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Das Gesicht der Nachkriegsmoderne

Eero Saarinen prägte mit Bauten für Industrie und Universitäten ab 1950 das Gesicht der Nachkriegsmoderne. Der finnisch-amerikanische Architekt entwarf das New Yorker Flughafenterminal, die US-Botschaft in London und das erst nach seinem Tod 1961 realisierten Jefferson Memorial in St. Louis.

Von Jochen Stöckmann | 20.08.2010
    Die Schlagzeile auf der Titelseite des "Time-Magazine" im Herbst 1956 hieß schlicht und einfach: "Architekt Eero Saarinen". Als Umschlagillustration diente der Grundriss des Technikzentrums, das der gebürtige Finne zusammen mit seinem Vater Eliel Saarinen für General Motors entworfen hatte: Aufgelockert zwischen rechteckigen Wasserflächen ein puristisches Ensemble aus Kuben und Rotunden, Gebäuderiegeln und kammförmigen Hallen. Die strenge Geometrie der Baukörper aus Stahl und Glas war der perfekte Ausdruck von Wirtschaftskraft und Effizienz, von einem "Versailles der Industrie" schrieben die Journalisten.

    Gemeint war damit nicht feudale Prachtentfaltung, sondern jener einzigartige Sinn für Proportionen, mit dem insbesondere skandinavische Architekten schlichte Zweckbauten in funktionale Monumente verwandelten. Sein Gespür dafür hatte der am 20. August 1910 geborene Eero Saarinen in Paris verfeinert, beim Studium der Bildhauerei. Anschließend absolvierte er eine Architektenausbildung in Yale, arbeitete dann im Büro seines 1923 in die USA ausgewanderten Vaters.

    "Als Partner steuerte ich technische Lösungen bei, aber immer im Rahmen, den er setzte. Ein besserer Name für Architekt ist 'Formgeber' - und bis zu seinem Tod 1950 arbeitete ich nach den Vorstellungen, in der Formsprache meines Vaters."

    Was der Sohn in seiner Erinnerung bescheiden hintanstellte: Er war ein begnadeter Zeichner, konnte Entwürfe wie das Jefferson-Memorial in St. Louis aus der Hand so überzeugend skizzieren, dass kaum jemand an der Realisierbarkeit dieses Betonbogens zweifelte, der dann tatsächlich in über 190 Meter Höhe den Mississippi überspannen sollte. Als Vorbild für diese zunehmend expressive Bauweise nannte Eero Saarinen in einem Radiointerview den US-Architekten Frank Lloyd Wright:

    "Wright verdanken wir Anregungen zum Umgang mit dem Raum, zur plastischen Qualität von Architektur, ihrem Bezug zur Natur, zum Material und in gewisser Weise auch zur Struktur. Und - was sehr wichtig ist - er hat uns gezeigt, wie man Architektur dramatisiert."

    Mit dem spektakulär geschwungenen Dach des Eislaufstadions der Yale University oder dem kantig-brutalen Betonraster am Neubau der US-Botschaft in London demonstrierte Saarinen, dass er mit ganz unterschiedlichen Stilmitteln ästhetische Wirkung erzielen konnte. Kritiker deuteten diese abrupten Wechsel der Handschrift als Eklektizismus als zeitgeistige Beliebigkeit. Der Architekt widersprach:

    "Ich glaube, dass ein Haus nicht einfach irgendwo aufgestellt werden kann, es muss aus den Besonderheiten des Ortes hervorgehen, emporwachsen. Außerdem begegne ich jedem architektonischen Problem mit der Frage nach dem besonderen Wesen eines Gebäudes, wie sich diese Essenz ausdrückt in der äußeren Gestalt. Und wie kann ein Gebäude Zweck und Bedeutung emotional vermitteln?"

    Auf diese Frage hat Saarinen, der 1961 mit nur 51 Jahren starb, in seinem Entwurf für den TWA-Flughafenterminal in New York eine gültige Antwort gefunden: Riesigen Betonschalen, die sich schützend über große Fensterflächen wölben, gab er die Form stilisierter Vogelschwingen. Unter diesem symbolkräftigen Dach aber sind Abfertigungsschalter, Laufbänder und Wartezonen in nüchterner Perfektion angeordnet. Einen solch großen Wurf, die aus der jeweiligen Bauaufgabe entspringende Verbindung von expressiver Geste und funktionaler Gestaltung hatte der Architekt bereits Ende der vierziger Jahre mit einem kleinen Sitzmöbel erprobt, dem sogenannten "womb chair". Wie ein gut gepolsterter Schoß sollte die nach hinten geneigte Schale auf Edelstahlfüßen den Ruhebedürftigen aufnehmen:

    "Das Bedürfnis nach Veränderung ist ein wichtiger Faktor, der beim Design oft vergessen wird. Deshalb gibt es eine große Sitzfläche: Leer wirkt der "chair" wie eine Skulptur im Raum. Nimmt aber jemand Platz, dann wird er vom Sessel umschmeichelt, zu wechselnden Haltungen verführt."