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"Das Gesicht als Spiegel der Seele"

Nach Auffassung des schwedischen Schriftstellers Lars Gustafsson wäre Woody Allen ohne Ingmar Bergman nicht denkbar. Bergman habe etwas Neues in der Filmkunst entwickelt: Noch intensiver als im Theater werde das Gesicht zum Spiegel der Seele.

Moderation: Katja Lückert | 30.07.2007
    Katja Lückert: Heute Morgen ist Ingmar Bergman in seinem Haus gestorben. Seine älteste Tochter Eva gab die Nachricht der schwedischen Nachrichtenagentur bekannt. Die letzten Lebensjahre verbrachte Bergman still zurückgezogen. Der Tod seiner sechsten Frau Ingrid Rosen 1995 hatte ihn so erschüttert, dass er auch zwei Jahre später, als er die besagte Palme der Palmen in Empfang nehmen sollte, nicht nach Cannes reisen wollte. Er sei zu depressiv. In den letzten Jahren schrieb er viel, sah sich in seinem eigenen kleinen Privatkino Filme an, die ihm das schwedische Filminstitut regelmäßig schickte und mischte sich nur noch selten ins schwedische Kulturleben ein. Das berichtet auch sein Schwiegersohn, übrigens der Kriminalautor Henning Mankell. An den Schriftsteller Lars Gustafsson nun die Frage: Die intellektuelle Community in Schweden ist doch verhältnismäßig klein, aber dennoch sind Sie Ingmar Bergman nie persönlich begegnet.

    Lars Gustafsson: Ja, aus reinem Zufall habe ich ihn persönlich nicht getroffen und deswegen kann ich wohl wenig zu seiner Persönlichkeit beitragen, die sicher eine große Persönlichkeit war. Aber seine Filme habe ich natürlich fast ab dem Anfang bewundert. Ohne Zweifel war er einer der größten Filmregisseure der, ja, in der Filmgeschichte. Und es ist natürlich interessant sich zu fragen, warum er diesen enormen Einfluss bekommen hat. Man kann nicht Woody Allen sehen ohne den Bergman-Einfluss zu spielen. Er spielt eine große Rolle. Ja, ich habe eine Theorie. Bergman redet in einem Interview von dem Neuen in der Filmkunst. Das Neue ist also, das Gesicht als Spiegel der Seele wird plötzlich sichtbar in einer Weise wie es nie war in dem Theater. Seine Filme denken wirklich und die denken über tiefen existenziellen Problemen. Das war wirklich etwas Neues.

    Lückert: Oft waren es ja die Beziehungen, die sprichwörtlich gewordenen Szenen einer Ehe, die ihn beschäftigten. Glaubte er nicht an eine mögliche Harmonie zwischen Mann und Frau?

    Gustafsson: Ich weiß nicht. Er hegte sicher die Hoffnung, das beweist sein Leben. Aber in meiner Jugend, als ich Student bei Upsalla Universität war, sagte wir ein bisschen scherzhaft, dass vor Bergman war die große Frage, ob Gott existiert oder nicht. Nach Bergman war die große Frage, ob Bergman vielleicht glaube, dass Gott existiere.

    Lückert: Das ist natürlich ein gutes Stichwort, was Sie mir da geben. Bergman stammte aus einer Pastorenfamilie. Wer in einem Pfarrhaus aufgewachsen sei, der beginne früh, sich einen Blick hinter die Fassade von Leben und Tod zu verschaffen, sagte er einmal. Also spielte Religiosität, aber auch die Hinwendung zu mehr Weltlichkeit in der schwedischen Gesellschaft eine Rolle in seinem Werk?

    Gustafsson: Bergman gehört zu einer interessanten Zwischenperiode zwischen ein noch nicht säkularisiertes Schweden und die moderne Säkularität. Er gehört also wie Lagerquist und viele andere zu diesen Zögernden, Unsicheren. Dieses Gefühl, dass wir müssen ohne Handbücher leben, dass es gibt keine Instruktion zu dem Leben. Er war ja glaube ich nicht glücklich. Er spürte eine große metaphysische Leere. Und diese metaphysische Leere ist da in seinen Filmen, mehr und mehr ausgeprägt. Aber aus dieser Leere konnte er etwas sehr Lebendiges schaffen. Als ich seine ersten Filme sah, dachte ich immer, das ist so schwedisch. Aber er hat ja eine Universalität.

    Lückert: Was dachten Sie, sei das Schwedische?

    Gustafsson: Die "Lächeln einer Sommernacht" oder "Wilde Erdbeeren", bildet ja die schwedische Landschaft, die schwedische Sommernacht, vielleicht auf schwedische Weisen zu räsonieren, zu denken, zu lieben eine große Rolle. Aber das war offenbar kein Hindernis. Ich glaube, die frühamerikanische Kritik sah ihn als ein bisschen exotisch.

    Lückert: Er war ja auch Theaterregisseur, zog sich aber dann vom Film zurück. Wie wurde das in Schweden aufgenommen? Es gab ja auch ein deutsches Intermezzo schon 1936 als Austauschschüler in Hessen, später als Regisseur in München und auch in Salzburg in Österreich.

    Gustafsson: Bergman war nicht nur ein großer Theaterregisseur, er war einer von den größten. Ich kenne die Menschen in der Periode nicht. Aber eine von meinen ersten wirklich tiefen Theatererlebnissen war 1958, als er in Malmö, in Südschweden, Goethes "Faust" aufgeführt hat. Der ein bisschen tote Tonfall, sein Mephisto. Und man muss wirklich eine Generation beklagen, die nicht mehr die Chance hatte, eine Bergman-Vorstellung im Theater zu sehen. Es gibt natürlich Fanatiker, die sogar behaupten, dass das war das Beste.

    Lückert: Lars Gustafsson erinnerte an Ingmar Bergman.