten der Regierungspartei. Sie kommt in der Presse am besten weg. Aber die Opposition hat auch Geld, um sich positive Artikel zu kaufen."

    Zum Beispiel Witalij Klitschko. Der Boxweltmeister tritt mit einer eigenen Partei bei der Wahl an. Sie heißt "Udar", "Schlag". Olena Golub entdeckt einen Artikel in dem Boulevardblatt Komsomolskaja Prawda. Es geht darum, dass Udar zahlreiche Direktkandidaten zugunsten einer anderen Oppositionspartei, der Vaterlandspartei, zurückgezogen hat. Olena Golub ist sich sicher, dass für diesen Artikel Geld geflossen ist.

    "Erstens sind in diesem Text alle problematischen Aspekte einfach weggelassen. Es gab viele Konflikte zwischen Udar und der Vaterlandspartei. Das lief längst nicht so glatt, wie es hier steht. Zweitens stand genau derselbe Artikel in mindestens einer weiteren Zeitung. Drittens ist hier kein Mal die Position der Vaterlandspartei erwähnt. In einem sauberen journalistischen Artikel hätte die andere Partei auch zu Wort kommen müssen. 100-prozentig beweisen können wir das natürlich nicht. Aber das alles zusammen lässt doch darauf schließen, dass dieser Text von der PR-Abteilung der Partei Udar verfasst wurde."

    Bezahlte Artikel sind kein rein ukrainisches Phänomen. Es gibt sie in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, nicht nur im Wahlkampf und nicht nur in den Zeitungen, sondern auch im Fernsehen. Auch Wirtschaftsunternehmen bestellen Artikel und Filme.

    "Es gibt verschiedene Theorien, woher der Name Jeans kommt. Eine besagt, dass bezahlte Artikel zuerst als Werbung für Nietenhosen auftauchten."

    Das war in Moskau in den 90er-Jahren: Als dort einer der ersten Jeansläden eröffnete, soll die Firmenleitung das russische Staatsfernsehen um einen Bericht gebeten haben. Anschließend soll die gesamte Redaktion mit Jeans ausgestattet worden sein. In Russland sind bezahlte Artikel mittlerweile zumindest aus den überregionalen Blättern weitgehend verschwunden.

    Auch in der Ukraine bemühen sich einige Zeitungen um einen sauberen Journalismus – zum Beispiel die regierungskritische, investigativ arbeitende Onlinezeitung Ukrainska Prawda und die unabhängige englischsprachige Kyiv Post. Doch ihre Mitarbeiter leben gefährlich. Reporter ohne Grenzen berichtet von Dutzenden Übergriffen auf Journalisten, die im Wahlkampf in der Ukraine kritisch recherchierten.