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Das Gewehr im Kleiderschrank

Freiheit, Souveränität, und Nationalstolz - das sind in der Schweiz unverrückbare Werte, die es um jeden Preis zu verteidigen gilt. Wenn es sein muss, auch mit der Waffe - wie einst Wilhelm Tell. Anders als bei uns in Deutschland, wo nach dem Amoklauf in Baden-Württemberg über den Zugriff und die Aufbewahrung von Waffen in Privatbesitz diskutiert wird, liegt diese Verantwortung in der Schweiz bei jedem einzelnen Bürger selbst.

Von Knut Benzner | 13.03.2009
    Möhricken-Wildeck. Ein Dorf, ein modern umgebauter Hof. Das ehemalige Bauernhaus seines Schwiegervaters. In der Mitte des Kantons Aargau, Nordschweiz. Bruno Frey, eine Tochter, einen Sohn, der macht gerade den Führerschein, arbeitet in Zürich. Zürich ist 38 Kilometer entfernt. Frey ist eidgenössisch diplomierter Betriebsfachmann Druckformenherstellung. Er hat andere Tätigkeiten ausgeübt. Und im Moment?

    "Im Moment bin ich Integrationsberater einer privaten Integrationsfirma. Wir versuchen im Auftrage der Unfallversicherungen hier in der Schweiz ... wieder ins Berufsleben zurück zu integrieren."

    Frey arbeitet häufig von hier. Im Wohnzimmer. Unterhalb der Küche. Viel Holz, durch ein großes Fenster blickt man in den kleinen Garten vor dem Haus.

    "Ich bin parteilos, aber ich stimme SVP nahe."

    Die SVP ist die Schweizerische Volkspartei. Konservativ, populistisch – manche nennen sie reaktionär - vertritt sie das Prinzip der bewaffneten Neutralität. Unter dem Einfluss von Christoph Blocher wurde sie 1999 zur stärksten politischen Kraft.

    Seine Ordonanzwaffe ...

    "Die habe ich zu Hause, ja."

    Würde er sie zeigen?

    "Ja natürlich, ich habe sie bereits aus dem Tresor genommen, damit wir keine Zeit verlieren, ich kann Ihnen auch zeigen, also hier wäre sie ursprünglich, das ist der Tresor, abgeschlossen, und ich habe aber mich vorbereitet, ich habe die Waffe, ich bringe sie gleich runter. ... Wenn Sie möchten, können sie ..."

    In den ersten Stock, in sein Büro.

    "Das ist unser Büro, ja."

    Und in der rechten Hand hat der Mann plötzlich ...

    "Meine Ordonanzwaffe, ja. Eine Pistole. Eine Pistole Kaliber neun Millimeter. ... Das Gewehr habe ich in einem anderen Schrank, aber das ist nicht die Ordonanzwaffe, das ist nur eine Leihwaffe, die habe ich zum Gebrauch, so lange ich einfach die Schießanlässe besuche, aber meine persönliche Waffe, die ich seit meinem 21. Jahr mein eigen nenne, sage ich jetzt mal, die habe ich jetzt zum Eigentum erhalten."

    Die Pistole trägt ein ´P` für privat.

    "Und ein Attest dazu, dass ich befugt bin, diese Waffe zu besitzen und auch zu benutzen."

    Zu was?

    "Benutzen?"

    Würde er sie auspacken?

    "´49, Jahrgang ´49, 1949."

    Die Pistole.
    Frey, dieser drahtige Mann mit kurzem Haar, der stets auf dem Sprung zu sein scheint ist 53. Die Pistole ist älter als er. Und sie funktioniert.

    "Ja ja. Also ich schieße jetzt hier nicht, ich habe erst vor, ja, zwei Wochen das letzte Mal geschossen."

    Sie ist nicht entsichert ...

    "So ist sie entsichert, aber es passiert nichts, weil sie ist nicht gespannt."

    Noch Mal? - Wo ist das Gewehr?

    "Das ist in einem Abstellraum, eingeschlossen, aber dort hat’s noch andere Sachen, mein Sohn hat dort auch seine Sachen, das möchte ich Ihnen lieber nicht zeigen."

    Für Frey sind diese Waffen völlig normal ...

    "Ich kenne nichts anderes, mein Vater hat das so gehabt, ich habe das so, mein Sohn wird das eben so haben ... uns so weiter."

    Und für seine Frau ist es auch normal.

    "Meine Frau hat auch schon das Feldschießen geschossen, sie hat auch schon Pistole geschossen, das ist völlig normal."

    Wieder unten in der Küche. Vor der kleinen Kochzeile steht ein Tresen. Vor dem Tresen der Esstisch.
    Freys Frau Regula, 49, blond, zierlich und zurückhaltend, kommt hinter dem Tresen hervor.
    "Ich bin so aufgewachsen, wir hatten immer, mein Vater hatte immer eine Waffe zu Hause, ... für mich war das ein Sport, ja. Kein Problem."

    Die Tochter, 20 inzwischen ...

    "Sie schießt auch."

    Sie schießt auch?

    "Ja."

    Die Schweiz ist wehrhaft, was!

    "Das ist nötig, weil zu Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland´, ist ein alter Spruch und hat immer noch Gültigkeit."

    Wer sollte die Schweiz überfallen?

    "Ich würde es keinem anraten, wobei, wissen Sie, ich bin auch nicht immer bereit, ich hoffe nicht, dass heute Abend ein Einbrecher mich bedroht, das ist niemandem zu wünschen und wenn die Überraschung auf der Seite eines allfälligen Einbrechers ist und der mir etwas will oder meiner Familie, dann ist das möglich, ich bin ja nicht, wir sind ja nicht im Krieg."

    Mit der Frage, wer die Schweiz überfallen soll, waren die so genannten äußeren Feinde gemeint.

    "Also im Moment, im Moment sind wir von Freunden umzingelt, wie man immer wieder lesen kann, aber wenn Sie die Geschichte zurück verfolgen, ist das nicht ein Zustand, der fest versiegelt und geschrieben ist, dass das auch in alle Ewigkeit so bleibt."